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Berufliche Weiterbildung auf Versicherungsschein

Nach Ansicht der FDP hat die vorläufige Evaluierung der Hartz-Gesetze „die arbeitsmarktpolitischen Instrumente überwiegend schlecht bewertet“. Eine Differenzierung der einzelnen Instrumente wird in dem Antrag nicht vorgenommen. Aber auch die BA selber sei schlecht aufgestellt. Der einzig gangbare Weg, um Verbesserungen zu erzielen, ist nach Ansicht der FDP die Auflösung der BA. Zudem müssten alle versicherungsfremden Leistungen, die fast die Hälfte des Etats ausmachen würden, aus der Versicherung ausgegliedert werden.

„Neben der grundsätzlichen Verantwortung für das steuerfinanzierte Arbeitslosengeld II gehören zu den Aufgaben der BA weite Teile der Finanzierung von Weiterbildung und allgemeine soziale Aufgaben, z. B. die Förderung Behinderter, bei denen es sich um gesamtstaatliche Aufgaben handelt.

Die Folge der Überwälzung vieler grundsätzlich gesamtgesellschaftlicher Auf- gaben auf die Arbeitslosenversicherung ist eine unübersehbare Fülle von Instrumenten, die vorgeblich die Arbeitsmarktchancen für die verschiedenen Zielgruppen unter den Arbeitslosen verbessern sollen. Alle Beteiligten nutzen so die Arbeitslosenversicherung, um beschäftigungspolitische Lasten auf Dritte – die beitragzahlenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer – abzuwälzen.“


Ganz besonders schlecht kommt in diesem Zusammenhang die Selbstverwaltung der BA weg. Nach Ansicht der FDP ist sie ein reiner Selbstbedienungsladen der ehrenamtlich aktiven Vertreter der Tarifparteien.

„Jeder Vertreter der Selbstverwaltung, der die BA beaufsichtigt, hat eigene Interessen: Die Arbeitgeber werden verleitet, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Lösung betrieblicher Personalpolitik zu missbrauchen, weil die Arbeitsagentur Altersteilzeit-Regelungen, Gehaltsaufschläge und Rentenbeiträge mitfinanziert. Die Gewerkschaften versuchen, mit Hilfe arbeitsmarktpolitischer Instrumente die Interessen ihrer Mitglieder und hauptamtlichen Funktionäre zu bedienen, nicht die Bedürfnisse der Arbeitslosen“

Arbeitgeber und Gewerkschaften sind die Buhmänner, wenn es um Selbstverwaltung geht. Das kennen wir seit langem von der FDP. Aber die FDP wäre nicht die FDP, wenn sie beide Tarifparteien gleichmäßig beschimpfen würde. Während die Arbeitgeber lediglich „verleitet werden“, eigene Interessen zu verfolgen, bedienen die Gewerkschaften lediglich „die Interessen ihrer Mitglieder und hauptamtlichen Funktionäre“. Der Verleitete kann sicher noch gerettet werden, der andere aber hat sich durch seine Schandtaten selbst gerichtet. Diese pauschalen und beleidigenden Thesen werden durch nichts belegt. Frei nach der Devise: Wer den Unsinn nur lange genug erzählt, dem wird es eines Tages als Wiedergabe der Realität abgenommen.

Die neue Welt der Arbeitslosenversicherung, wie die FDP sie gerne hätte

Am liebsten hätte die FDP die Arbeitslosenversicherung auch noch privatisiert. Doch das scheint ihr nicht praktikabel. Nicht sozialstaatliche Verantwortung hält sie davon ab. Nein, Arbeitslosigkeit enthält für sie „unkalkulierbare Risiken“, und die FDP wäre die letzte Partei in Deutschland, die der Wirtschaft solche Risiken aufbürden möchte.

„Da Arbeitslosigkeit wegen unkalkulierbarer Risiken, z. B. konjunkturelle Schwankungen, schwere Rezessionen und das Problem der Kumulation von Risiken, nur schwer auf dem privaten Versicherungsmarkt zu versichern ist, bleibt ein staatlicher Rahmen für die Arbeitslosenversicherung zunächst erforderlich. (...) Die drittelparitätischen Selbstverwaltungsstrukturen in der BA und in den Verwaltungsausschüssen auf lokaler Ebene, die zu Selbstbedienungsmentalität und Verschwendung geführt haben, werden abgeschafft.

