Grundsätzliches zur Weiterbildung

Zurück zur Übersicht

Bildung ist keine Ware

Weiterbildungskonferenz von ver.di und IG Metall in Berlin

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die IG Metall machen sich für eine Weiterbildungsoffensive stark. Dabei erwarten die Gewerkschaften auch eine aktive Mitwirkung des Staates. Ver.di-Chef Frank Bsirske wandte sich zugleich gegen Äußerungen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die sich in einem Interview mit dem ZWEIWOCHENDIENST gegen die gewerkschaftliche Forderung nach einem Bundesrahmengesetz für Weiterbildung ausgesprochen hatte.

Die Weiterbildungsoffensive beinhaltet nach den Worten des ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, eine "innovative betriebliche Weiterbildungspolitik", Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, in denen Weiterbildungsangebote festgeschrieben werden, sowie eine aktive staatliche Weiterbildungspolitik. Es handele sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein Sache der Betriebe und Tarifparteien sei", betonte Bsirske während der ersten Weiterbildungskonferenz von ver.di und IG Metall am 31. Januar.

Der Staat dürfe sich da nicht ausnehmen. Der ver.di-Vorsitzende reagierte damit auf Aussagen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). In einem Interview mit dem ZWEIWOCHENDIENST hatte sich die Ministerin gegen ein Weiterbildungsrahmengesetz ausgesprochen. Sie setze, was den Staat anginge, wenig auf Einflussnahme. Diese Aussage mache deutlich, so Bsirske, dass sie die Rolle des Staates, gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen, verkenne. Auch Arbeitslose müssten ein Recht auf Weiterbildung haben.

Der wissenschaftliche Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di hat auf der Konferenz seine Streitschrift

Bildung ist keine Ware

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen


übergeben.

Der Beraterkreis macht den Gewerkschaften 11. Empfehlungen, für die sie streiten sollten.

  1. Empfehlung: Wir brauchen hochqualifizierte Beschäftigte
    Stärkt einen deutschen Kompetenzentwicklungspfad, der auf hochqualifizierte Arbeitskräfte und ein personalorientiertes Produktionsmodell setzt.
    Dazu braucht es mehr und bessere berufliche Bildung für alle. Berufliche Bildung ist eine entscheidende Grundlage zur Stärkung der Innovationsfähigkeit. Konzepte, die auf einen Niedriglohnsektor und Ungleichheit als Preis für Beschäftigung setzen, führen auch im internationalen Wettbewerb in die Sackgasse.


  2. Empfehlung: Wir brauchen mehr öffentliche Verantwortung
    Nehmt in euren Widerstand und eure Argumentation gegen den Neoliberalismus die Bildung auf. Streitet für ein gerechtes und solidarisches System lebenslangen Lernens als Aufgabe des Sozialstaates. Marktradikale Bildungsmodelle und Strategien mit ihren Leitbildern von verengter ökonomischer Anpassung, Individualisierung, Privatisierung und Konkurrenz sind nicht nur nicht gerecht, sondern auch nicht effizient für die Gestaltung der Zukunft.


  3. Empfehlung: Wir verteidigen das Berufssystem
    Verteidigt das Berufsprinzip, das die Menschen in die Lage versetzt, Handlungs- und Gestaltungskompetenz für ihren Berufsweg, für ihre Arbeit und ihr Leben zu gewinnen. Fordert und gestaltet aktiv Konzepte moderner Beruflichkeit.
    Die Aufgabe des Berufsprinzips zu Gunsten wechselnder Ad-hoc-Anpassungsqualifizierung und bloßer Beschäftigungsfähigkeit gefährdet nicht nur Alternativen zu tayloristischer Arbeitsorganisation, sondern auch die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers an betrieblicher und überbetrieblicher Mobilität.


  4. Empfehlung: Wir brauchen lernförderliche Arbeit
    Setzt euch ein für eine Integration schulischen und betrieblichen Lernens.
    Durch die Schaffung lernförderlicher Arbeitsplätze kann Arbeitsplatzgestaltung und berufliche Bildung verbunden werden. Dagegen werden in einem retaylorisierten Produktionssystem, in dem die Arbeit wieder stärker zergliedert und standardisiert wird, kompetente Arbeitskräfte nur als Kostenfaktoren wahrgenommen und leicht wegrationalisiert.


