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Renaissance der Aus- und Weiterbildung? Neue Ziele – neue Perspektiven

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich begrüße Sie herzlich auf unserer Fachtagung „Renaissance der Aus- und Weiterbildung? Neue Ziele – neue Perspektiven“.

Zum siebten Mal führt unser ver.di Fachbereich eine Tagung zum Thema berufliche Weiterbildung durch. Tradition verpflichtet – auch dazu, Neues auszuprobieren. Mit den angebotenen Workshops möchten wir euch die Möglichkeit geben, eure Erfahrungen und Positionen stärker in die Fachtagung einfließen zu lassen.

Stehen wir wirklich vor einer Renaissance der beruflichen Weiterbildung? Berufliche Bildung und Weiterbildung sind angesagt, fast täglich findet sich ein Bericht über ihre wachsende Bedeutung in den Medien. Ob Rente mit 67, Fachkräftemangel, längerer Bezug des Arbeitslosengeldes für ältere Erwerbslose, überall soll Weiterbildung der Königsweg zur Lösung dieser Probleme sein.


Es lohnt sich, die positiven Ankündigungen der Politik mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Von vermehrten Anstrengungen in einem nennenswerten Umfang ist da nichts zu spüren.

Ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, habt die Folgen dieser Politik direkt erlebt. Die BA hat seit 2002 die Förderung der beruflichen Weiterbildung dauerhaft um 2/3 gekürzt. Die durchschnittliche Zahl der Teilnehmer ist von damals gut 300.000 auf ca. 120.000 gefallen. Mit Preisdumping um die verbliebenen Aufträge reagierten die Bildungsträger auf diese Entwicklung. Bei durchschnittlichen Personalkosten von 55 – 75 % konnte dieses Kalkül nur aufgehen, wenn dem Preisdumping gegenüber der BA Lohndumping gegenüber den Beschäftigten folgte.
Doch Preis- und Lohndumping konnte die ausbleibenden Aufträge in der beruflichen Weiterbildung nicht ersetzen.

Der Umfang der Bildungsmaßnahmen für Jugendliche (abH, BaE und BvB) blieb während dieser Zeit relativ stabil. Aber plötzlich traten bei den Ausschreibungen Anbieter auf, die vorher weder Erfahrungen noch Interesse an diesen Bildungsmaßnahmen hatten.
Um die Ausschreibungen zu gewinnen, gab es nur ein Mittel: den Preis. Gerade bei Bildungsmaßnahmen für Jugendliche hat in den letzten Jahren ein gnadenloser Preiswettbewerb stattgefunden, der nur durch massiven Druck auf die Gehälter der Beschäftigten zu bestreiten war. Einstiegsgehälter von 1.500 bis 1.800 Euro in den alten und 1.300 bis 1.500 Euro in den neuen Bundesländern sind das Ergebnis einer verfehlten Ausschreibungspolitik der BA, die weder auf Qualität noch auf soziale Standards setzt.


Inzwischen hat die neue Geschäftspolitik der BA auch den Bereich der beruflichen Rehabilitation und der Qualifizierung von behinderten Menschen erreicht. Auch hier versucht die BA, durch eine entsprechende Einteilung der betroffenen Menschen in Kategorien teure und aufwendige Rehabilitationsmaßnahmen zu reduzieren. Einfache Rehabilitationsmaßnahmen werden ausgeschrieben, mit den bekannten Folgen aus der beruflichen Weiterbildung und den Jugendmaßnahmen (Preisverfall und Qualitätseinbußen). Bei den aufwendigen Rehabilitationsmaßnahmen führt der Rückgang der Zuweisungen inzwischen zu massivem Personalabbau. So ging die Zahl der Beschäftigten bei den BFW’S von 6.220 in 2004 um 27 % auf nur noch 4.520 in 2006 zurück. Tendenz weiter fallend.


Wenn die Politik ernsthaft mehr und bessere Weiterbildung wünscht, dann muss Schluss sein mit einer verfehlten Politik der BA, die
  • Weiterbildungsmaßnahmen über den Preis statt über die Qualität bewertet;

  • mit kurzen Anpassungsqualifikationen bereits ausgebildete Erwerbslose aus dem Regelkreis des SGB III schnell wieder in Arbeit bringen will und die Un- und Angelernten Erwerbslosen im Regelkreis des SGB II im Regen stehen lässt;

  • aus kurzsichtigen Sparzielen zum Zwecke der Beitragssenkung behinderten Menschen die Teilnahme an einer berufsqualifizierenden Ausbildung verweigert und damit deren Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beschneidet.

Wir wollen mit unserer Tagung auch die Politik ermuntern, der Ankündigung für mehr und bessere Weiterbildung auch mehr und bessere Weiterbildung folgen zu lassen!


