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Europäischer Qualifikationsrahmen (EQF)

Stellungnahme des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung

Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hat sich in seiner Sitzung am 14. Dezember 2005 mit dem Thema „Europäischer Qualifikationsrahmen (EQF)“ befasst und dazu eine Stellungnahme verabschiedet.

Die Stellungnahme des Hauptausschusses zum „Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF)“ im Wortlaut:

Der Hauptausschuss des Bundesinstitut für Berufsbildung begrüßt die Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens, der als übergreifendes Transparenz-, Vergleichs- und Übersetzungsinstrument nicht nur die Mobilität zwischen den Bildungssystemen, sondern auch die berufliche Mobilität im Europäischen Arbeitsmarkt fördert. Diese zweifache Zielsetzung wird sich allerdings nur unter der Voraussetzung verwirklichen lassen, dass beschäftigungsnahen Qualifizierungsprozessen der Aus- und Weiterbildung gegenüber der schulischen und akademischen Ausbildung ausreichend Rechnung getragen wird. Aus Sicht des Hauptausschusses birgt eine solche Ausrichtung des EQF auch die Möglichkeit, auf nationaler Ebene die Durchlässigkeit zwischen der beruflichen Aus- und Fortbildung sowie der Hochschulausbildung zu befördern. Auf nationaler Ebene bewährte Formen beruflicher Qualifizierung und umfassender beruflicher Handlungsfähigkeit (Berufsprinzip) sind stärker zu verankern. Die gesellschaftliche Verantwortung in der beruflichen Bildung ist unabdingbar.

Unter diesen Prämissen spricht sich der Hauptausschuss dafür aus, einen bildungsbereichsübergreifenden nationalen Qualifikationsrahmen für die Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln.

Der Hauptausschuss berät die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der beruflichen Bildung und bittet diese um Berücksichtigung im Rahmen einer zweiten, ergänzenden deutschen Stellungnahme im Konsultationsprozess zum EQF auf europäischer Ebene. Weitere Stellungnahmen des Hauptausschusses bleiben angesichts der von der Kommission gestellten kurzen Frist und der großen Tragweite des Vorschlags vorbehalten. Die enge Einbindung der maßgeblichen Akteure im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung - vor allem die Bundesländer sowie die Wirtschafts- und Sozialpartner - in die nationalen und europäischen Meinungsbildungsprozesse wird dabei allerdings maßgeblich über das Gelingen eines nationalen Qualifikationsrahmens entscheiden. Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung fordert die Bundesregierung insbesondere auf, die im Rahmen der Europäischen Bildungspolitik erforderlichen Verfahren zur Beteiligung der oben genannten Akteure der Aus- und Weiterbildung auf nationaler Ebene verbindlich für ihren Willensbildungsprozess vorzusehen.

Das Grundprinzip des EQF

1. Sind die wichtigsten Ziele und Funktionen, die ein EQF erfüllen muss, diejenigen, die im Konsultationsdokument dargelegt werden?
  • Positiv zu bewerten ist, dass laut Entwurf der Kommission die Zielsetzung des EQF nicht allein die Bildungskooperation und die Mobilität zwischen verschiedenen Bildungssystemen ist, sondern auch die Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt über nationale Grenzen hinweg. Wir regen an, dass der EQF aufgrund seiner Funktion als Transparenz-, Vergleichs- und Übersetzungsinstrument folgerichtig auch solche Lernergebnisse erfasst, die in beschäftigungsnahen Qualifizierungsprozessen erworben werden („Beschäftigungsfähigkeit“ oder „employability“).
  • Die oben angeführte Funktion als Transparenz-, Vergleichs - und Übersetzungsinstrument kann der EQF nur unter der Voraussetzung erfüllen, dass die Niveaustufen die Bildungssysteme sämtlicher Mitgliedstaaten abzubilden in der Lage sind. Auf dieser Grundlage sollte der EQF die Klarstellung enthalten, dass sämtliche Niveaustufen im Sinne des Grundsatzes des Lebenslangen Lernens über verschiedene Bildungswege (berufliche oder schulische Ausbildung und berufliche Fortbildung oder akademische Ausbildung) erreichbar sind.