Die Bundesversicherungsagentur für Arbeitnehmer wird auf die Kernauf- gaben der Arbeitslosenversicherung beschränkt. Sie konzentriert sich auf die Aufgaben einer Leistungsabteilung (Versicherungsfunktion). Sie wird von sachfremden Aufgaben wie z. B. der Auszahlung des Kindergeldes, der Ausbildungsberatung, der Umschulung, allgemeinen sozial- und strukturpolitischen Aufgaben wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie den in den Haushalt der BA verschobenen Programmen befreit. (...)

Die Bundesversicherungsagentur schließt mit den Arbeitnehmern Versicherungsverträge ab. Es erfolgt eine klare Trennung zu Vermittlungs- und Qualifizierungstätigkeiten, die von privaten Anbietern und den Job-Centern übernommen werden.“


Die neue Versicherungsagentur würde lediglich Beiträge einziehen und die Versicherungsleistung auszahlen. Selbst die Vermittlung wird privatisiert. Qualifizierung und Weiterbildung fallen ebenfalls nicht in ihr Ressort. Die Verantwortung für das Arbeitslosengeld II soll vollständig auf die Kommunen übergehen. Aber ganz will die FDP den Bund hier nicht aus der Verantwortung, sprich der finanziellen Verantwortung entlassen.

„Die Kommunen nehmen die Aufgaben einer längerfristigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wahr. (..) Die primäre Verantwortung des Bundes für die Arbeitsmarktpolitik wird über eine finanzielle Beteiligung des Bundes sichergestellt.“

Wie sieht die Arbeitslosenversicherung der FDP nun aus?

Die FDP möchte, wie könnte es anders sein, Tarife einführen. Der Grundtarif versichert gegen den Einkommensverlust bei Arbeitslosigkeit. Wer mehr will, zum Beispiel eine berufliche Weiterbildung, der zahlt auch mehr.

„Um das Versicherungsprinzip und eine verantwortungsbewusste Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen noch weiter zu stärken, wird den Versicherten in der Arbeitslosenversicherung eine Wahlfreiheit bei den Tarifen eingeräumt. Damit kann die Arbeitslosenversicherung ihre Leistungen noch genauer auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Versicherten ausrichten und gleichzeitig die so möglich gewordenen Einsparungen in Form von niedrigeren Beiträgen an die Versicherten weitergeben.

Die Versicherungsagentur bietet Grund- und Wahltarife an. Enthalten in dem Grundtarif sind generell das Bewerbertraining und ein marktgerecht ausgestalteter Vermittlungsgutschein, der vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an eingelöst werden kann. Die Versicherten können sich mit diesem Gutschein an private Arbeitsvermittler aber auch an die Arbeitsvermittlung in den Job-Centern der Kommunen wenden, die ihrerseits untereinander im Wettbewerb um diese Gutscheine stehen.“


Der Arbeitslose erhält damit von der Versicherung Gutscheine. Mit denen sucht er sich jemanden, der ihm eine Arbeitsstelle sucht. Und er kann sich mit dem zweiten Schein jemanden suchen, der mit ihm ein Bewerbertraining abhält. Alles natürlich streng privatisiert und von der Versicherung getrennt. Wer jetzt feststellt, dass er weitere berufliche Qualifikationen benötigt, um eine Arbeitsstelle zu erhalten, für den wird es schwierig. Entweder hat er diesen Fall bereits beim Abschluss des Versicherungsvertrages bedacht und einen höheren Tarif abgeschlossen, dann gibt es was. Oder er wartet, bis er in das Arbeitslosengeld II rutscht. Dort gibt es dann wieder „arbeitsmarktpolitische Instrumente“, soweit die sich als „sinnvoll erwiesen“ haben. Oder er zahlt die berufliche Weiterbildung von seinem Arbeitslosengeld selbst. Wer nicht rechtzeitig vorgesorgt hat oder es sich finanziell nicht leisten kann, der hat eben Pech gehabt.

“Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen sowie Mobilitätshilfen sind nicht in der Grundabsicherung enthalten, aber über Wahltarife versicherbar. Der Versicherte erhält bei Inanspruchnahme ein Wahlrecht hinsichtlich der Angebote von zertifizierten Anbietern von Fort- und Weiterbildung. Damit wird der Wettbewerb im Fortbildungssegment gestärkt. Ebenfalls über Wahltarife kann der Anspruch auf Zuschüsse zu Bewerbungs- und Reisekosten und Unterhaltsgeld bei Teilnahme an beruflicher Weiterbildung erworben werden.“

Wenn der Erwerbslose hofft, die notwendige berufliche Weiterbildung als Bezieher von ALG II zu erhalten, macht ihm die FDP auch hier keine großen Versprechen, denn: “Die Maßnahmen sollten sich ausschließlich auf die Arbeitslosen mit den gravierendsten Risikomerkmalen beschränken. Gleichzeitig müssen die Maßnahmen Gelegenheit zur praxisnahen Qualifizierung bieten. Ihre Laufzeiten müssen verkürzt werden. Auch darf während der Maßnahmen die Vermittlungsberatung und Arbeitsplatzsuche nicht eingestellt werden.“ Das soll wohl heißen, dass nur der eine berufliche Weiterbildung erhält, der noch über gar keine berufliche Bildung verfügt. Während dieser Bildungsmaßnahme soll er auch noch dauernd vermittelt werden, sprich auf Beschäftigungssuche gehen.

Bleibt noch das Personal der alten BA

Würde die BA nach den Vorstellungen der FDP zur reinen Versicherungsagentur zurechtgestutzt, bleibt natürlich viel Personal auf der Strecke. Den betroffenen KollegInnen ruft die FDP zu: Du hast deine Arbeitskraft da zu verdingen, wo wir sie wollen! Soziale Belange oder etwa Familienbelange, solchen Luxus wird sich die FDP nicht leisten:

“Das Personal folgt der Aufgabe. Die Mitarbeiter der BA werden entsprechend ihrem Tätigkeitsbereich und Know-how in den Job-Centern, der Arbeitsmarkt- und Versicherungsagentur, der Zollverwaltung und den Finanz- und Gesundheitsämtern eingesetzt. Je nach Beamten- oder Angestelltenstatus sind Möglichkeiten von Versetzungen, Änderungskündigun- gen und Übernahme der Beschäftigungsverhältnisse im Wege des Betriebsübergangs zu prüfen. Bei den Privatisierungen sollten die Möglichkeiten der Übernahme der Angestellten und Beistellung der Beamten geprüft wer- den. Auch sollte der Übergang in eine selbständige Tätigkeit unterstützt werden.“

Die FDP hat sich vom Sozialstaatsprinzip des Staates verabschiedet. Arbeitslosigkeit wird zum privaten Versicherungsfall. Die staatliche Versicherung wird lediglich erhalten, um private Versicherungskonzerne vor „unkalkulierbaren Risiken“ zu schützen. Berufliche Weiterbildung ist privat zu finanzieren, ist diesem Fall über erhöhte Versicherungsprämien. Das entlassene Personal kann entweder jede angebotene Stelle annehmen oder wird betriebsbedingt gekündigt.

Sicher wird dieser Antrag nicht angenommen. Als Opposition kann man seinen Wünschen auch in Anträgen freien Lauf lassen. Er zeigt, was die FDP wirklich will, auch wenn sie in Kabinetten nicht gleich so forsch ans Werk gehen würde. Es wird sicher interessant sein, was die rot-schwarze Bundesregierung während der Aussprache zu diesem Antrag sagt und welche Gründe sie für eine Ablehnung vorbringt. Falls sie ihn überhaupt wirklich ablehnt und nicht als Diskussionsmaterial in einen Ausschuss verweist.

Wer den Antrag in voller Länge lesen möchte, kann ihn als pdf-Datei auf der Homepage des Deutschen Bundestages und der Nummer 16/2684 herunterladen.

Quelle: Eigenbeitrag Netzwerk-Weiterbildung

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 21.10.2006

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024