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Der besondere Förderbedarf von jungen Menschen mit Behinderung Im Rahmen des Fachkonzeptes „Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen“ (BvB) der Bundesagentur für Arbeit

Fachkonzept BvB

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat eine Überarbeitung des BvB-Fachkonzeptes vorgenommen. Der besondere Förderbedarf von jungen Menschen mit Behinderung war bisher in der Anlage 4 zum Fachkonzept BvB geregelt und wurde jetzt als eigener Punkt mit der Nummer 8 aufgenommen.

Der ver.di-Arbeitskreis Berufliche Rehabilitation (AK Reha) hat mit Stellungnahmen im April 2004 und im September 2005 auf die notwendige Anpassung des Fachkonzeptes für junge Menschen mit Behinderung hingewiesen. Gleichzeitig wurde die Befürchtung geäußert, dass die notwendige Reformierung der berufsvorbereitenden Maßnahmen aus fiskalischen Gründen unterlaufen wird.

Leider müssen wir nun feststellen, dass notwendige inhaltliche oder organisatorische Anpassungen nicht berücksichtigt und qualitätssichernde Rahmenbedingungen und rehabilitationsspezifische Angebote gestrichen wurden. Es entsteht zudem der Eindruck, dass die Überarbeitung für diesen Personenkreis ausschließlich mit der Intention erfolgte, den Zugang zu den besonderen Einrichtungen nach § 35 SGB IX zu erschweren. Das Motiv hierfür ist ausschließlich fiskalischer Art.

Der sozialstaatliche Nachteilsausgleich zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie vom Grundgesetz und vom SGB IX vorgesehen, wird für junge Menschen mit Behinderung auf ein (noch) notwendiges Minimum reduziert.

Verlagerung der Berufsvorbereitung in den schulischen Bereich

In der Neufassung des BvB-Fachkonzeptes wird der Vorrang von schulischen Angeboten hervorgehoben. Angestrebt wird die Verlagerung der Zuständigkeit für die Ausbildungsreife von schulentlassenen jungen Menschen in die (Finanz-)Hoheit der Länder. Die BA soll zukünftig nur noch junge Menschen fördern, „die eine ausreichende Schulbildung haben, um eine Ausbildung erfolgreich absolvieren zu können“, so BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel (13.02.06).

Die besonderen Belange der jungen Menschen mit Behinderung werden durch diese pauschale Betrachtungsweise missachtet. Die Ursache für die fehlende Ausbildungsreife dieser Menschen liegt in ihrer Behinderung begründet und nicht in dem unterstellten Versagen der schulischen Förderung. Die Teilnahme an einer Berufsvorbereitung ist für diesen Personenkreis notwendig, um das Ziel der Ausbildungsreife (doch noch) zu erreichen.

Ausgrenzung durch Lernorte-Konzept

Die Bundesagentur hat mit der Neufassung des Punktes 3.6 Zielgruppenspezifische Ausrichtung das schon bestehende Lernorte-Konzept für die Teilnahme von jungen Menschen mit Behinderungen an einer BvB verschärft.

So wird in dem Punkt ausgeführt, dass grundsätzlich eine Teilnahme an den zielgruppenübergreifenden allgemeinen berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen vorzusehen ist. Nach Punkt 8 des Fachkonzeptes sollen junge Menschen, die wegen ihrer Behinderung besonderer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bedürfen, vorrangig in behindertenspezifischen wohnortnahen Maßnahmen außerhalb der Einrichtungen nach § 35 SGB IX gefördert werden. Nur wenn ein besonders ausgeprägter Förderbedarf besteht, soll eine Förderung in den Berufsbildungswerken erfolgen.

Die Hervorhebungen in Fettdruck verdeutlichen die Intention der BA. Der Begriff „besonders ausgeprägter Förderbedarf“ ist im SGB III nicht vorgesehen.

Zur Erinnerung: Die Einrichtungen nach § 35 SGB IX haben einen gesetzlichen Auftrag in staatlicher Verantwortung zu erfüllen. Für die Bewilligung einer Maßnahme in einer derartigen Einrichtung besteht grundsätzlich ein sozialrechtlicher Anspruch, weshalb das Vergaberecht nicht zur Anwendung kommt.

Der ver.di Arbeitskreis Berufliche Rehabilitation hat in seiner Stellungnahme vom September 2005 eingeschätzt, dass die BA nun deutlich mehr Maßnahmen als bisher für Menschen mit Behinderung als sonstige Leistungen nach § 102 Abs. 1 Nr. 1b SGB III ausschreiben wird, um den Ausschluss des Vergaberechtes für die Maßnahmen in den Einrichtungen nach § 35 SGB IX zu umgehen. Die Umsetzung erfolgt zurzeit mit dem Ziel, zunehmend mehr junge Menschen mit Behinderung in die ausgeschriebenen Maßnahmen zu verlagern.