2. Welche Vorkehrungen sollten getroffen werden, damit der EQF in der Praxis (für die einzelnen Bürger, die Bildungs- und Ausbildungssysteme, den Arbeitsmarkt) funktionieren kann?
  • Unter der Prämisse, dass der EQF geeignet sein muss zur Erfassung von Lernergebnissen, die in beschäftigungsnahen Qualifizierungsprozessen erworben wurden (Antwort zu Frage 1), sollten für die Tabelle 1 auch solche Deskriptoren entwickelt werden, welche spezifisch die im Erwerbsleben erzielte berufliche Handlungsfähigkeit abbilden. Dies können auch im Sinne des berechtigten Anspruchs der Kommission ausreichend allgemein formulierte Deskriptoren sein, welche die Vielzahl der Qualifikationen auf nationaler und sektoraler Ebene widerspiegeln.
  • Für die Akzeptanz nationaler Qualifikationsrahmen ist die enge Einbeziehung der Wirtschafts- und Sozialpartner in den Konsultations- und Entscheidungsfindungsprozess auf europäischer und nationaler Ebene von entscheidender Bedeutung. Die Funktion des EQF als Mobilitätsinstrument im europäischen Arbeitsmarkt über Grenzen hinweg wird nur dann erfüllt werden, wenn Lernergebnisse auch im Hinblick auf ihre Relevanz im Arbeits- und Erwerbsleben erfasst werden können.


3. Referenzniveaus und Deskriptoren
Spiegelt die durch die acht Referenzniveaus beschriebene Struktur des EQF die
Komplexität des lebenslangen Lernens in Europa wider?

  • Für die Erfassung der Komplexität des lebenslangen Lernens ist weniger die Anzahl der Niveaustufen entscheidend als die Klarstellung, dass möglichst sämtliche Stufen über verschiedene Bildungswege (berufliche oder schulische Ausbildung und berufliche Fortbildung oder akademische Ausbildung) erreicht werden können (Antwort zu Frage 1).
  • Darüber hinaus kommt es auch auf die Gewichtung der Anzahl der Stufen zugunsten des Lebenslangen Lernens an. Im Vorschlag der Kommission stehen allerdings vier Stufen für eine Basisqualifizierung einer gleich hohen Anzahl von Stufen der Weiterbildung oder akademischen Ausbildung gegenüber. Bei der Definition der Deskriptoren sollte dem Lernen durch Berufserfahrung mehr Raum gegeben werden.


4. Beschreiben die Deskriptoren für die einzelnen Niveaus in Tabelle 1 die Lernergenisse und die Unterschiede zwischen verschiedenen Niveaus in angemessener Weise?
  • Die vorgeschlagenen Deskriptoren bedürfen der Überarbeitung und Ergänzung. So ist eine stimmige qualitative Niveausteigerung zwischen einzelnen Stufen (z.B. in der Subkategorie Verantwortung von Stufe 3 zu Stufe 4) nicht durchgängig gegeben. Teilweise werden sogar innerhalb einer Stufe unterschiedliche Niveaus adressiert (z.B. Subkategorie „Selbständigkeit“ und „Verantwortung Stufe 4“). Eine erfahrungsbasierte Befähigung sollte in der Diktion nicht niedriger angesiedelt werden als eher kognitiv erworbene.
  • Für den Fall ihrer Konkretisierung durch nationale Qualifikationsrahmen muss zudem gewährleistet sein, dass die Deskriptoren einfach handhabbar sind und in der Praxis nach objektiven Kriterien oder Verfahren umgesetzt werden können.
  • Deshalb wäre zu prüfen, ob in Ergänzung zu den qualitativen Deskriptoren ein weiterer nach objektiven Kriterien und Verfahren zu füllender quantitativer Deskriptor eingeführt werden sollte.
  • Gerade das System der Deskriptoren bedarf im Hinblick auf einen nationalen Qualifikationsrahmen einer intensiven Entwicklung und Erprobung. Wir regen an, dass die Bundesregierung mit dieser Zielsetzung ein Förderprogramm unter Einbeziehung der Bundesländer sowie der Wirtschafts- und Sozialpartner aufsetzt.


