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Beschluss des 18. ordentlichen DGB-Kongresses zur Bildungspolitik

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. So beginnt Artikel 3 des Grundgesetzes. Niemand, so heißt es weiter, „darf aufgrund seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.“ In der Bildung wird dieses Verfassungsgebot nur unzureichend eingelöst. Seit Jahren fehlt zehn Prozent der Schulabgänger das notwendige Rüstzeug für ein erfolgreiches (Berufs) Leben: Sie haben keinen Schulabschluss. Nahezu alle wissenschaftlichen Studien stellen fest, dass vor allem Kinder aus Arbeiter-, Migranten- und Erwerbslosenhaushalten vom Zugang zu guter Bildung ausgegrenzt sind.

Eine ungenügende Grundbildung versperrt den Zugang zu höherer Bildung und Kultur, sie gefährdet die Persönlichkeitsentwicklung ebenso wie gesellschaftliche Teilhabe. In der Konsequenz leisten es sich Politik und Gesellschaft, dass millionenfach Talente brach liegen, die nicht zu Wohlstand und kultureller Entwicklung unseres Landes beitragen können.
Gerade in einer Wissensgesellschaft kommt es darauf an, dass die Menschen – gleich ob jung oder älter – das höchstmögliche Maß an Bildung erwerben können.
Nur gut ausgebildete Menschen können Innovationsprozesse in Gang setzen. Deshalb wird es gerade bei sinkenden Geburtenzahlen nötig, möglichst alle Menschen gut zu qualifizieren. Bildung hat auch einen hohen sozialpolitischen Stellenwert, denn von einer innovativen Ökonomie profitieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


Zur Weiterbildung heißt es im Beschluss:

Lebensbegleitendes Lernen für alle

Situation


Dass Lebensbegleitendes Lernen wichtig ist, eint Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft. Unternehmen, die am Markt bestehen wollen, müssen innovativ sein und brauchen dazu gut qualifizierte ArbeitnehmerInnen. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Bedarf sich künftig nicht alleine durch junge Menschen decken lassen. Unternehmen müssen sich den Anforderungen älter werdender Belegschaften stellen.

Teilnahme und Teilhabe an Weiterbildung sind derzeit ungleich verteilt und hängen vom bereits erreichten Qualifikationsniveau sowie vom sozialen, familiären und betrieblichen Status ab. Das verstärkt sich noch dadurch, dass die Finanzierung zunehmend privatisiert wird. 2001 lagen die Investitionen der privaten Haushalte mit einem Anteil von 38,2% an den Gesamtausgaben für Weiterbildung höher als die der Betriebe mit 36% und der Bundesagentur für Arbeit mit 17%. Das Weiterbildungsengagement der Unternehmen ist in Deutschland in den letzten Jahren im internationalen Vergleich weiter zurückgegangen.

Die Formen der Weiterbildung haben sich verändert. Herrschte bisher die institutionelle Weiterbildung vor, wird Lernen am Arbeitsplatz und im Prozess der Arbeit immer wichtiger. Außerdem werden Qualifikationen auch informell erworben: Ehrenamtliche Arbeit, Mitarbeit in kommunalen Parlamenten oder Betriebs- und Personalräten, im sozialen Bereich oder in kulturelle Initiativen qualifiziert genauso wie die Arbeit mit Kindern in der Familie.

Das in den letzten Jahren entstandene Weiterbildungsangebot öffentlicher und privater Träger ist kaum transparent. Die Nutzer können die Qualität nicht nachvollziehen. Die Regierungsparteien müssten hier dringend die öffentliche Verantwortung für Weiterbildung ausfüllen. Die Reform im Zuge der Hartz-Gesetze im Bereich der beruflichen Weiterbildung nach SGB III hat zu einem massiven Einbruch bei beitragsfinanzierten Maßnahmen, vor allem langfristigen Qualifizierungsmaßnahmen, geführt.

Aktuelle Handlungsfelder

Die Wiederaufnahme einer gemeinsamen Bildungsplanung von Bund und Ländern auch für die Weiterbildung nach Artikel 91b GG ist notwendig. Dazu ist eine Budgetplanung nötig sowie eine Verknüpfung von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten mit einem Gesamtkonzept lebensbegleitenden Lernens. Außerdem müssen Regelungen zum Bildungsurlaub weiter entwickelt und stärker beworben werden.

