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Weiterbildungsarmut und Sozialstaatserosion

Tiefe Einschnitte in das System sozialer Sicherung, wozu auch Weiterbildungsmöglichkeiten gehören, werden vorangetrieben. Der Schutz vor sozialen Risiken, an vorderster Stelle Erwerbslosigkeit und Armut, wird abgebaut; Kompensationsleistungen gegen Selektivität und fehlende Gerechtigkeit, wie z.B. Weiterbildungsmöglichkeiten, werden eingeschränkt.
Faulstich stellt fest: „Um angesichts der hochdiffusen Nebeldiskussion wenigstens einigermaßen Klarsicht zu behalten, müssen erstens die aktuellen Konzepte des Hartz-Policy-Mixes, zweitens dessen langfristige Verortung, drittens die konkrete Situation der beruflichen Weiterbildung geklärt werden, um (viertens) zu Einschätzungen möglicher Perspektiven zu kommen.“

Hartz-Konstellation

Die sogenannten Hartz-Gesetze bewirken im Bereich der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Verschiebung von Weiterbildung zur Vermittlung. Arbeitsmarktpolitisch führt sie zu gravierenden Einschränkungen bei der „’Förderung der beruflichen Bildung’ (Faulstich u.a. 2004; Schuldt/Troost 2004), indem ‚aktive Arbeitsmarktpolitik’, welche eine präventive Kompetenzentwicklung umfasste, auf direkte Vermittlungsstrategien für bestehende Arbeitsplätze reduziert wird.“ Tarifpolitisch wird versucht, das Lohnwachstum unter den Anstieg der Arbeitsproduktivität zu senken. Ausgleich etwa durch Tarifpoltische Regelungen für Lernzeiten sind aber bisher die Ausnahme.

Erosion des Sozialen

Der Staat ist in die Zwickmühle geraten. Rationalisierung der Arbeit und Globalisierung des Kapitals führen zu einer „anhaltenden Finanzkrise angesichts der Entwertung des Faktors Arbeit einerseits und der Verantwortungslosigkeit des global entbundenen Kapitals andererseits.“ Das „Sozialpolitische“, das immer mehr als Hilfe gegen Not und Armut umfasste, mutiert vom Problemlöser zum Problemverursacher. „Die Grundsatzkritik lautet, dass die für die soziale Marktwirtschaft charakteristische Verbindung von marktwirtschaftlicher Dynamik und sozialpolitischer Gestaltung in den zurückliegenden Dekaden zwar außerordentlich erfolgreich war, unter dem Eindruck anhaltender Krisen aber nicht mehr fortgeschrieben werden könne. Denn es sei der ausgebaute Sozialstaat, der für die Krisenerscheinungen in Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlich zeichne. Sozialpolitik habe sich damit vom Problemlöser zum Problemverursacher entwickelt und gefährde die Zukunftschancen“ (Bäcker u.a. 2000, 40).

Weiterbildungsarmut

Nach Faulstich werden „Sozial- und Bildungspolitik immer noch getrennt verhandelt, obwohl dies der Logik der „Wissensgesellschaft“ widerspricht und sich beide policy-Felder ineinanderschieben. Dies wird besonders deutlich bei der Weiterbildung.“ Die Bereitstellung und Sicherung von Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten müsse daher als Beitrag zu Sicherheit und Gerechtigkeit betrachtet werden.

Mit der Neuausrichtung der beruflichen Weiterbildung durch die BA wurde das bisherige Funktionsbündel der beruflichen Weiterbildung aufgelöst. Das neue Handlungsprogramm geht von folgender Prämisse aus: „Vermittlung ist „Kerngeschäft“; wo diese eingeschränkt ist, gilt es Perspektiven zu ändern oder Hürden abzubauen. Qualifizierung greift nur als besondere Förderung. Beruflichkeit, Bildung und soziale Integration werden ausgegliedert, ohne dass gleichzeitig alternative Institutionen geschaffen werden.“ Diese Politik führt zu einer erheblichen Einschränkung der für berufliche Weiterbildung vorgesehenen Haushaltsmittel.

„Die Sorge ist berechtigt, dass Angebotsstrukturen zusammenbrechen, die, wenn keine alternativen politischen und finanziellen Absicherungen greifen, für die Möglichkeiten „lebenslangen Lernens“ auf dem Weg zur „Wissensgesellschaft“ unersetzbar sind.“ Durch die Senkung der Förderung von knapp 7 (2001) auf weniger als 4 Milliarden Euro sinken die Teilnahmechancen an beruflicher Weiterbildung für Erwerbslose drastisch.

Zugleich führen sinkende Teilnahmechancen zu verschärfter sozialer Selektion. „Die Entwicklung der Ausgrenzung ist besonders gravierend bei den Langzeitarbeitslosen, den Schwerbehinderten und den Älteren. Insgesamt verschärft die „Reform“ die soziale Selektivität: Die Weiterbildungsteilnehmer werden durch Vorabselektion einer Positivauswahl unterworfen. Adressaten der „Maßnahmen“ werden diejenigen, von denen zu erwarten ist, dass sie die geringsten Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung haben werden.“

Alternativen zur gegenwärtigen Politik

Die Angriffe gegen die aktive Arbeitmarktpolitik sind durch Untersuchungen nicht zu stützen. „War man in den Angriffen gegen die berufliche Weiterbildung bislang davon ausgegangen, dass kurzfristige Qualifizierungsprogramme generell wirksamer sind als längere, formaler ausgerichtete Maßnahmen, zeigen neuere, auf umfangreicheren Datengrundlagen basie renden und längere Zeiträume betrachtende Evaluierungsstudien, dass kurz- und langfristige Qualifizierungsprogramme zwar negative Anfangseffekte (Lock-in-Effekt) auf die Beschäftigungsraten von Teilnehmern haben, aber mittel- und langfristig positive Resultate aufweisen.“

Faulstich stellt abschließend fest:
„Kurzfristige Haushaltssicherung zerstört langfristige Entwicklungsmöglichkeiten in der Weiterbildung und erzeugt negative soziale Konsequenzen. Es geht demgegenüber darum, gegen Versuche, Weiterbildung auf eine „Lückenbüßerfunktion“ zu reduzieren, langfristig die Bedeutung von Bildung und besonders Weiterbildung für Gesellschaftsentwicklung und für die Sicherung des Sozialen festzuhalten. Dies geht über Beruflichkeit hinaus und umfasste Perspektiven der Lebensweise, der Sinnhaftigkeit persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Strukturen. Insofern müssen alternative Institutionalisierungs- und Finanzierungsformen entwickelt werden (Faulstich u.a. 2004), welche die Zugänge zu Weiterbildung und soziale Teilhabe insgesamt sichern. Die Finanzkrise der öffentlichen Haushalte ist primär nicht durch zu hohe Ausgaben, sondern durch zu niedrige Einnahmen verursacht. Es geht um die Mittelaufbringung.“

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Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 29.04.2005