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Weiterbildung Fachtagung 2013

10 Jahre Hartz-Gesetze: Was ist aus der beruflichen Bildung geworden?

10 Jahre Hartz-Gesetze, dazu einen Beitrag hier zu halten, ist in der Tat ein anspruchvolles, ein ambitioniertes Unternehmen.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, Einschätzungen, Bewertungen – insgesamt unübersehbar, in der Mehrzahl kritisch bis hin zu vernichtenden Bewertungen.
Eine umfassende Kritik hier ist aber beim besten Willen nicht möglich.

Hier geht es um die Sicht der Weiterbildung, und ich will trotzdem einige grundsätzliche Punkte voranstellen.

1. Es hat keine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gegeben, sondern es war eine nackte Streichung der früheren Arbeitslosenhilfe (AlHi); auf den Arbeitslosengeld 1-Bezug folgt der freie Fall auf das Niveau der Sozialhilfe, jetzt eben Grundsicherung oder Hartz IV genannt.

2. Die Höhe der Grundsicherung ist weiterhin ein zusätzlicher Skandal; der Betrag ist erneut vor dem Bundesverfassungsgericht; die letzte Erhöhung von lächerlich wenigen Euro auf Grund einer früheren Entscheidung des Gerichts ist uns noch in Erinnerung.

3. Das angeblich leitende Prinzip Fordern und Fördern ist nie richtig angewandt worden - wenn es denn überhaupt richtig ist; es war nie richtig ausbalanciert. Der Schwerpunkt war immer fordern – und das heißt faktisch der Zwang zur Annahme jeder Beschäftigung – ohne jeglichen Qualifikations- und Einkommensschutz. Gerade in Niedersachsen ist in der letzten Woche ein entsprechender eklatanter Fall bekannt geworden. Und der Zwang, jeden noch so schlechten Job anzunehmen, bedeutet vor allem das Befeuern des Niedriglohnsektors.

4. Die Bundesanstalt für Arbeit, dann in Bundesagentur umbenannt, wurde vollständig umgebaut. Zentrales Element dieses Umbaus ist die Einführung eines detaillierten, systematischen Controllings – in grotesker Dimension. Zentrale Kennziffer wurde die Vermittlung in Arbeit und zwar in jede Arbeit. Oder auch anders formuliert: Die Herrschaft der Zahlen ersetzte weitgehend die sozialpolitisch begründete Arbeitsmarktpolitik.

5. Mit der Einführung des SGB II ab 1.1.2005 erfolgte die scharfe Trennung der Regelkreise SGB II und III, statt der Zusammenlegung der Systeme Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe gab es nun eine viel drastischere Trennung; und das ergab wiederum völlig neue Interessenlagen, so dass jetzt mühsame Anstrengungen unternommen werden müssen, um Brücken und Verbindungen zwischen diesen beiden Systemen neu aufzubauen. Als Beispiel seien der gemeinsame Arbeitgeberservice und die Jugendberufsagentur in Hamburg genannt. Die grotesken Windungen beim Genehmigungsverfahren von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien hier nur kurz benannt.

In Bezug auf die Weiterbildung ist der folgende Punkt ausgesprochen wichtig: Die drastische Reduzierung der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik, ca. 50% weniger in 2003 bis 2006, parallel wurde dazu die systematische Ausschreibungspraxis eingeführt, die – uns allen leider bestens bekannt – zu einem ruinösen Wettbewerb führte, der wiederum einen drastischen Arbeitsplatzabbau nach sich zog, insgesamt sicherlich in einer fünfstelligen Größenordnung. Bei den Trägern führte das zur Schließung von Standorten und Einrichtungen bis hin zu zahlreichen Insolvenzen. Die Gehälter wurden in einer kaum vorstellbaren Dimension reduziert, im Durchschnitt um 30-50%. Und die Honorarbeschäftigung wurde bei gleichzeitigem Absenken der Honorare enorm ausgeweitet.