  5. Empfehlung: Wir sind für einen eigenständigen beruflichen Entwicklungsweg
    Setzt euch ein für einen eigenständigen beruflichen Entwicklungsweg. Fördert die Verbreitung und den Ausbau einheitlicher Aus- und Weiterbildungsmodelle für einen beruflichen Bildungsweg und für die Verbindung von der Ausbildung bis zu Hochschulabschlüssen.
    Ohne solche Strukturreformen bleibt die Forderung nach Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.


  6. Empfehlung: Wir machen uns stark für berufliche Schulen als öffentlichen Lernort
    Bringt die Berufsschulen als regionale Zentren für berufliche Bildung bzw. regionale Kompetenzzentren in die bildungspolitische Diskussion. Setzt euch ein für die dafür notwendige Neuorganisation der politischen Verantwortung, in der neben der Region als Träger und Aufsicht auch die Arbeitgeber und die Gewerkschaften ihren Part übernehmen.
    Die beruflichen Schulen können sonst die Chancen nicht nutzen, nach der Erstausbildung unverzichtbare Lernphasen anzubieten.


  7. Empfehlung: Wir nehmen Lernwiderstände ernst
    Bedenkt bei bildungspolitischen Programmen und Aktivitäten, dass viele Beschäftigte negative Erfahrungen mit Lernen haben.
    Sonst besteht die Gefahr, dass ein Großteil der Beschäftigten, auch der Gewerkschaftsmitglieder, den Weg zur „Wissensgesellschaft“ nicht mitgehen, sondern als „Benachteiligte“ und „Lernbehinderte“ zurückbleiben. Lernunlust und Abwehr von Lernanforderungen haben oft berechtigte Gründe.


  8. Empfehlung: Wir fordern einen neuen Fonds für die berufliche Bildung
    Schafft eine gemeinsame Lösung für die Ausgestaltung der Finanzierung für die Aus- und Weiterbildung in Form regionaler und branchenspezifischer Fonds. Sorgt aber für getrennte Aufbringung der Mittel. Bringt anders als in der Erstausbildung eine Zeitbeteiligung der Beschäftigten an den Fonds als kollektiven Verhandlungsgegenstand in die Diskussion ein.
    Ohne Fonds wird es nicht möglich sein, die Berufsbildungskosten zu verteilen und strukturbedingte Unterinvestitionen zu verhindern, das Finanzvolumen dauerhaft zu erhöhen, dadurch die Bildungsbeteiligung aller zu verbessern und mehr gesamtgesellschaftliche Steuerung des Berufsbildungssystems durchzusetzen.


  9. Empfehlung: Wir wollen eine öffentliche Weiterbildungsförderung für Erwachsene
    Setzt euch dafür ein, dass an die Stelle der Förderung der beruflichen Weiterbildung nach dem SGB III ein öffentlich getragenes System tritt, das verhindert, dass Erwerbslose auf Dauer ausgegrenzt werden.
    Dazu ist dieser Teil beruflicher Weiterbildung steuerfinanziert zu sichern. Wenn keine Möglichkeiten für Kompetenzerhalt und –entwicklung vorgehalten werden, entsteht ein Heer von Dauerarbeitslosen, die auch die Gewerkschaften in ihren Spielräumen schwächt.


  10. Empfehlung: Wir wollen den europäischen Bildungsraum mitgestalten
    Unterschätzt die Dynamik und die Durchsetzungsfähigkeit der Europäischen Bildungspolitik nicht. Sucht alternative Antworten auf die Qualifikationserfordernisse des europäischen Arbeitsmarktes und gebt dem europäischen Druck zur Einführung eines outcome-orientierten modularen Systems nicht nach. Klärt auf, sucht Allianzen und schließt Bündnisse mit den wirtschafts- und sozialstaatlich orientierten Kräften in Parteien und Gesellschaft.
    Die Zerstörung des dualen Systems ist mit einem sozialen Europa nicht vereinbar. Dieser Zerstörungsprozess brächte erhebliche Nachteile für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.


  11. Empfehlung: Wir sehen berufliche Bildung als öffentliches Gut
    Haltet an beruflicher Bildung als einem öffentlichen Gut fest und stärkt es. Bringt die grundlegende Reform des Berufsbildungsgesetzes wieder auf die Tagesordnung, greift die wachsende Bedeutung der Weiterbildung für die Arbeits- und Lebensbedingungen eurer Mitglieder auf.
    Ohne Strukturreformen erodiert das System der beruflichen Erstausbildung. Das deutsche Weiterbildungssystem bleibt auch im internationalen Vergleich weit zurück, erzeugt Barrieren für Teilnahme und wird selbst zur Innovations- und Wachstumsbremse.


Sie können die Streitschrift "Bildung ist keine Ware" hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 01.02.2006