5. Welchen Inhalt und Rolle sollten die „ergänzenden und erläuternden Informationen“ (oder Hilfsinformationen) über Bildung, Aus- und Weiterbildung sowie Lernstruktur und Input haben (Tabelle 2)?
  • Kritisch ist anzumerken, dass sich die Tabelle 2 input-orientierter Angaben bedient, die formale Abschlüsse und Lernorte in den Vordergrund einer Einordnung stellen. Wir bedauern, dass damit der begrüßenswerte Ansatz einer outcome-orientierten Beschreibung von Lernergebnissen im EQF konterkariert wird. Tabelle 2 ist deshalb ersatzlos zu streichen.
  • Eine Konkretisierung der Deskriptoren durch die Tabelle 2 würde dazu führen, dass gleiche Lernergebnisse je nach Lernort und formalen Abschluss in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen Niveaustufen des EQF zugeordnet werden. Das Ziel des EQF, eine bessere Transparenz von Qualifikationen herzustellen, würde verfehlt.
  • Überdies ist die Zuordnung nationaler Qualifikationen und Abschlüsse sowie sonstiger Kompetenzen eine den Mitgliedstaaten vorbehaltene Aufgabe und erfolgt allein zu einer Niveaustufe eines nationalen Qualifikationsrahmens. Aus deutscher Sicht ist insbesondere von Bedeutung, dass bei der Einstufung von Lernergebnissen in einen nationalen Qualifikationsrahmen duale Ausbildungs- und Fortbildungsabschlüsse im internationalen Vergleich gleichermaßen kompetenzgerecht wie schulische Berufsbildungs- und Hochschulabschlüsse anderer Mitgliedstaaten eingestuft werden können.
  • Der EQF darf daher keinerlei Vorgaben enthalten, welche die Entscheidungsprärogative der Bundesregierung zur Einstufung dualer Ausbildungs- und Fortbildungsabschlüsse in einen nationalen Qualifikationsrahmen - sei es auch nur mittelbar-faktisch - einschränken würden und den Stellenwert dieser Abschlüsse im europäischen Vergleich schmälern würde.


6. Wie können Ihre nationalen und sektoralen Qualifikationen den vorgeschlagenen EQF-Niveaus und den Deskriptoren der Lernergebnisse zugeordnet werden?
  • Aus deutscher Sicht ist entscheidend, dass die Funktion des EQF auf ein Transparenz-, Vergleichs- und Übersetzungsinstrument beschränkt bleibt. Daher werden auf nationaler und sektoraler Ebene erworbene Lernergebnisse unmittelbar lediglich einem nationalen Qualifikationsrahmen, nicht aber dem EQF zugeordnet.
  • Die Deskriptoren der Niveaustufen müssen so formuliert sein, dass die im Rahmen bestimmter Bildungswege erworbenen formalen Qualifikationen nicht einzelnen Niveaustufen vorbehalten bleiben. So wäre es inakzeptabel, wenn die Niveaustufen 6, 7 und 8 ausschließlich die drei Cycles des Bologna-Qualifikationsrahmens erfassen würden. Vielmehr müssen die akademischen Abschlüsse, ebenso wie alle anderen Qualifizierungen auch, dahingehend überprüft werden, ob ihre jeweiligen Lernergebnisse die durch die Deskriptoren gesetzen Anforderungen des jeweiligen Referenzniveaus, insbesondere im Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit (Antwort zu Frage 1) erfüllen.
  • Zum Erreichen der höchsten Niveaustufe sollte Berufserfahrung verpflichtend vorausgesetzt werden, um dem Anspruch des lebenslangen Lernens besser Rechnung tragen zu können.
  • Damit deutsche duale Ausbildungs- und Fortbildungsabschlüsse gleichermaßen kompetenzgerecht wie schulische Bildungs- und akademische Abschlüsse anderer Mitgliedstaaten bewertet werden können, sollten im EQF sämtliche Niveaustufen über verschiedene Bildungswege erreicht werden können (Antwort zu Frage 1).


Nationale Qualifikationsrahmen

7. Wie können nationale Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen - aufbauend auf den Prinzipien des EQF - in Ihrem Land entwickelt werden?

Ein nationaler Qualifikationsrahmen sollte in Deutschland unter enger Einbeziehung der maßgeblichen Akteure entwickelt werden. Im Bereich der beruflichen Bildung und Weiterbildung sind dies vor allem Bundesländer sowie die Wirtschafts- und Sozialpartner, welche durch die Bundesregierung eingebunden werden. Dabei sollte auch geprüft werden, ob und inwieweit Ergebnisse von Projekten auf nationaler, regionaler oder sektoraler Ebene die Ausarbeitung eines nationalen Qualifikationsrahmens befördern können.