Nur eine kleine Anmerkung am Rande: Seit langem kritisieren wir die massive Förderung nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit in Form der Honorarbeschäftigung. Das ist schon eine sehr eigenwillige Form, wie die Bundesagentur hier die Verantwortung gegenüber ihren Betragszahlern wahrnimmt.

Allerdings, diese dramatische Entwicklung ist nicht allein den Hartz-Gesetzen geschuldet. Hartz ist ein drastischer Einschnitt und die Beschleunigung einer früher begonnenen Entwicklung, einer Entwicklung, die wir seit längerem kennen und immer wieder kritisiert haben. Seit Ende der 80er Jahre und deutlicher in den 90er wurden die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik immer wieder reduziert; das entsprechende Stichwort heißt Stop-and-Go-Politik. Es gab seitdem keine Ausweitung der finanziellen Mittel, die sich am Bedarf orientiert hätte, etwa an der immer weiter gestiegenen und verfestigten Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig mussten wir die schleichende Verschiebung der Zielsetzung der Arbeitsmarktpolitik registrieren: Während früher Qualifizierung zu einer dauerhaften, qualifizierten Beschäftigung führen sollte und eine gute Qualifikation als Voraussetzung gesehen wurde, ging es Schritt für Schritt nur noch um reine Vermittlung, egal auf welchen Job. Das bedeutete eine Verengung der Zielsetzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Die Weiterbildung hat sich von der dramatischen Krise 2003 bis 2006 nie richtig erholt; auch eine leichte Ausweitung der finanziellen Mittel nach 2007 hat nicht zu einer Konsolidierung geführt, auch nicht 2009, als es zu einem begrenzten Anstieg der Mittel kam.

Im Juni 2010 beschloss die Bundsregierung erneut drastische Kürzungen für die Jahre 2011 bis 2013, allein im sog. Rechtskreis SGB II um knapp 50%. Diese Kürzungen, verbunden mit vergleichbaren Kürzungen im Bereich SGB III, wenn auch anders begründet, führten zu einer erneuten Verschärfung auf dem Weiterbildungsmarkt mit erneutem Arbeitsplatzabbau, was ja immer auch und vor allem Abbau von Teilnehmerplätzen bedeutet, und weiteren Insolvenzen.

Über die Entwicklung der Beschäftigungsbedingungen will ich hier nichts weiter sagen; das wird Rolf Dobischat im folgenden Beitrag machen.

Ich möchte hier den Maßstab für unsere Kritik, die Kriterien deutlich machen. Dazu ein kleiner gedanklicher Ausflug oder auch Rückblick:

1969 wurde das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedet, übrigens noch von der ersten großen Koalition. Hintergrund war die Strukturkrise in der Schwerindustrie, also bei Kohle und Stahl. Mit diesem Gesetz sollte auf den Arbeitsmarkt regulierend eingewirkt werden. In § 1 des Arbeitsförderungsgesetzes heißt es:

„Die Maßnahmen nach diesem Gesetz sind im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung darauf auszurichten, dass ein hoher Beschäftigungsstand erzielt und aufrechterhalten, die Beschäftigtenstruktur verbessert und damit das Wachstum der Wirtschaft gefördert wird.“

Und § 2:

„Die Maßnahmen nach diesem Gesetz haben insbesondere dazu beizutragen, dass weder Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung noch ein Mangel an Arbeitskräften eintreten oder fortdauern,...“

Das Arbeitsförderungsgesetz war die Geburtsstunde der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Es wurde getragen von der Idee, dass Arbeitslosigkeit Arbeitsvermögen vernichtet, also streng volkswirtschaftlich gedacht. Als Instrumente waren Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen vorgesehen.

Übrigens war das Arbeitsförderungsgesetz, das 1998 dann in das SGB III übergeführt wurde, das am meisten novellierte Gesetz in der Geschichte der Bundesrepublik; allein in den zwanzig Jahre von 1969 bis 1989 gab es über 200 Änderungen.

