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Gute Arbeit – Gute Weiterbildung

Perspektiven für die Beschäftigten in der Weiterbildung

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,



„Die Verbesserung der sozialen Lage der Weiterbildner und die Steigerung der Qualität in der Weiterbildung sind zwei Seiten derselben Medaille.“ So steht es in der Einladung für die heutige Fachtagung. Und es heißt weiter: „Nur gute Arbeitsbedingungen schaffen gute Weiterbildung.“


Jawohl! Das können wir unterschreiben und ich möchte hinzufügen: Nur gute Tarifverträge schaffen gute Arbeitsbedingungen – auch in der Weiterbildung.

Dabei ist es um das Tarifsystem als solches in Deutschland zunehmend schlechter bestellt. „Seit Mitte der 1990er Jahre befindet sich das deutsche Tarifvertragssystem in einem schleichenden Erosionsprozess, in dem die tarifpolitisch gut regulierten Kerne immer kleiner und die tarifvertrags-schwachen und –freien Zonen immer größer werden“, so Bispink und Schulten in den WSI-Mitteilungen 4/2009.

Ein wichtiger Grund für diesen Erosionsprozess ist ihrer Meinung nach die fehlende politische Unterstützung des Tarifvertragssystems. Eine Re-Stabilisierung des deutschen Flächentarifvertrags setzt ihrer Meinung nach eine Reform des hiesigen Verfahrens für die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen voraus. Ich werde auf diese These bei meinen Ausführungen zum Branchentarifvertrag Weiterbildung zurückkommen.

Doch zunächst möchte ich einige Anmerkungen über die Entwicklung des Tarifwesens in der Weiterbildung und deren gegenwärtige Lage vorbringen.


Tarifstruktur im Bereich der Weiterbildung

Im Bereich der Weiterbildung gab es bis heute keinen Flächentarifvertrag für die Beschäftigten. Eine Reihe von Faktoren haben diese Situation entstehen lassen.

1. Die einzelnen Bereiche der Weiterbildung (allgemeine und politische Weiterbildung, betriebliche Weiterbildung, berufliche Weiterbildung im Rahmen der Förderung der BA) unterliegen verschiedenen Rechtskreisen. Statt einer einheitlichen gesetzlichen Regelung zur Förderung der Weiterbildung existiert ein Flickenteppich staatlicher Fördertöpfe und Gesetze. Die Trägerstruktur folgt diesem Flickenteppich mit einer Vielzahl von Verbänden, die jeweils bestimmte Interessen im Bereich der Weiterbildung vertreten.

2. Der älteste Bereich der Weiterbildung, die allgemeine und politische Weiterbildung wurde entweder direkt über staatliche Organschaften betrieben (Volkshochschulen in kommunaler Hand) oder war über Ländergesetze an den öffentlichen Dienst gekoppelt. In der Folge waren die Träger in diesem Bereich an die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst entweder direkt oder indirekt angebunden. Tariflich galt der BAT, auch wenn die Träger nicht unmittelbar öffentliche Arbeitgeber waren.

3. Die sich in den 1980 Jahren ausdifferenzierende Trägerlandschaft im Bereich der betrieblichen und beruflichen Weiterbildung orientierte sich „stillschweigend“ an der Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst. Wenn überhaupt, wurden Haustarifverträge mit einzelnen Trägern abgeschlossenen, die sich insbesondere bei den Entgelten an den Stufen und Tabellen des alten BAT orientierten.

4. Für die Gewerkschaften fehlte ein Verhandlungspartner, um Flächentarifverträge in der Weiterbildung verhandeln zu können.
Im Bereich der Arbeitgeber fehlte lange Zeit der Wille, über Arbeitsbedingungen und Entlohnung gemeinsam zu verhandeln.
Es existieren eine Reihe von Arbeitgebervereinigungen, die eher den Charakter von Interessenverbänden haben, so der Wuppertaler Kreis, der Verband deutscher Privatschulen, der Deutsche Volkshochschulverband und der Bildungsverband (Bundesverband der Träger beruflicher Bildung). Jedoch nur die Zweckgemeinschaft von Mitgliedsunternehmen des Bildungsverbands ist dezidiert Arbeitgeberverband und damit tariffähig.


Erosion des Lohngefüges in Folge der Hartz-Reformen bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die BA

Die Änderung der Förderpolitik der BA im Bereich der beruflichen Weiterbildung durch die BA hatte gravierende Folgen für die Träger und das Lohngefüge im Bereich der Weiterbildung. Zwei Entwicklungen haben dazu maßgebend beigetragen:
  1. Mit der neuen Geschäftspolitik der BA wurde der Terminus von „Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit“ eingeführt. Alle Förderungen standen unter dem Vorbehalt, eine direkte Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die BA senkte von 2003 bis 2005 das Fördervolumen im Bereich der beruflichen Weiterbildung um 2/3. Waren bis 2002 durchschnittlich gut 300.000 TeilnehmerInnen in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, so waren es 2006 weniger als 120.000. Der Rückgang betraf insbesondere langfristige berufliche Qualifizierungs-maßnahmen (Umschulungen).

  2. Im Bereich der Jugendmaßnahmen ging die BA zum sogenannten Vergabeverfahren über. Der Träger mit dem niedrigsten Preis kam zum Zug, auch wenn er in dem Bereich vorher nicht tätig war. Da in Qualifizierungs-maßnahmen ca. 2/3 der Kosten auf das pädagogische Personal entfallen, konnten die Träger die Preise nur senken, wenn sie die Löhne nach unten absenken konnten. Da es nur wenige Haustarifverträge gab, konnten nicht tariflich gebundene Träger in den Markt einsteigen und mit Dumpinglöhnen Aufträge gewinnen.

