Der Kommentar

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Tarifbindung als Qualitätsmerkmal von Bildungsunternehmen

SGB II und III enthalten einen rechtlichen Rahmen, Erwerbslose durch Qualifizierungsmaßnahmen wieder Zugänge zu den Arbeitsmärkten zu eröffnen. Die Beschäftigten der Bildungsunternehmen bilden den wichtigsten Erfolgsfaktor für den gewünschten Bildungserfolg: Sie stabilisieren und qualifizieren die Teilnehmenden.

Deshalb bedarf es stabiler Arbeitsbeziehungen für diese Beschäftigten. Nur, wer selbst motiviert und qualifiziert ist, eignet sich als pädagogisches Vorbild. Deshalb warnt ver.di vor einer Fortsetzung des Lohndumpings bei den Bildungsunternehmen und plädiert für eine Orientierung an langfristiger Wertschöpfung und Humankapitalbindung, die die gesellschaftlichen Qualifizierungsinteressen mit den Arbeitnehmerinteressen bei den Bildungsunternehmen in Ausgleich bringt. Tarifverhandlungen sind eine bewährte Form der Konfliktregulierung und Konsensfindung.

In seinem Gutachten „Ökonomische Wirkungen der Mitbestimmung in Deutschland“ hat Uwe Jirjahn vom Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Hannover den aktuellen Stand der Mitbestimmungsforschung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung analysiert Danach besteht ein Zusammenhang zwischen Tarifbindung und Produktivität. Seine Erklärung: „Je weniger Verteilungskämpfe auf Unternehmensebene auszufechten sind, desto besser gelingt die Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmervertretern und Management, wenn es darum geht, Produkte oder Produktionsabläufe zu verbessern oder Marktanteile zu erobern. Bildlich gesprochen: Je weniger Energie die Verteilung des Kuchens beansprucht, desto mehr Kräfte sind zur Vergrößerung des Kuchens da“. In der Weiterbildung stehen die Beschäftigten z.Zt. mit dem Rücken an der Wand. Hohe Arbeitsbelastungen, große Arbeitsplatzunsicherheit, sinkende Erwerbseinkommen. Der Anteil tarifgebundener Arbeitsverhältnisse ist weiter rückläufig, weil Tarifansprüche Personalkosten sind, die tariflose Unternehmen nicht erbringen müssen. So können Angebote zu tendenziell sinkenden Preisen gemacht werden, zu Lasten der Existenzgrundlagen der Beschäftigten.

Arbeitnehmereigenkündigungen sind eine wichtige statistische Größe für den Grad der Nichtzufriedenheit. Mit seiner Analyse der niedersächsischen Teilstichprobe aus dem Betriebspaneel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (aus den Jahren 2000-2004, veröffentlicht in den WSI-Mitteilungen 2/2007) erbringt Christian Pfeifer von der Universität Hannover den Nachweis, dass das Recht auf Mitsprache und die Tarifbindung Arbeitsplätze attraktiv machen.

Das Vorhandensein eines Betriebsrats allein lässt Kündigungen von Beschäftigten um etwa 20% sinken. Denn nach dem Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat nicht nur ein Informationsrecht. Er kann z.B. Einfluss nehmen auf die Festlegung von Betriebszeiten wie Arbeitsanfang und – ende, Pausen sowie Betriebsferien. Auch an Entscheidungen über Weiterbildungen, Einstellungen und Entlassungen sind Arbeitnehmervertreter beteiligt. Darüber hinaus kann der Betriebsrat kündigungswilligen Beschäftigten helfen, ihre individuelle Situation zu verbessern – damit sie dem Unternehmen dann doch erhalten bleiben.

Eine alleinige Tarifbindung verringert die Zahl der Arbeitnehmerkündigungen um ungefähr 7%. Die Interessen von einzelnen Arbeitnehmern oder der Belegschaft eines einzelnen Betriebes regeln Tarifverträge zwar nur bedingt. Doch die Tarifbindung sichert allgemein bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und geringere Arbeitszeiten.

Sind Betriebsrat und Tarifbindung vorhanden, sinken freiwillige Kündigungen sogar um mehr als 30%. Der Ökonom erklärt diesen starken Effekt so: Betriebsräte können ihre Aufgaben effektiver wahrnehmen, wenn Verteilungskonflikte in Tarifverhandlungen außerhalb des Betriebes laufen. In tarifgebundenen Unternehmen läuft die Kooperation zwischen Arbeitnehmervertretern und Geschäftsleitung besser als dort, wo innerbetriebliche Verteilungskämpfe stattfinden.