Ziehen wir nun eine Bilanz der Veränderung der Politik und des Agierens der Bundesagentur - das kann hier natürlich nur angerissen werden, eine ausführliche Diskussion wäre notwendig - dann ergeben sich aus meiner Sicht folgende Positionen bzw. Forderungen:
  • Die Arbeitsmarktpolitik muss öffentliche Aufgabe bleiben,

  • Kernelement muss die Qualifizierung sein, Qualifizierungsmaßnahmen müssen ausgeweitet und innerhalb der Arbeitsmarktpolitik aufgewertet werden. Dabei muss der Schwerpunkt auf Abschlussbezogenen Maßnahmen liegen.

  • Der individuelle Rechtsanspruch auf Qualifizierung muss (wieder) eingeführt und gesetzlich verankert werden.

  • Dazu bedarf es zwingend einer deutlichen Ausweitung der finanziellen Mittel. Die Finanzierung muss stabil festgeschrieben werden und unabhängig von konjunkturellen Schwankungen und kurzfristigen Haushaltsentscheidungen bleiben.

  • Darüber hinaus muss eine kostendeckende Finanzierung gewährleistet werden. (Was das im Einzelnen heißt, muss noch diskutiert werden.)

  • Außerdem bedarf es einer kontinuierlichen und systematischen Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle – und eben keinen Verweis auf meist eigenwillige Qualitätsmanagementsysteme.

  • Und schließlich sind zwingend soziale Standards im Vergabeverfahren zu berücksichtigen, das heißt vor allem unbefristet festangestelltes sozialversicherungspflichtiges Personal.

  • Die Vertragsgestaltung muss eine angemessene Laufzeit haben und Planungssicherheit bieten (auch das muss diskutiert werden).

Diese Positionen sind keineswegs neu, ihnen liegt die unbestrittene Erkenntnis zu Grunde: geringe Qualifikation erhöht entscheidend das Risiko, arbeitslos zu werden und zu bleiben – eine Grundposition der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Mittlerweile gibt es die ersten Signale, dass vielleicht doch neue Erkenntnisse bei der Bundesagentur sich einstellen könnten. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), hat ganz aktuell festgestellt:

„Mit einem starken Rückgang der Arbeitslosigkeit ist vorerst nicht mehr zu rechnen, strukturelle Probleme werden deutlicher. Um die Beschäftigungschancen zu erhöhen, sollte die Arbeitsmarktpolitik auf eine wirksame Qualifizierungsstrategie fokussiert werden um der steigenden Bedeutung des harten Kerns der Arbeitslosigkeit Rechnung zu tragen.“
(IAB-Kurzbericht 18/2013, September 2013, Seite 1)

Bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis durchsetzt – auch wenn ich da immer recht skeptisch bin.

Abschließend noch zwei Aspekte:

Im Spiegel vom 24.6.2013 gab es mal wieder einen Artikel zur Bundesagentur mit dem Hinweis auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes zur Ausrichtung und Steuerung der Bundesagentur im Rechtskreis SGB II - ein bemerkenswerter Bericht.
Dieser Bericht ist nicht veröffentlicht, aber im Netz einfach zu bekommen, darin wird massive Kritik an der aktuellen Ausrichtung der Politik der Bundesagentur formuliert.
Hier einige zentrale Aussagen im Wortlaut:

„Das Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine wirtschaftliche Aufgabenwahrnehmung ist nach unseren Erkenntnissen unterschiedlich ausgeprägt. In Einzelfällen kann es auch soweit gehen, dass die Einsparungen von Haushaltsmitteln zum beherrschenden, die gesetzlichen Ziele des SGB II zurückdrängenden Faktor wird.“ (Seite 12)

„Wir bewerten es positiv, wenn wirtschaftliches Handeln für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen hohen Stellenwert hat. Die Bundesagentur sollte ihnen aber auch immer verdeutlichen, das Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht zu überinterpretieren. Das Ziel, Haushaltsmittel einzusparen, darf – wie in den zuvor geschilderten Einzelfällen – nicht dazu führen, dass die gesetzlichen Aufgaben hinten angestellt oder weniger beachtet werden.“ (Seite 14)

Weitere deutliche Kritikpunkte folgen, so die Orientierung an Leiharbeit sowie die Bevorzugung eher oder leichter vermittelbarer Erwerbsloser.

