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Für den Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sind langfristige Weiterbildungsmaßnahmen nicht erfolgreich – sein wissenschaftliches Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sieht das anders

Weise kritisierte auf einem Seminar der Bundesagentur für Arbeit nach Meldung von ZDF heute (7.4.2005) Umschulungen als zu teuer und erfolglos: "Generell gilt, lange Maßnahmen der Umschulungen sind nicht erfolgreich." Alle bisherigen Untersuchungen der Bundesagentur hätten ergeben, dass die Arbeitslosen nach Abschluss einer solchen Maßnahme nicht bessere, sondern sogar schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt hätten als die Arbeitslosen ohne diese Umschulungen.

Die BA finanziert zur Zeit für rund 100.000 Arbeitslose längerfristige Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung. Zahl der Maßnahmen und ausgaben wurden von der BA in den vergangenen Jahren deutlich reduziert worden. So gaben die Arbeitsämter 2002 noch 6,7 Milliarden Euro für Arbeitslose in Umschulungen aus, 2004 waren es nur noch 3,6 Milliarden Euro.

In zwei aktuellen Studien kommt das IAB zum Ergebnis, dass langfristige Weiterbildungsmaßnahmen die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt verbessert. Gleichzeitig nimmt die Chance zu, langfristig einen Anstellung zu erhalten bzw. zu behalten.

In einer Studie über Aus- und Weiterbildungen im Krankenpflegebereich wird das Fazit gezogen:
„Insgesamt kann für Personen, die an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im Pflegebereich teilgenommen haben, eine gute Perspektive der Arbeitsmarktintegration festgestellt werden: Die Eingliederungsquoten für diesen Personenkreis sind deutlich höher als die für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Allgemeinen oder für FbW-Maßnahmen insgesamt. Die meisten Teilnehmer, die eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt aufgenommen haben, behalten diese auch über längere Zeit bei. Und die Mehrzahl von ihnen findet Arbeitsstellen, die dem Zielberuf entsprechen, der mit der Maßnahme erlernt bzw. in dem weitergebildet wurde.

Den meisten Teilnehmern gelingt es relativ schnell nach Austritt aus den Maßnahmen, Beschäftigung zu finden. Die Quoten derjenigen, denen ein Übergang in Beschäftigung bzw. in den erlernten Pflegeberuf gelungen ist, nehmen effektiv – das heißt, bei Berücksichtigung zensierter Fälle – auch nach einem relativ langen Zeitabstand von bis zu vier Jahren noch leicht zu. Die Konzentration der BA-Statistik auf die Arbeitsmarktintegration von FbW-Teilnehmern sechs Monate nach Maßnahmebeendigung greift bei diesem Teilarbeitsmarkt zu kurz; die realen Integrationserfolge werden unterschätzt.“

Probleme bereiten hier insbesondere fehlende vorherige berufliche Qualifikation und der vorzeitige Abbruch bzw. Nichtbestehen der Maßnahmen. Kann eine Umschulung als Weiterbildung genutzt werden, führe sie zu höheren Übergangsquoten in Beschäftigung im erlernten Beruf. Auch die allgemeine Lage auf dem regionalen Arbeitsmarkt und im neu erlernten Beruf beeinflussen den erfolg der Maßnahme.

„Deutlicher als die in den Ereignismodellen untersuchten Effekte beeinflusst allerdings der Abschluss der FbW-Maßnahmen die Arbeitsmarktintegration: Teilnehmer, die die Qualifizierungen vorzeitig abgebrochen oder ohne bestandene Prüfung beendet haben, haben deutlich schlechtere Erwerbschancen, insbesondere im Zielberuf der Maßnahme. Daneben hängt der Erfolg von Qualifizierungen stark von der Arbeitsmarktlage im speziellen Berufssegment ab. So weisen qualifizierte Altenpflegekräfte und Sanitäter sehr hohe berufsspezifische Beschäftigungsquoten auf, Krankenschwestern und -pfleger etwas geringere und Helfer in der Krankenpflege deutlich geringere.“

