Berufliche Weiterbildung

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IG Metall und ver.di plädieren für eine Qualifizierungsoffensive

(GL) PISA und Hochschulmisere verdecken, dass die Defizite in der Berufsbildungspolitik ebenso gravierend ausfallen. Seit Mitte der neunziger Jahre stagnieren die Ausgaben der Betriebe für die Qualifizierung der Beschäftigten. Rund 75 Prozent der kleineren und mittleren Betriebe betreiben gar keine Weiterbildung. Und für die Weiterbildung der Arbeitslosen ist die Finanzierung in nur zwei Jahren mehr als halbiert worden. Im internationalen Vergleich sei Deutschland nur drittklassig, moniert ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske.

Seine Kritik bezieht die scharfe Selektion im Qualifizierungsprozess ein. Denn von Weiterbildungsmöglichkeiten können geringer Qualifizierte immer weniger partizipieren. 44 Prozent der Akademiker nehmen an Weiterbildung teil, aber nur 11 Prozent der Beschäftigten ohne Berufsabschluss. Das deutsche Bildungssystem, so die gewerkschaftliche Kritik, ist nicht auf Förderung, sondern auf soziale Selektion ausgerichtet. Das wollen ver.di und IG Metall mit bildungspolitischen Impulsen ändern. Ein wissenschaftlicher Beraterkreis, von beiden Gewerkschaften eingerichtet, hat am 30. und 31. Januar 2006 während einer Fachtagung mit 200 Betriebs- und Personalratsmitgliedern im Berliner ver.di-Haus unter dem Titel "Bildung ist keine Ware" eine Streitschrift zur beruflichen Aus- und Weiterbildung vorgelegt.

Im Mittelpunkt des Papiers steht ein Plädoyer für ein hochqualifiziertes Potenzial von Arbeitskräften und eine personalorientierte Ökonomie. "Konzepte, die auf einen Niedriglohnsektor und Ungleichheit als Preis für Beschäftigung setzen, führen auch im internationalen Wettbewerb in die Sackgasse."

Deutsches System auf soziale Selektion ausgerichtet

Bildung brauche mehr öffentliche Verantwortung, appellieren die Autoren an die Gewerkschaften: "Streitet für ein gerechtes und solidarisches System lebenslangen Lernens als Aufgabe des Sozialstaates. Marktradikale Bildungsmodelle und Strategien mit ihren Leitbildern von verengter ökonomischer Anpassung, Individualisierung, Privatisierung und Konkurrenz sind nicht nur nicht gerecht, sondern auch nicht effizient für die Gestaltung der Zukunft."

Die Experten appellieren außerdem an die Gewerkschaften, am Berufsprinzip im Qualifizierungsprozess festzuhalten. "Die Aufgabe des Berufsprinzips zu Gunsten wechselnder Ad-hoc-Anpassungsqualifizierung und bloßer Beschäftigungsfähigkeit gefährdet nicht nur Alternativen zu tayloristischer Arbeitsorganisation, sondern auch die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers an betrieblicher Mobilität", heißt es in der Empfehlung. Weiter plädieren sie für lernförderliche Arbeitsplätze, die Erweiterung der Berufsschulen zu beruflichen Kompetenzzentren, fondsfinanzierte Aus- und Weiterbildung und ein neues System zur Weiterbildungsförderung für Erwerbslose.

Für den ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske ist ein Erwachsenen-Bafög erwägenswert, wie es in anderen Ländern praktiziert wird: "Deutschland braucht ein neues solidarisches Weiterbildungssystem, das allen mehr und kontinuierliche Teilnahme ermöglicht," fordert Bsirske. Es müsse an Gerechtigkeit und Chancengleichheit orientiert sein und der massiven Selektion benachteiligter Gruppen entgegenwirken.

Wuelle: verdi news 02/2006

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006