Es steht zu befürchten, dass für die Zuweisung von Menschen mit Behinderung zu den einzelnen Maßnahmearten in erster Linie Kostenaspekte eine Rolle spielen. Diese Vorgehensweise der BA gefährdet den Teilhabeerfolg für junge Menschen mit Behinderung.

Ausgrenzung durch Vermittlungsfähigkeit

Einerseits wird der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und umfassenden Förderung in den Berufsbildungswerken erschwert und andererseits wird über die Geschäftspolitik der BA zunehmend eine Kostenübernahme an die Frage nach der Vermittelbarkeit gekoppelt.

Diese Reduzierung auf eine prognostische Einschätzung zur Vermittlung in ca. 3 – 4 Jahren grenzt Menschen mit Behinderung aus dem Arbeitsmarkt aus und verwehrt ihnen das Recht auf Bildung. Es wird verkannt, dass die Vermittlung nicht wegen der Leistungsfähigkeit erschwert ist, sondern auf Grund der Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt, den Vorurteilen und der mangelnden Bereitschaft der Arbeitgeber zur Einstellung von Menschen mit Behinderungen.

Die berufliche Integration ist der Zweck der Berufsbildungswerke und somit Auftrag, die Arbeitsmarktfähigkeit während der Rehabilitationsmaßnahme zu fördern. Eine prognostizierte Vermittelbarkeit als Einstiegskriterium würde zu einer Bestenauslese führen und junge Menschen mit ausgeprägteren Behinderungen benachteiligen.

Modifizierungen weiterhin notwendig

Um die Chancengleichheit für junge Menschen mit Behinderungen auf Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, sind für diesen Personenkreis, unabhängig von den zuvor genannten Punkten, folgende Modifizierungen des Fachkonzeptes erforderlich:

1. Rehabilitationsspezifische Angebote

Die Streichung von besonderen rehabilitationsspezifischen Angeboten muss rückgängig gemacht werden. Dies betrifft die Vorhaltung von multidisziplinären Fachdiensten mit dem entsprechenden Fachpersonal und sozialpädagogische betreute Wohnformen sowie den Einsatz von rehabilitationsspezifisch geschultem Personal.

2. Förderdauer

Die Förderdauer muss sich insgesamt am individuellen Förderbedarf des Einzelnen orientieren, weshalb die zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben für die Grund- und Förderstufe sowie für die Übergangsqualifizierung und Stabilisierungsstufe keinen abschließenden Charakter haben dürfen und in begründeten Einzelfällen individuelle Regelungen zulassen müssen.

Ein nahtloser Übergang von der Schule in eine BvB und anschließend in eine Ausbildung, eine Arbeit oder eine andere Maßnahme muss von der Zeitplanung gewährleistet werden. Es wird deshalb vorgeschlagen, dass die dreiwöchige Eingangsdiagnostik auf vier Wochen verlängert und der sechsmonatigen Grundstufe vorgeschaltet wird.

3. Übergangsqualifizierung

Eine Übergangsqualifizierung muss auch als vertiefende Vorbereitung auf eine überbetriebliche Ausbildung im Rahmen von BüE oder als Reha-Maßnahme nach § 102 SGB III ermöglicht werden. Die Einschränkung auf eine betriebliche Ausbildung oder den „Übergang in Arbeit“ benachteiligt Menschen mit Behinderung, die für die Absolvierung einer Ausbildung auf die besonderen Hilfen nach § 102 SGB III angewiesen sind und für das Erreichen der Ausbildungsfähigkeit mehr Zeit benötigen.

4. Stabilisierungsstufe

Die Dauer der Stabilisierungsstufe ist entsprechend der Verlängerung der Probezeit durch die Reform des BBiG auf 4 Monate zu verlängern. In Abhängigkeit von Art und Schwere der Behinderung sollte für Einzelfälle eine Verlängerung ermöglicht werden, wenn ansonsten die Fortsetzung der betrieblichen Ausbildung bzw. Arbeit gefährdet ist.

Im Interesse von jungen Menschen mit Behinderung ist eine Modifizierung des Fachkonzeptes BvB für diesen Personenkreis dringend erforderlich, da der besondere Förderbedarf ansonsten nicht berücksichtigt wird.

Eine Übertragung der Maßnahmen, die nach Inhalt, Art, Ziel und Dauer für die besonderen Erfordernisse von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligen Menschen entwickelt wurden, auf Menschen mit Behinderungen, stellt deren Benachteiligung in Bezug auf einen beruflichen Bildungsabschluss und die berufliche und soziale Integration dar. Die Politik des „Nachteilausgleichs“ wird aufgegeben und das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes unterlaufen.


ver.di Arbeitskreises Berufliche Reha Berufsbildungswerke/ Berufsförderungswerke
Berlin, Mai 2006-06-13

Sie können die Stellungnahme hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 13.06.2006