Zur Beschäftigungssituation hält die Studie fest:

„Unmittelbar nach Beendigung der Maßnahme münden 44 Prozent der Teilnehmer ohne weitere Maßnahmeunterstützung des Arbeitsamtes in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein, nach einem halben Jahr ist der Anteil auf 60 Prozent angestiegen. Danach vergrößert sich der Anteil der Wiederbeschäftigten nur noch geringfügig, um sich 18 Monate nach Maßnahmeende bei knapp zwei Dritteln einzupendeln.“
„Unmittelbar nach Beendigung der Maßnahme ist über ein Drittel der Teilnehmer zunächst arbeitslos. Sechs Monate später ist der Anteil auf 16 Prozent zurückgegangen und nach eineinhalb Jahren pendelt sich der Arbeitslosenanteil bei elf Prozent ein.“
„Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Arbeitsmarktintegration der untersuchten Gruppe positiv verläuft: Die Eingliederungsquote von 62 Prozent sechs Monate nach Beendigung der Qualifizierungen liegt deutlich über den Quoten für alle Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (39 Prozent) und für FbW-Maßnahmen (39 Prozent) für das Jahr 2002 (Bundesanstalt für Arbeit 2003). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Maßnahmeteilnehmer mehrheitlich im Zielberuf oder in eng verwandten Pflegeberufen erwerbstätig werden.“

Eine zweite Studie beschäftigt sich mit „Internationalen Evaluierungsergebnisse zu Wirkungen aktiver und aktivierender Arbeitsmarktpolitik“. Auch hier wird eine deutlich verbesserte Chance auf eine neue Beschäftigung festgestellt, die langfristig Bestand hat. Besonders wichtig ist der lange Zeithorizont, der hier untersucht wurde.

„Die Daten ermöglichen auch die Identifikation langfristiger Maßnahmeeffekte über einen Zeithorizont von mehr als sieben Jahren. Die Ergebnisse bestätigen zunächst die erwarteten negativen „Locking-in“ Effekte nach dem Beginn der Maßnahmen. Kurzfristig zeigten alle Maßnahmen negative Effekte. Längerfristig (d. h. über einen Zeitraum von ungefähr vier Jahren) haben die meisten Programme jedoch positive Effekte. Allerdings sind die Beschäftigungseffekte der verschiedenen Programme sehr unterschiedlich. Die Studie zeigt, dass mehrjährige Umschulungsprogramme die Beschäftigungsrate der Teilnehmer langfristig am höchsten (durchschnittlich 10 bis 15 %) erhöhen. Kurze (bis zu sechs Monate) und lange (mehr als sechs Monate) Fortbildungsmaß nahmen zeigen ebenfalls positive, jedoch insgesamt geringere Beschäftigungseffekte (5 bis 9 % nach sieben Jahren) verglichen mit der Nicht-Teilnahme. Bei der Betrachtung von aggregierten Netto-Beschäftigungseffekten schneiden kürzere Fortbildungen dagegen am besten ab. Umschulungen zeigen hingegen nach sieben Jahren keine signifikanten Netto-Beschäftigungseffekte. Dieser Zeithorizont reicht somit gerade aus, um den anfänglichen negativen Lock-in-Effekt auszugleichen Die Autoren kommen aufgrund dieser Ergebnisse zu dem Schluss, dass die wesentliche Ursache für die in den meisten Studien festgestellten fehlenden positiven Effekte von Qualifizierungsprogrammen in dem negativen Anfangseffekt (Lock-in) liegt, der umso größer ist, je länger das Programm dauert. Zudem sind die Beobachtungszeiträume von Evaluationsstudien üblicherweise nicht lang genug, um mittelfristig positive Effekte zu entdecken.“

Der negative Anfangseffekt oder Lock-in ist die zeit, in der die Weiterbildung stattfindet und dementsprechend keine sozialversicherungspflichtige Arbeit ausgeübt werden kann. Nur durch diesen statistischen Effekt kommen keine höheren Beschäftigungseffekte für die Betroffenen zustande. Wenn das so ist, dann muss nach der Bildungsmaßnahme eine deutliche bessere Beschäftigungssituation vorliegen, um diesen negativen Anfangseffekt auszugleichen. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in Österreich ermittelt.

