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Näher an die wirkliche Berufung herankommen

Zukunftsforscher Matthias Horx zur Zukunft der Weiterbildung

Immer weniger Erwachsene bilden sich in Deutschland weiter, und die öffentlichen Ausgaben für Weiterbildung fallen im internationalen Vergleich zurück. Gleichzeitig werden Bildungs- und Wirtschaftsexperten nicht müde zu betonen, dass Weiterbildung zur Bildungsbiographie gehört. Eine berufliche Erstausbildung genügt schon heute kaum mehr den Ansprüchen der Berufswelt, und die technische und globale Entwicklung generiert einen immer größeren Weiterbildungsbedarf. Drei, vier, fünf verschiedene Berufe, so prognostiziert Matthias Horx, werden zukünftig selbstverständlich sein. Horx zählt zu den einflussreichsten Zukunftsforschern im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher über Wertewandel, Technologie, Jugendkulturen, Trendforschung und Future Fitness wurden zu Bestsellern. Im Oktober 2005 ist sein neuestes Werk erschienen: „Wie wir leben werden“. Wir fragten ihn nach dem zukünftigen Stellenwert der Weiterbildung.


SüdwestfunkEin einziger Beruf ein Leben lang – das wird es in Zukunft immer seltener geben, und selbst im gelernten Beruf ändern sich die Anforderungen ständig. Wird also Weiterbildung das Bildungsthema der Zukunft überhaupt sein?

Horx: Allerdings, aber vielleicht nicht in der heutigen Diktion vom „Lebenslangen Lernen“, das ja abschreckend klingt, weil es uns irgendwie an die alte Schulsituation erinnert, in der wir uns ja meist nicht besonders wohl fühlten. Es gibt leider eine Grundregel, dass, wer in der Kindheit keinen Spaß am Lernen hatte, es auch später nicht hat. Das hat nichts mit der Formel vom „was Hänschen nicht lernt ...“ zu tun, sondern mit unserer Lernkultur in den Schulen an sich. Unsere Pädagogik ist immer noch auf „Fremdlernen“ geeicht. Einer steht vorne, die anderen sitzen still und hören zu. Dass das immer weniger klappt, zeigt PISA. Hier, im Herzen unseres Menschenbildes, müssen wir ansetzen. Im Kern geht es um die Frage: Bleiben wir eine belehrte Gesellschaft, oder werden wir eine lernende Gesellschaft, die an diesem Prozess auch Spaß hat.

Die aktuellen Zahlen besagen, dass die Weiterbildung (zumindest in Deutschland) stagniert. Wie könnte sie wieder ins Laufen gebracht werden?

Horx: Momentan schieben sich Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Individuen gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Immer soll der andere „ausbilden“. Und ist verantwortlich für das schlechte „Menschenmaterial“. Das führt natürlich zu nichts. Aber die meisten Firmen verstehen meiner Meinung nach die Bedeutung der Weiterbildung. Es fehlt allerdings immer noch in vielen Bereichen an guten, effektiven, evaluierten Weiterbildungsangeboten.

Worum wird es bei der Weiterbildung gehen – um Fachwissen, um Soft skills oder um andere Fertigkeiten?

Horx: Erst einmal natürlich nach wie vor um Fachwissen. In vielen Wirtschaftssektoren ändern sich ja rapide die Grundlagen unseres Wissens. Wir sehen aber auch eine ganz starke Tendenz hin zu Motivations- und „Selfness“-Fragen. Viele Menschen sind in ihrem Job unglücklich, weil sie sich selbst nicht kennen. Sie haben nicht gelernt, ihre Talente zu entfalten, das zu tun, was sie wirklich gut können, wozu sie Talent haben. Sie sind schlichtweg falsch eingesetzt. Dies herauszufinden, die Menschen näher an ihre wirklichen „Berufungen“ heranzubekommen, das ist ein enorm wichtiger Side-Effect guter Weiterbildung. Hier handelt es sich um „Menschenbildung“ in einem weiteren Sinne, und deshalb werden Motivationstraining, Change-Management, Weiterbildung und persönliches Coaching in Zukunft mehr und mehr zu ganzheitlichen Angeboten verschmelzen.

Wird die Verantwortung für die Weiterbildung eher beim Einzelnen, beim Staat, bei den Betrieben liegen – oder ist ein Zusammenspiel aller Beteiligten gefragt?

Horx: Das geht, wie alle wichtigen Veränderungen, nur in einem Joint Venture, in dem alle Beteiligen sich verantwortlich erklären und massiv kooperieren.

Welche Rolle werden die Medien in der Weiterbildung spielen – Stichwort E-Learning/Blended Learning?

Horx: Die Erfahrung zeigt, dass sich reines E-Learning nicht wirklich bewährt. Denn es gibt bei fast allen Wissensinhalten eine unveräußerliche soziale Komponente. Wir sind als Menschen nun mal Sozialwesen, und Lernen ist im Wesentlichen Kommunikation. Bei einzelnen Segmenten von Fachwissen ist E-Learning sehr sinnvoll, aber man wird sich immer wieder persönlich treffen müssen und in einen intensiven Gemeinsamkeits-Prozess eintauchen müssen, damit etwas vorangeht. Denn in der Wissensökonomie werden ja vor allem die „Schnittstellen“ wichtig. Alle Arbeit wird in Zukunft immer kommunikativer.

Quelle: bildungsklick.de

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024