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„1-Euro-Jobs“ verdrängen reguläre Arbeitsplätze!

Geht es nach der Bundesregierung, so sollen mit Hartz IV rd. 20 % aller Langzeiterwerbslosen in so genannten 1-€-Jobs arbeiten. Dabei handelt es sich um Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung von eben einem Euro pro Stunde zusätzlich zum neuen Arbeitslosengeld II (Alg II). Es entsteht kein Arbeitsverhältnis, kein Anspruch auf Übernahme, dafür aber Verpflichtungen. Diese Arbeitsgelegenheiten nach § 16, Abs. 3 des neuen Zweiten Sozialgesetzbuches SGB II sollen im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich zu bestehenden Tätigkeiten eingerichtet werden. Bei Weigerung droht zunächst die Kürzung der Regelleistung von 345 Euro um 30 % für drei Monate und bei wiederholter Ablehnung um 60%. Jugendlichen unter 25 wird für diese Zeit das Alg II komplett gestrichen. Die aktuell eingeführten Gesetzesänderungen sehen Pflichtarbeiten für über 800.000 Erwerbslose vor. Allein Hamburg plant 10.000 1-€-Jobs, Berlin 35.000.

Der Hauptzweck von Arbeitsgelegenheiten (1-€-Jobs) soll die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt sein. Für diese Zielgruppe sollen die Einzelmaßnamen nach dem Willen des Gesetzgebers den wesentlichen Nutzen erbringen. Die Berichte über Einsatzfelder von 1-€-Jobs lesen sich aber wie Auszüge aus den Regelaufgabenkatalogen von Kommunen oder Einrichtungen der Kommunen und der Wohlfahrtspflege. Beispiele, zusammengestellt aus Zeitungsberichten, Mailinglisten und Veröffentlichungen der Vereintendienstleistungsgewerkschaft ver.di:
  • Unterstützung von Hausmeistern bei der Reparatur von Gebäuden
  • Unterstützung bei der Pflege und Instandhaltung von Wegen, Spielplätzen und Parks
  • Unterstützung bei der Stadtreinigung
  • Unterstützung im Betrieb von Universitätsbibliotheken
  • Unterstützung bei wissenschaftlichen Versuchen in Universitäten
  • Unterstützung bei der Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten und Schulen
  • Unterstützung bei hauswirtschaftlichen Arbeiten in Schulen, Kindertagesstätten und Pflegeeinrichtungen (Zubereitung von Mahlzeiten, Reinigungsarbeiten).

Hintergrund Stellenabbau

In den letzten 14 Jahren wurde der Personalbestand des öffentlichen Dienstes durch Kürzung der Stellenpläne, durch Leistungsverdichtung und durch Privatisierungen um fast zwei Millionen Personen reduziert. Die Kommunen verloren fast 600.000 Stellen. Allein der Anteil der Gemeindearbeiter wurde von 660.200 auf 324.900 mehr als halbiert.

Der weiterhin akute Personalabbau in den Kommunen und die Unterfinanzierung für die bestehenden und wachsenden Aufgaben verführt Kommunen zum missbräuchlichen Einsatz von 1-€-Jobs. Nach bisherigen Erfahrungen werden in sehr vielen Fällen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, weil Pflichtaufgaben der öffentlichen Hand als Arbeitsgelegenheiten definiert werden.
Dies sind alle Arbeiten, die die Hygiene, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten müssen. Hierzu zählt auch die Verkehrssicherheit in öffentlichen Gebäuden, auf öffentlichen Wasserstrassen, Strassen, Wegen, Plätzen, Spielplätzen, Wäldern und Parkanlagen. Instandhaltungsarbeiten zur Verkehrssicherheit, Abfallbeseitigungen und Reinigungsarbeiten zur Sicherung der gesetzlichen Hygieneanforderungen sind Regelaufgaben.