„Auch international zeigt sich, dass nur langfristig angelegte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen eindeutig positive Effekte zeigen. Die Studie von Zweimüller und Winter-Ebmer (1996) evaluiert das Berufsausbildungsprogramm (Vermittlung von Fähigkeiten angesichts des Strukturwandels und gezielte Unterstützung von Problemgruppen wie junge, behinderte und Langzeit-Arbeitslose) in Österreich. Unter Berücksichtigung der selektiven Natur der Programmteilnahme finden die Autoren, dass die Programmteilnahme die Beschäftigungsstabilität nach Beendigung der Teilnahme stark erhöht.“
Die Autoren ziehen aus den vorliegenden Studien das Fazit:
  • Qualifizierungsprogramme haben einen negativen Anfangseffekt (Lockin-Effekt) auf die Beschäftigungsraten von Teilnehmer.
  • Mittel- bis langfristig zeigen aber sowohl kurzfristige als auch langfristige Weiterbildungsprogramme einen positiven Brutto- als auch Nettoeffekt.
  • Langfristige Qualifizierungsprogramme (Umschulungen mit zertifiziertem Abschluss) erhöhen das Humankapital und damit die langfristige Beschäftigungsrate der Teilnehmer.
  • Arbeits- und betriebsnahe Qualifizierungsmaßnahmen („On-the-jobtraining“) sind wirksamer als rein schulische Programme („Classroom vocational training“), die zudem am kostenintensivsten sind und damit im Verhältnis Nutzen-Kosten am ineffizientesten.
  • Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung weisen i. d. R. keine Verdrängungseffekte auf.

Beide Studien verdeutlichen
  1. dass langfristige Bildungsmaßnahmen eindeutig die Beschäftigungschancen verbessern
  2. dass die Chance, die neu gefundene Beschäftigung auf Dauer zu behalten, vor allem durch berufsqualifizierende Weiterbildungen zu erreichen sind
  3. dass die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt und im neu erlernten Beruf die Chancen auf neue Beschäftigung wesentlich beeinflussen.

Bleibt die Frage, warum die Bundesagentur für Arbeit zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt als ihr wissenschaftliches Institut. Entweder werden die Studien nicht gelesen, nicht zur Kenntnis genommen. Oder die eigenen Erhebungen dienen lediglich dem Zweck, die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit für langfristige Weiterbildungsmaßnahmen auf Dauer einzustellen.

Vielleicht sind die Äußerungen von Weise aber auch nur einfach die Wiedergabe von Wünschen der Opposition und den Arbeitgeberverbänden. Beide kritisieren immer wieder die Ausgaben für die Umschulungen. Sie wollen Umschulungen weitgehend abschaffen und stattdessen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken.

Die Bundesagentur ist zumindest aufgefordert, ihre eigenen Erhebungen zu veröffentlichen. Nur dann kann festgestellt werden, welche Gründe die unterschiedlichen Ergebnisse begründen.

Die Studien des IAB

IAB Forschungsbericht 9/2005
Lessons learned Internationale Evaluierungsergebnisse zu Wirkungen aktiver und aktivierender Arbeitsmarktpolitik
Autorin: Regina Konle-Seidl

IAB Forschungsbericht 11/2005
Aus- und Weiterbildungen im Pflegebereich
Eine Analyse des Eingliederungsprozesses in Erwerbstätigkeit
AutorInnen: Corinna Kleinert, Hans Dietrich

können auf ihrer Homepage als kostenloser download heruntergeladen werden.

Quelle: Eigenbericht Netzwerk-Weiterbildung

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006