Wenn Beschäftigte ihren Job kündigen, muss ihre Firma zumeist neue Leute suchen und einarbeiten. Wer geht, nimmt oft auch betriebsspezifisches Wissen mit. Der Lernprozess wird bei einem Wechsel der Bezugsperson erheblich gestört.

Das Unternehmen spart sich den Aufwand für Neueinstellungen und Einarbeitung und hat zudem eher Anreize, in betriebsspezifisches Humankapital zu investieren

Im wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionspapier Nr. 2/99 der Universität Greifswald „Mitbestimmung als zentrale Frage der Corporate Governance“ beschreiben Alexander Dilger, Bernd Frick und Gerhard Speckbacher den quantitativen Verlust von Eigenkündigungen der Arbeitnehmer für die Unternehmen.

„Insbesondere überdurchschnittlich produktive Arbeitskräfte verlassen oftmals unter Inkaufnahme des Verlustes ihres Bonds das Unternehmen, weil sie nicht nur ihre (branchen-)spezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten ohne nennenswerte Abschreibungen transferieren können, sondern weil die Ertragsraten auf ihr Humankapital in den sie einstellenden Unternehmen nennenswert höher sind“.

„Sofern entsprechende (Mitbestimmungs-)Regelungen innerorganisatorisch ineffiziente, d.h. zu hohe Fluktuationsraten verhindern, reduzieren sie zugleich die Wahrscheinlichkeit kurzfristiger Störungen des Produktionsablaufs und fördern langfristig den innerbetrieblichen Wissens- und Qualifikationstransfer. In jedem Fall bewirken sie eine nennenswerte Reduktion der Arbeitskosten (vgl. Alexander et al. 1994). In diesem Sinne stellen derartige Regelungen nicht nur eine Einschränkung betrieblicher Handlungsoptionen dar, sondern können ihrerseits durchaus Spielräume für die betriebliche Personal- und Beschäftigungspolitik eröffnen, indem sie beispielsweise über eine Reduktion freiwilliger Mobilität die Minimierung der Arbeitskosten erleichtern“.

In der internationalen Diskussion bezeichnet „High Performance Work Practices“ eine zukunftsfähige „Gestaltung von Arbeitsbeziehungen und Unternehmensabläufen. Sie definiert sich wie folgt:
  • flache Hierarchien, verbunden mit dezentralen und eigenverantwortlichen Entscheidungen
  • dezentrale Kosten – und Ergebnisverantwortung
  • Praktizierung von Gruppen – und Teamarbeit
  • flexibler Einsatz der Arbeitnehmer
  • leistungsorientiertes Entgelt
  • Qualifizierung
  • Intensive Information und Kommunikation
  • Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
  • sichere Arbeitsplätze.

Bildungsanbieter - vor allem die Agentur für Arbeit und die ARG’en und Bildungsunternehmen – müssen die bestehenden Defizite bei Bezahlung, Kooperation und Arbeitsplatzsicherheit wirksam mit ver.di und den Betriebsräten angehen!

Eine Fortsetzung des Lohndumpings wird ansonsten dazu führen, dass sich Beschäftigte aus Bildungsunternehmen und der Berufsnachwuchs im Rahmen der besser werdenden Arbeitsmarktlage beruflich anders orientierten.

Nach dem Gehaltsreport „stern“, Heft 29 aus 2007 beträgt der monatliche Durchschnittsverdienst von Lehrern in der Erwachsenenbildung 4.123,00 € und von Sozialarbeitern 3.470,00 €. Warum sollen sich Lehrer und Sozialarbeiter zu erheblich niedrigeren Sätzen für eine Berufstätigkeit in der Weiterbildung entscheiden, wenn in anderen Arbeitsfeldern bessere Bedingungen herrschen?

Mit dem Branchentarifvertrag besteht für die Branche noch eine Chance, Anschluss zu finden. Tarifansprüche gestalten Stabilität, Attraktivität und Gerechtigkeit für Beschäftigte!

Das REZ sollte sich bei seinen Vergabeentscheidungen auch davon leiten lassen, welche Auswirkungen sich langfristig für die Qualität und für die Beschäftigten ergeben. Gerade der Einsatz öffentlicher Mittel lässt uns ein glaubhaftes Bekenntnis zu einer verantwortungsvollen Beschaffung erwarten!

von Uwe Meyeringh, ver.di – Landesbezirk NRW


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 22.11.2007