Ebenso der gesetzlich vorgeschriebene sichere oder hygienische Betrieb von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen, Kindertagesstätten, Schulen, Universitätseinrichtungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendpflege, dies betrifft fast alle Reinigung- und Reparaturarbeiten.
Der Einsatz zur Wahrnehmung von gesetzlichen Erziehungs-, Ausbildungs- und Aufsichtspflichten gegenüber zu schützenden Schülern, Kindern, Jugendlichen, Kranken oder Behinderten sind gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben.
Gleichfalls die gesetzlich vorgeschriebenen Archivierungs- und Dokumentationspflichten in Betrieben und Verwaltungen.
  • Aufgaben der Sprachförderung oder der Förderung von Lernschwachen sind reguläre Aufgaben aus den Länderschulgesetzen. Bisherige Praxis Bundesweit wurden bisher ca. 200 000 1-€-Jobs geschaffen. Allein in der Hauptstadt und im Land Brandenburg gibt es inzwischen 16000 solcher Arbeitsgelegenheiten in der Grünflächenpflege, bei sozialen Diensten und im Schul- und Bildungsbereich. Auch in den folgenden Feldern sind Arbeitsgelegenheiten bereits eingerichtet worden.
  • So gibt es an Berliner Schulen ca. 500 dieser Arbeitsgelegenheiten, obwohl seit 1992 im Zuge von Sparmaßnahmen und Schülerschwund 10 000 Stellen im Bildungsbereich weggefallen seien.
  • In einer Grundschule in Berlin/ Neukölln, in der etwa 30 Leute auf ABM oder 1-€-Basis beschäftigt sind, decken diese alle möglichen Bereiche ab: Kantine, Wartung und Betreuung des Computerraumes, Renovierungen und Hausmeisterarbeiten, Sportgruppe, Einzelunterricht mit auffälligen Kindern, Schulhort (sog. "Schulstation"). Für die Betreuung im Schulhort gab es z.B. vor fünf Jahren noch zwei fest angestellte Erzieherinnen, danach lief es auf ABM-Basis, jetzt sind es 1-€-Stellen. Der Schulbetrieb würde ohne diese Maßnahmen völlig zusammenbrechen. Die Betroffenen bekommen kein Krankengeld und müssen ihr BVG-Monatsticket selber zahlen. Von den 180 Euro Zuverdienst müssen 32 Euro alleine für die öffentlichen Verkehrsmittel bezahlt werden.
  • Angeblich zusätzliche Leistungen in Schulen in Hannover: Förderverein beschäftigt 1-€-Jobber als Küchenhilfe und Hausaufgabenbetreuer.
  • Angeblich zusätzliche Sportförderung in Recklinghausen: ARGE plante ohne Beiratsbeteiligung den Einsatz von mehreren Hundert 1-€-Jobbern zur Sanierung städtischer Sportanlagen. Landkreis Barnim: Sportbetreuung.
  • Angeblich zusätzliche kommunale Kulturarbeit: In Niedersachsen hat die Landesregierung die öffentliche Förderung von 350 Kulturinitiativen massiv gekürzt oder ganz gestrichen. Hier droht der Ersatz von Arbeitsverhältnissen durch Arbeitsgelegenheiten. Rostock und Eberswalde: Notwendige Arbeiten im Zoo.
  • Angeblich zusätzliche Pflege und Verschönerung des öffentlichen Raumes in Fraureuth bei Zwickau: 1-€-Jobber malern und tischlern für kommunale Räume.
  • Beispiel Templin: Sielplatz und Parkpflege.
  • Thüringen: Rad- und Wanderwege herrichten.
  • Frankfurt/M: 40 1-€-Jobber in Uniform leeren Recyclingtonnen und erledigen Reparaturen in Parkanlagen.
  • Angeblich zusätzliche Leistungen in Hochschulen, Volkshochschulen, Bibliotheken: Eindeutiger Missbrauch in Universitätsbibliotheken in Erfurt und Jena: 1-€-Jobber erledigen Revisionsarbeiten.
  • Umzug in der Uni-Bibliothek Freiburg mit 1-€-Jobbern. 1-€-Jobber auch an bayerischen Fachhochschulen.
  • Im Bildarchiv der Universität Marburg wurden 1-€-Jobs eingerichtet, gleichzeitig liefen parallel die Verträge der studentischen Beschäftigten aus. Am gleichen Ort werden Arbeitsgelegenheiten in Bibliotheken eingerichtet.
  • Angeblich zusätzliche Integrationsleistungen gegenüber Immigranten in Hamburg: Der Senat kürzt die Anzahl der Deutschstunden für Migrantenkinder. Ein Träger mit 1-€-Jobs schließt die Lücke wieder.
  • 19.300 "1-€-Jobs" hatten diverse Einrichtungen und Träger in Hamburg beantragt, doppelt so viele wie der Senat selbst geplant hatte.
  • Angeblich zusätzliche Leistungen in der Kinder- und Jungendpflege: Ministerin Künast schlägt Einsatz von arbeitslosen Köchen als 1-€-Jobber zur Ernährungsberatung in Kindertagesstätten vor.
  • Beispiel Templin: Entlastung von Erziehern in der Kita.
  • Angeblich zusätzliche Leistungen bei sozialpolitischen gemeinnützigen Vereinen in Berlin: Arbeitslosenverband Deutschlands und Friedrichshainer Erwerbslosenverein bieten 1-€-Jobs an.
  • Angebliche Zusätzlichkeit von Umzügen in Berlin Neukölln: Eine Dienststelle des Bezirksamtes zieht um, 1-€-Jobber werden dabei eingesetzt.
  • Angebliche Zusätzlichkeit von Krankentransporten in Gummersbach bei Köln: Kommerzieller Krankentransporteur ersetzt fest angestellten Fahrer durch vom Krankenhaus ausgeliehen 1-€-Jobber.