8. Wie und innerhalb welcher Zeitspanne kann Ihr nationales Qualifikationssystem in Richtung eines lernergebniszentrierten Ansatzes entwickelt werden?

Für einen auf Lernergebnisse bezogenen nationalen Qualifikationsrahmen kommt es insbesondere darauf an, Ergebnisse des informellen und nichtformalen Lernens zu erfassen. Der Hauptausschuß regt an, dass die Bundesregierung unter Einbeziehung der Bundesländer sowie Wirtschafts- und Sozialpartner das Bundesinstitut für Berufsbildung beauftragt, eine Bestandserhebung der Instrumente und Methoden zur Messung und Bewertung informellen und nicht formalen Lernens zu erstellen und dem Hauptausschuss Vorschläge für weitere Aktivitäten vorzulegen.

Sektorale Qualifikationen

9. In welchem Ausmaß kann der EQF ein Katalysator für Entwicklungen auf Sektorebene werden?
10 Wie kann der EQF genutzt werden, um eine systematischere Entwicklung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen auf Sektorebene zu unterstützen?
11. Wie können die Akteure auf sektoraler Ebene zur Unterstützung der Einführung des EQF einbezogen werden?
12. Wie kann die Verbindung zwischen sektoralen Entwicklungen und nationalen Qualifikationen verbessert werden?

  • Um die Auswirkungen des EQF auf Sektorebene abschließend beurteilen zu können, wäre es wünschenswert, dass der EQF eine operativ handhabbare Definition des Begriffs Sektor enthielte.
  • Vorab ist zumindest das Risiko von Parallelstrukturen zu verzeichnen, wenn Sektorinitiativen unabhängig von einem NQF entwickelt werden.
  • Dies gilt besonders, wenn es, wie im Entwurf der Kommission ausgeführt, eine „eindeutige und nachweisbare Verknüpfung zwischen sektoralen Rahmen und Niveaustufen des EQF“ geben sollte. Eine solche Verknüpfung widerspräche dem Grundsatz, dass Lernergebnisse allein den nationalen Qualifikationsrahmen zugeordnet werden.
  • Sektorinitiativen können allerdings aufgrund ihrer internationalen Netzwerke wertvolle Beiträge zur Ausfüllung von NQF und grenzüberschreitender Mobilität liefern.


Gegenseitiges Vertrauen

13. Wie kann der EQF beitragen zur Entwicklung eines Klimas des Vertrauens (z.B. auf der Grundlage gemeinsamer Qualitätssicherungsgrundsätze) zwischen den auf europäischer, nationaler, sektoraler und lokaler Ebene mit dem lebenslangen Lernen befassten Akteuren?
14. Wie kann der EQF eine Referenz für die Qualitätsverbesserung auf allen Ebenen des lebenslangen Lernens werden?

  • Hervorzuheben ist, dass die Entscheidung über die Einführung eines Qualitätssicherungssystems und von Verfahren zu dessen Überprüfung den einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt.
  • Folgerichtig obliegt den Mitgliedstaaten die Entscheidung, ob es sinnvoll ist, über den Bereich der Hochschule hinaus Qualitätssicherungsgrundsätze für die Anwendung des EQF auf europäischer Ebene einzuführen. Vor einer solchen Entscheidung wäre zu prüfen, ob die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Instrumente der Qualitätssicherung für eine wechselseitige Anerkennung und ein Klima des gegenseitigen Vertrauens ausreichen.


In Deutschland zeichnet sich das System der beruflichen Bildung und Weiterbildung dadurch aus, dass Bund und Länder die Wirtschafts- und Sozialpartner in den Entstehungsprozess der staatlichen Aus- und Fortbildungsordnungen eng einbinden und auf diese Weise gewährleisten, dass die Inhalte der Aus- und Fortbildungsordnung auf den Bedarf der ausbildenden Unternehmen abgestimmt ist und dem aktuellen Stand der Bildungsforschung entsprechen.

Pressemitteilung: 47/2005 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB)

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006