Der Wegfall von Aufträgen im Bereich der beruflichen Weiterbildung und das Preisdumping in den Vergabeverfahren der BA hatte für Träger mit Haustarifen gravierende wirtschaftliche Folgen. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 30.000 bis 40.000 sozialversicherungs-pflichtige Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Damit tarifgebundene Unternehmen konkurrenzfähig bleiben, wurden Notlagentarifverträge abgeschlossen und/oder die Entgelttabellen für Neueinstellungen gesenkt. Da die Aufträge häufig nur für ein Jahr vergeben wurden, werden Neueinstellungen häufig nur befristet vorgenommen. Mit jeder neuen Vergabewelle rutschte das Lohngefüge weiter nach unten. Heute ist von der ursprünglichen Orientierung am BAT, dem heutigen TV öD, nicht mehr viel übriggeblieben.


Lohnschere zwischen dem Öffentlichen Dienst und den Beschäftigten in der Weiterbildung

Die Lohnschere zwischen den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und den Beschäftigten im Bereich der Weiterbildung hat sich in den letzten Jahren erheblich geöffnet. Dazu zwei Beispiele.

Nach dem aktuellen TV L (West) erhält ein Sozialpädagoge in Lohngruppe 9 im ersten Anstellungsjahr 2.230 Euro, im zweiten Jahr folgt die Stufe 2 mit 2.472 Euro.

Ein Beschäftigter mit Universitätsabschluss kommt in LG 13 im ersten Jahr auf 3.028 Euro, im zweiten Jahr auf 3.363 Euro.

In der Weiterbildung sind auch im Westen Monatsgehälter von 1.700 oder 1.800 Euro für Beschäftigte mit vergleichbaren Qualifikationen und Tätigkeiten keine Besonderheit mehr. Da hier häufig keine Tarifverträge vorliegen, entfällt eine stufenweise Anhebung der Löhne, wie sie im öffentlichen Dienst üblich ist. Die Lohnlücke liegt bei ca. 700 – 1.500 Euro.


Branchentarifvertrag Weiterbildung

Auch der neue Branchentarifvertrag Weiterbildung wird diese Lücke nur zum Teil schließen können. Er sieht im Westen ein Monatsgehalt von 2.076 Euro für pädagogisches Personal vor. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass die Einkommenssituation der Beschäftigten auf Dauer positiv beeinflusst wird.

Ein allgemeinverbindlicher gesetzlicher Mindestlohn im Bereich der SGB II und III geförderten Weiterbildung zieht eine wichtige Haltelinie für die Löhne ein. Die Tendenz, mit jeder Vergabewelle der BA die Lohnschraube ein weiteres Stück nach unten zu drehen, könnte gestoppt werden.

Die BA hat inzwischen beschlossen, von den Bietern eine Erklärung über die Bezahlung von Mindestlöhnen abzufordern, wenn der Branchentarifvertrag Weiterbildung in Kraft gesetzt ist. Gibt der Bieter diese Erklärung nicht ab, so würde sein Ausschluss vom Vergabeverfahren folgen. Bei der Überprüfung von Niedrigpreisen soll ebenfalls ein Ausschluss vom Vergabeverfahren erfolgen, wenn ersichtlich ist, dass mit dem Angebot keine dem Mindestlohn entsprechende Mitarbeitervergütung möglich ist.

Ein gesetzlicher Mindestlohn in der Weiterbildung schafft die Voraussetzung, um in dem Bereich Arbeitsbedingungen und Entlohnungen dauerhaft durch Tarifverträge zu regeln. Er könnte ein Anreiz für Arbeitgeber sein, durch ihren Beitritt zu tariffähigen Arbeitgeberverbänden gemeinsam zu verhandeln und den Wettbewerb untereinander als Leistungswettbewerb im Wortsinne zu betreiben.

Ich komme an dieser Stelle auf meine anfangs gemachten Bemerkungen zurück.

In der Weiterbildung können wir ebenfalls von einer Erosion des Tarifsystems reden. Viele Haus-Tarifverträge mussten über Jahre durch Notlagen-Tarifverträge ersetzt werden. Durch Ausgründungen wurden Leistungen in tariffreie Tochterunternehmen ausgegliedert.

Ein flächendeckendes Tarifsystem existierte nicht, aber mit der Anbindung an das Tarifsystem des öffentlichen Dienstes gab es in der Branche durchaus geregelte Arbeitsbedingungen. Mit der Abkoppelung erodierte dieses System in wenigen Jahren.
Einkommensunterschiede von über 1.000 Euro im Monat für vergleichbare Tätigkeiten im öffentlichen Dienst sind inzwischen die Regel. Um die Weiterbildung aus der tariffreien Zone zu holen, bedarf es der politischen Unterstützung. Der Branchentarifvertrag Weiterbildung muss im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärt werden. Die Beschäftigten in der Weiterbildung haben diese politische Unterstützung verdient.

„Nur gute Arbeitsverhältnisse schaffen gute Weiterbildung“. Dieser Ausführung in der Einladung zu dieser Tagung möchte ich hinzufügen. „Gute Arbeitsverhältnisse ohne tarifliche Bindung der Träger wird es nicht geben.“ Unterstützen sie uns politisch, damit der Branchentarifvertrag Weiterbildung noch in dieser Legislaturperiode allgemeinverbindlich wird.


Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.


Quelle: Rede von Petra Gerstenkorn (Bundesfachbereichsleiterin des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung in ver.di), gehalten auf dem SPD Workshop „Gute Arbeit – gute Weiterbildung“ der AG Bildung von Forschung der SPD-Bundestagsfraktion am 3. Juni 2009 in Berlin



Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 23.07.2009

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024