  • Auf Borkum werden zum Beispiel 23 Ein-Euro-Jobber als Bauhelfer für ein neues Wellneßbad eingesetzt. Im nordrhein-westfälischen Münster denken das städtische Ordnungsamt und der Kreistag über 50 Ein-Euro-Jobber für Aufgaben nach, die bisher von städtischen oder privaten Reinigungsbetriebe übernommen wurden. Hier wurden auch Mitarbeiterstellen im Gartenbauamt in Frage gestellt. Im Landkreis Emden wurde die Stelle eines städtischen Gärtners explizit deshalb nicht verlängert, weil die Arbeit nun durch einen Ein-Euro-Jobber erledigt werden könne. Im Hamburger Stadtteil Kirchdorf-Süd wird eine ganze Postfiliale von Ein-Euro-Jobbern betrieben.
  • Angeblich zusätzliche Leistungen für Senioren in einem Pflegeheim in Krefeld: Abfallentsorgung, Wäschetransport, Garten- und Lagerarbeiten.
  • Bei einem der Beschäftigungsträger in Berlin machten zukünftige 1-€-JobberInnen eine Pflege-Kurs, um anschließend im Bereich der Altenpflege eingesetzt zu werden. Dieser 200 Stunden umfassende Basis-Kurs war bisher die Grundausbildung zur Pflegehelferin für einen regulären Job mit Arbeitsvertrag im Pflegebereich. Für Anbieter von Pflegedienstleistungen werden jedoch in Zukunft die 1-€- Jobber (bei gleicher Qualifizierung) die billigere Variante sein.
  • In einem Pflegeheim bei Nienburg/Weser wurden zu Beginn des Jahres sieben Arbeitsplätze im Bereich Küche und Reinigung gekündigt - die Geschäftsführung wollte sie durch 1-€-Jobber ersetzen. Erst der Protest der Gekündigten sorgte dafür, dass die Stellen jetzt unbesetzt sind.
  • Frankfurter Beispiel: Die "Gemeinnützigen Frankfurter Frauenbetriebe" (GFFB) orderten im September 2004 sage und schreibe 360 1-€-Jobber, - Dolmetscher, EDV-Fachleute, Bibliothekare, Hausmeister, Seniorenbetreuer, Bürohilfen etc. Über entsprechende Einrichtungen verfügen sie nicht, aber egal, die Erwerbslosen werden eben an andere verliehen, die den Status der Gemeinnützigkeit innehaben oder "im öffentlichen Interesse" arbeiten. Der Trick: sie kassieren die Aufwandsentschädigung (das Kopfgeld), zahlen davon die "Verdienste" (Löhne sind es ja nicht) inklusive einer ermäßigten Monatskarte aus und sacken den Rest ein.
  • Die Caritas Frankfurt hat gegenwärtig in der Universität plakatiert, um für Ein-Euro-Jobber unter den Hochschulabsolventen zu werben und zu einer Veranstaltung einzuladen. Man möchte "mit interessierten Akademiker/innen zusammen ... neue Ideen und Projekte für bedarfsgerechte Arbeitsgelegenheiten entwickeln".
  • Die Stadt Bochum setzt auf einen umfassenden Ausbau von 1-€-Jobs in der Grünflächenpflege, in der Altenbetreuung und auch in einem besonders sensiblen Bereich: in Schulen Bochums.
  • Der massive Einsatz von 1-€-Jobbern spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau von "Offenen Ganztagsschulen" in NRW.
  • Der Beschäftigungsträger INTEGRAL gehört zum Landkreis Marburg - Biedenkopf und ist somit an forderster Front an der Umsetzung des SGB II im Optionsmodell dieses Landkreises beteiligt. Dazu gehört seit 8/2004, nach der neuen Ausschreibung und Übernahme von einem gewerblichen Träger, auch die Kantine des Landratsamtes, wo der Landrat und der zuständige Sozialdezernent speisen. Diese lassen sich seit November das Essen von 1-€-Jobberinnen servieren, wo früher regulär Beschäftigte arbeiteten.
  • Für 16-18 Schulen im Landkreis Marburg - Biedenkopf betreibt INTEGRAL die sehr lohnenden Schulkioske und verdient gut dabei. Weniger gut verdienen die Arbeitskräfte, exakt 1,50 €/h. So wird doppelt kassiert: die so genannte Fallpauschale und der Gewinn. Um dies zu kaschieren, werden die Betroffenen in den Schulferien in Unterrichtsräume gesteckt.
  • Die Praxis GmbH, ein Beschäftigungsträger in Marburg beschäftigt 123 1-€-Jobber. In allen Gewerken: im Fahrdienst, Recycling, Elektrowerkstatt, Holzwerkstatt, Verkauf (Siemensstr. Relectro), Bürger-Service (Bauarbeiten im städt. Auftrag), Abfallberatung, "Verschönerungsverein", Pädagogische Abteilung (Beratung und Qualifizierung), Telefonzentrale (Verwaltung), Bio-Therm (Holzhack- und Waldarbeit). Insgesamt gibt es im Landkreis im Juli 2005 bereits 800 1-Euro-Jobs.
  • Klagen gegen 1-€-Jobs: Angeklagt ist die Stadt Weida (Thüringen), die 1-€-Jobber zum Schneeräumen und als Erzieher im Kindergarten eingesetzt haben soll. In mehr als acht Fällen hat die Ostthüringer Kommune 1-€-Jobber in Bereichen eingesetzt, die zum ersten Arbeitsmarkt in Konkurrenz stehen.
  • In Weiden (Oberpfalz) klagt ein 1-€-Jobber auf Anstellung gegen den Malteser Hilfsdienst, da der Berufskraftfahrer ganz offensichtlich lange bestehende Touren übernommen hatte.