Der DGB begrüßt die in den Koalitionsvereinbarungen vorgeschlagenen bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen für die Weiterbildung. Der DGB erwartet ein Bundesrahmengesetz für die Weiterbildung mit Regelungen für Mindeststandards der Angebote. Ein solches Gesetz muss Anforderungen an die Qualität formulieren und die Transparenz erhöhen. Der DGB erwartet daher auch
  • die Fortführung der Stiftung Bildungstest, die die Qualität privater Weiterbildungsangebote überprüft, finanziert durch Bund und Länder

  • und einen Ausbau der Akkreditierungsverfahren im Weiterbildungsbereich.
Der Zugang zur Weiterbildung und die Finanzierung sind durch sich ergänzende Instrumente zu sichern. Ein solcher Rahmen muss beinhalten:
  • ein Zuschuss-/Darlehenssystem zur finanziellen Unterstützung beim Nachholen schulischer (Haupt- und Realschule) und beruflicher Bildungsabschlüsse im Sinne eines „Erwachsenenbildungsförderungsgesetzes“,

  • eine Ausweitung des Bildungskreditprogramms auf bisher nicht öffentlich geförderte nichtschulische und nicht-hochschulische Bildungsmaßnahmen,

  • mittelfristig einen Ausbau des Erwachsenenbildungsförderungsgesetzes, das Hochschulabschlüsse und Weiterbildungsmodule einbezieht,

  • gesetzliche Regelungen zu Lernzeitkonten und zur Insolvenzsicherung von Lernzeitguthaben in den Betrieben,

  • Erhalt des Arbeitslosengeldanspruches bei beruflicher Weiterbildung.
Bildungsförderung ist langfristig die beste Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Leistungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III) müssen gezielt für die Qualifizierung von Geringqualifizierten, Migranten, Alleinerziehenden und WiedereinsteigerInnen nach der Erziehungspause genutzt werden. Qualifizierung muss Vorrang vor Maßnahmen mit Mehraufwandentschädigungen („1 Euro-Jobs“) haben.

Um die Weiterbildungsmöglichkeiten für ältere ArbeitnehmerInnen zu stärken, müssen die verfügbaren Instrumente (Job-Rotation und Förderung für ältere Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen - KMU) stärker beworben und durch Modellprojekte verbreitet werden.

Wer sich im Betrieb weiter qualifizieren oder sich über den Betrieb hinaus orientieren will, braucht Unterstützung.
Der DGB fordert die Bundesregierung auf, die Realisierung von Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatung zu fördern, das individuelle Hilfen auch für den Bereich der Weiterbildung sicherstellt.

Die Betriebsräte nutzen ihre Initiativrechte in der beruflichen Weiterbildung noch zögerlich. Besonderen Raum muss Weiterbildung in KMU sowie für formal gering qualifizierte und ältere Beschäftigte einnehmen. Wegen der hohen Arbeitsmarktrisiken sollen für Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer über Branchenfonds, die von den Tarifpartnern verwaltet werden, Qualifizierungsmaßnahmen finanziert werden. Die Betriebsräte haben die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen zur Qualifizierung abzuschließen.

Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Bildungssystem

A. Arbeiten im Bildungssektor


Im Bildungssektor zu arbeiten genießt in Deutschland kein besonders hohes gesellschaftliches Ansehen und ist häufig auch von den Arbeitsbedingungen her nicht attraktiv. Soweit Erziehungs- und Bildungsarbeit als „typische Frauenarbeit“ angesehen ist, wird sie vielfach unterschätzt und entsprechend schlecht bezahlt. Durch Sparmaßnahmen wurde die Personaldecke ausgedünnt, der Arbeitsdruck verdichtet, die Unterrichtsverpflichtung erhöht und wurden vor allem in Weiterbildungsbereich in großem Umfang Arbeitsplätze vernichtet.

Qualität und eine auf die Zukunft gerichtete Arbeit im Bildungsbereich sind nicht nur eine Frage der Entwicklung bildungspolitischer Konzepte. Eine Reform sondern auch der Arbeitsbedingungen. Daraus ergeben sich für Bildungsberufe folgende Forderungen:
  • Pädagogische Arbeit muss als anerkannter Beruf etabliert werden;

  • Eine hochwertige Ausbildung muss auf die vielfältigen Anforderungen vorbereiten;

  • Ein gesundes Arbeitsumfeld muss die pädagogische Arbeit unterstützen und nicht behindern;

  • Die Bezahlung muss die hohe Qualifikation und Verantwortung pädagogischer Arbeit angemessen berücksichtigen;

  • Eine ausreichende Personalausstattung einschließlich einer Vertretungsreserve in allen Bildungseinrichtungen;

  • Die Arbeitszeitgestaltung muss für alle Arbeitsanteile einschließlich Vor- und Nachbereitung und Fortbildung ausreichend Zeit lassen;

  • die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung bei gleicher Bezahlung muss rückgängig gemacht werden.
Der Umgang mit Verschiedenheit und die Verpflichtung zur Chancengleichheit für Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, für Einheimische und MigrantInnen, Menschen mit deutscher und mit anderen Muttersprachen, für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung, Christen, Moslems, Juden und Atheisten, Menschen mit und ohne Behinderungen, für Alte und Junge sind eine stete Herausforderung in der Bildungsarbeit.


Quelle: Beschluss des 18. Ordentliche DGB-Bundeskongress

Sie können den vollständigen Beschluss zur Bildungspolitik hier als pdf-datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.08.2006