Förderung der beruflichen Weiterbildung

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Arbeitsmarkt

In der Ein-Euro-Sackgasse

Arbeitsgelegenheiten finden immer mehr Zuspruch - in der Vermittlungspraxis der Job-Center wie in der öffentlichen Debatte. Echte Qualifizierung würde den meisten Langzeitarbeitslosen mehr helfen.

Die Filialen der Arbeitsagentur setzen bei Arbeitslosen mit Vermittlungsschwierigkeiten nicht in erster Linie auf gezielte Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt - entgegen der Intention des Sozialgesetzbuches. Auf den Einzelfall zugeschnittene Fördermaßnahmen sind eher die Ausnahme als die Regel. Darauf weist das WSI in einem Thesenpapier "zur Neudefinition des Verhältnisses von Arbeit und Sozialer Sicherung" hin. So wurden im Jahr 2005 nur 65.000 Teilnehmer an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen für ALG-II-Empfänger gezählt, aber 630.000 Arbeitslose durch Arbeitsgelegenheiten geschleust.

Die Einsparungen bei der Qualifizierung gehen zu Lasten der Langzeitarbeitslosen. Wer vom Versicherungs- ins Fürsorgesystem rutscht, also vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II, hat das Nachsehen. Die Arbeitsvermittler konzentrieren ihre Bemühungen auf Erwerbslose, die noch Arbeitslosengeld I beziehen und am Markt vergleichsweise gute Chancen haben. Erwerbslose "mit Vermittlungshemmnissen" müssen abwarten, bis sie ALG II bekommen, und sich dann überwiegend mit Ein-Euro-Jobs zufrieden geben. Diese - offiziell als Arbeitsgelegenheiten bezeichneten - Jobs sollen laut Gesetz "arbeitsmarktferne" Personen wieder an das Erwerbsleben heranführen. In der Praxis sei jedoch zu beobachten, dass Ein-Euro-Jobs "nach dem Gießkannenprinzip" eingerichtet und besetzt würden, so das WSI.

Qualifizierte verdrängen Ungelernte - auch in Ein-Euro-Jobs: Ein-Euro-Jobs gehen öfter an Arbeitslose mit Berufsausbildung oder Fachschulabschluss als an niedrig Qualifizierte. Das entspricht nicht der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers. Benachteiligt werden gerade die Problemgruppen, die "maßgeschneiderte Eingliederungsleistungen" erhalten sollten. Für die besser Ausgebildeten könne der Zwang zur Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit hingegen zum Einstieg in eine "qualifikatorische Abwärtsspirale" werden, warnen die WSI-Forscher.

Junge Arbeitslose - qualifizierte Integration fehlt: Ein Viertel der Ein-Euro-Jobber ist jünger als 25 Jahre. Erwerbsfähige junge Erwachsene werden "zu schnell auf geförderte Beschäftigung oder gleich zurück in die Obhut ihrer Eltern" verwiesen, kritisiert das WSI. So entstehe keine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben, eine Integration in qualifizierte Erwerbsarbeit finde von vornherein nicht statt.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Dänemarks: Dort haben gering qualifizierte Jugendliche bereits nach kurzer Zeit der Arbeitslosigkeit Anspruch auf eine vollwertige Berufsausbildung. Das sei eindeutig die bessere Alternative, urteilt das WSI.

Mitnahmeeffekte bei Arbeitsgelegenheiten: Das WSI warnt vor einem weiteren Ausbau der Ein-Euro-Jobs. Das Gesetz schreibe zwar vor, dass Arbeitsgelegenheiten "zusätzlich und wettbewerbsneutral" sein müssen, also weder Ersatz noch Konkurrenz für reguläre Beschäftigung sein dürfen. Doch eine Stichprobenuntersuchung des Bundesrechnungshofes und lokale Studien zeigen, dass längst nicht immer geprüft wird, ob diese Bedingungen tatsächlich erfüllt sind. Ein flächendeckender Einsatz werde immer "Mitnahme, Substitution oder gar Missbrauch" zur Folge haben, schreiben die WSI-Forscher. Die Zusätzlichkeit solcher Maßnahmen lasse sich oft nur schwer belegen. Starke finanzielle Anreize verlocken die Träger von Arbeitsgelegenheiten, reguläre Stellen durch Ein-Euro-Jobs zu ersetzen - vor allem in der Kinder- und Altenbetreuung. Und das Arbeitskräftepotential ist groß: Im September 2006 waren in Deutschland 30.000 Krankenpfleger, 40.000 Erzieherinnen und 75.000 Hauswirtschafterinnen arbeitslos gemeldet.

Das WSI nennt zentrale Kriterien für sinnvolle geförderte Beschäftigung:
  • Soziale Sicherung: Die Entlohnung sollte - wie in Dänemark - tariflich oder zumindest ortsüblich sein.
  • Qualifikationsschutz: Die Beschäftigung sollte an Art und Niveau der Qualifikation anschließen.
  • Zielgruppenorientierung: Je nach individuellem Förderbedarf brauchen einige Arbeitslose Qualifizierungsmaßnahmen, andere Hilfen zur Überwindung sozialer Beschäftigungshemmnisse.
Generell sei - wie oft unterstellt - mangelnde Arbeitsbereitschaft der Erwerbslosen nicht der Grund für die Unterbeschäftigung in Deutschland. Gerade das große Interesse Arbeitsloser an den Ein-Euro-Jobs beweise das Gegenteil. Und: Angesichts von nur 415.000 gemeldeten offenen Stellen im ungeförderten Arbeitsmarkt, denen 4,1 Millionen Arbeitslose gegenüberstehen, ignoriere der Vorschlag, die Pflicht zur Arbeitsaufnahme zu verschärfen, die allgemeine Beschäftigungssituation.


*Quelle: Judith Aust u.a.: Zur Neudefinition des Verhältnisses zwischen Arbeit und Sozialer Sicherung, WSI-Arbeitspapier, September 2006

Quelle: Böckler Impuls 18/2006

Sie können die gesamte Böckler-Impuls auf der Homepage der Böckler-Stiftung als pdf-Datei herunterladen.

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 16.11.2006