Zusammengefasst kann man sagen: Der Bundesrechnungshof kritisiert die Zahlenorientierung und verweist explizit und deutlich auf die (immer noch) bestehende sozialpolitische Begründung der Aufgaben des Bundesagentur für Arbeit.

Die Bundesagentur hat ihrerseits einigermaßen hektisch auf die Veröffentlichung im Spiegel reagiert, kurz danach gab es einen sog. Vorstandsbrief an alle Beschäftigten der Bundesagentur mit weitgehenden Rechtfertigungen. Zusätzlich startete der Vorstand eine „Charmeoffensive“ mit zahlreichen Interviews.

Und oh Wunder: Kurzerhand wurde auch das BA-interne Planungsverfahren für 2014 korrigiert, es wurde um qualitative Elemente ergänzt, im Detail zwar wieder etwas idiotisch, nämlich nur 25 % qualitative Ziele, aber solche Veränderungen dauerten früher Monate oder gar Jahre, und diese Korrektur war nach weniger als zwei Monaten fertig.

Die massive und substantielle Kritik des Bundesrechnungshofes ist für uns ein guter Ansatzpunkt, die Ausrichtung der Bundesagentur für Arbeit in der Arbeitsmarktpolitik insgesamt zu kritisieren, diese Kritik in die Öffentlichkeit zu tragen und für eine Neuausrichtung zu argumentieren,

Meine zweite Schlussbemerkung: Sie betrifft die prekäre Beschäftigung in der Weiterbildung:

Die Beschäftigung in der Weiterbildung ist durchgängig prekär. Im IAB Jahrbuch 2013 findet sich eine Statistik zur Befristung von Arbeitsverhältnissen als zentrales Merkmal prekärer Beschäftigung. Danach ist die Branche Erziehung und Bildung mittlerweile die Branche mit der höchsten Befristungsquote – über 42%, ein deutlicher Indikator für prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Wir kennen die Situation ja bestens.

Nun kann man beobachten, dass diese Beschäftigungssituation in der Weiterbildung mittlerweile auf andere Bildungsbereiche rüber schwappt. Zwei Beispiele: In Hamburg hat die grüne Schulsenatorin des schwarz-grünen Senats unter dem CDU-Bürgermeister von Beust in ihren letzten vier Amtsjahren ca. 25.000 Honorarverträge für Tätigkeiten in öffentlichen Schulen vergeben. Und in Niedersachsen klagt die Rentenversicherung gegen das Kultusministerium auf Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge für 7.000 bis 8.000 Honorarverträge, weil diese Honorarkräfte nach Ansicht der Rentenversicherung keine Honorarkräfte waren, sondern einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in den Schulen nachgingen.

Diese beiden Beispiele zeigen: Wenn wir uns gegen die Ausweitung der prekären Beschäftigung wehren und versuchen, ihre Ausweitung aufzuhalten und vielleicht sogar zurückzudrängen, dann machen wir das auch für andere Bildungsbereiche. Es geht nicht mehr allein um die Weiterbildung, in allen Bildungsbereichen greifen prekäre Beschäftigungsverhältnisse um sich.

Soweit der Einstieg. Ich hoffe auf Ergänzungen, Kritik und lebendige Diskussionen.
Vielen Dank.


Von Roland Kosiek

Redebeitrag auf der Fachtagung 10 Jahre Hartz-Gesetze: Was ist aus der beruflichen Bildung geworden?, 13 November 2013


Hier geht es zum Tagungsbericht.


Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufliche Weiterbildung, Öffentliche Beschäftigungspolitik, Honorar
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 03.04.2014

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024