Die "Zusätzlichkeit" der Arbeitsgelegenheiten wird oft einfach vorgegeben, vor allem aber wird sie täglich produziert: der Kahlschlag in allen Bereichen des Bildungssystems und des sozialen Hilfesystems, die Ausdünnung öffentlicher Infrastruktur, jede Entlassung und jede geschlossene Einrichtung schafft neue "Zusätzlichkeiten", mit denen 1-€-Jobs gefordert und begründet werden. "Zusätzlich" sollen auch staatliche Regelaufgaben sein, die durch neue Gesetze entstehen. Die Perspektiven sind bedrohlich: wer im Bildungs- und Sozialbereich gekürzt wird, kann nach gut einem Jahr genau dort hin für einen Euro zwangsverpflichtet werden. Für die regulären Beschäftigungsverhältnisse im Öffentlichen Dienst, bei Bildungseinrichtungen und bei sozialen Diensten sind die 1-€-Jobs eine permanente Bedrohung.

Zunehmend wird der Sozial- und Bildungsbereich als Markt organisiert, der Einsatz von 1-€-Jobs ist dabei ein neues Instrument. Deren ausufernder Einsatz in der öffentlichen Daseinsvorsorge treibt die Träger und Einrichtungen in einen ruinösen Dumpingwettbewerb. Besonders betroffen vom Verdrängungsprozess werden all die Bereiche sein, die direkt oder indirekt öffentlich gefördert und seit Jahren strukturell unterfinanziert sind. Viele soziale Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, Initiativen, etc., die zusätzliche kostenlose Arbeitskräfte einsetzen, werden bald feststellen, dass nachfolgende weiterer Mittelkürzungen die 1-€-Jobber zum Bestandteil ihrer Basisstruktur werden lassen - und sie selber zu Aufsehern. Die z.Z. in 1-€-Jobs beschäftigten verfügen über ein mittleres bis (sehr) hohes Qualifikationsniveau. Die Legitimation mittels einer angeblich notwendigen Arbeitsgewöhnung und Qualifizierung ist damit widerlegt.

In dieser Situation ist sofortiges Handeln notwendig! Der ver.di – Erwerbslosenausschuss im Bezirk Mittelhessen lehnt 1-Euro-Jobs ab und fordert tarifliche Bezahlung für alle Beschäftigten. Insbesondere muss der Verlust von weiteren Arbeitsplätzen verhindert werden!

Quelle: Presseinformation des ver.di - Erwerbslosenausschuss im Bezirk Mittelhessen

Weitere Informationen zum Arbeitslosengeld II (Alg II) finden Sie auf der Homepage Tacheles, einer Wuppertaler Selbsthilfeorganisation von Betroffenen.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Krankengeld, Volkshochschule, Hochschulen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009