Ich freue mich, Herrn Thomas Kruppe als Vertreter des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) begrüßen zu können. Er leitet die im Juni 2007 neu gegründete AG Berufliche Weiterbildung beim IAB. Die AG führt die einschlägige IAB-Forschung zu verschiedenen Aspekten beruflicher Weiterbildung zusammen und fördert den bereichs- und fachübergreifenden Austausch. Er wird uns heute neue Ergebnisse über die Wirkung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente der BA präsentieren.


Ganz herzlich begrüße ich Volker Baethe-Kinsky. Als Mitarbeiter des soziologischen Forschungsinstituts in Göttingen beschäftigt er sich seit langem mit Fragen der Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung. Er plädiert seit längerer Zeit dafür, den Betrieben im Rahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die BA eine deutliche veränderte Rolle als Lernort zuzuweisen. In Betrieben existieren jene „arbeitsnahen“ Lernformen, in denen eher bildungsferne Erwerbslose besonders erfolgreich lernen können, so seine These. Müssen die Bildungsträger umdenken und alternative Qualifizierungswege anbieten? Eine spannende Frage, der wir heute nachgehen wollen.

Nach einer kurzen Diskussion über die Eingangsreferate laden wir euch ein, eure Sicht der Dinge in den Workshops mitzuteilen und auszutauschen. Wir haben die Workshops unter das Thema:

Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranche und Perspektiven

gestellt.

Zu den einzelnen Workshops wird es eine kurze Einführung von Hermann Ziegenbein vom BFW Hamburg, Volker Baethge-Kinsky. Und Ulrich Kreuzberg vom VHS-Bildungswerk Sachsen-Anhalt geben.

Moderiert werden sie von Ulrike Stremlow, Peter Petersen und Peter Huckebrink.

Euch möchte ich an dieser Stelle für Eure Bereitschaft danken, die Workshops zu begleiten.


Qualität hat ihren Wert – Fixpunkte bei der geförderten Aus- und Weiterbildung als arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Instrument

unter diesem Motto werden sich nach der Mittagspause an der Podiumsdiskussion beteiligen:


Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit;
Bettina Schattat, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie
Roland Kohsiek, Leiter des Landesfachbereichs BIWIFO in Hamburg.

Die Moderation der Diskussionsrunde hat Alexandra Wagner übernommen. Sie ist Geschäftsführerin des Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt. Auch Ihr möchte ich dafür ausdrücklichen danken.


Nach der Diskussionsrunde werden Ulrich Kreutzberg und der Sprecher der AG Weiterbildung im Fachbereich, Peter Petersen, über die Herausforderungen, aber auch die Handlungsfelder für Betriebsräte in der Weiterbildung sprechen.

Sie werden auch ein Resümee unserer Veranstaltung ziehen.


Die Tagungsmoderation der heutigen Veranstaltung übernehmen die Kollegin Renate Singvogel, Bereichsleiterin Weiterbildung im Fachbereich BiWiFo und Rolf Busch, Leiter der Kooperationsstelle der FU und des DGB in Berlin. Sie haben auch die Vorbereitung der Veranstaltung übernommen.

Für Euer Engagement im Vorfeld dieser Veranstaltung herzlichen Dank.


Verehrte Gäste! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!


Renaissance bedeutet Wiedergeburt. Allgemein wird der Begriff Renaissance auch verwendet, um die Wiedergeburt der Werte, Bauwerke usw. eines vergangenen Zeitalters oder einer Werteordnung zu bezeichnen.
Eine Renaissance der Aus- und Weiterbildung setzt voraus, der Weiterbildung in der Zukunft einen höheren Stellenwert einzuräumen. Einen Stellenwert, den sie schon einmal besaß, und der ihr in der Zwischenzeit strittig gemacht wurde.

Ein ganzes Bündel von Ereignissen und Maßnahmen hat seit Anfang des Jahrhunderts zum Niedergang der Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die BA geführt.

Da war der sogenannte Vermittlungsskandal, der das Sozialsystem Arbeitsamt und alles, was es so machte in Misskredit brachte. Dazu gehörte insbesondere die berufliche Weiterbildung, die angeblich nichts brachte und nur einem Kartell von Weiterbildungsträgern die Kassen fühlte. Der Skandal spülte zwischenzeitlich einen Herrn Gerster an die Spitze des Arbeitsamtes, bis der nach dubiosen Beratungsaufträgen und Organisationsentwicklungen das Haus wieder verlassen musste. Es ist eben jener Herr Gerster, noch SPD-Mitglied, der mit allen Mitteln versucht, den Mindestlohn im Postgewerbe zu verhindern. Selbst eine gelbe Gewerkschaft soll er inzwischen gegründet haben.

Dann kam die Agenda 2010, die ein vermeintlich nicht mehr finanzierbares Sozialsystem zukunftssicher machen sollte. Der neue „vorsorgende Sozialstaat“ sollte mit den Mitteln des „Forderns und Förderns“ Erwerbslosen neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Geblieben ist eine immer dreistere Praxis des Forderns gegenüber den Erwerbslosen, und eine Verweigerung jener Fördermittel, mit denen sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen sollten.


Den letzten Stoss gegen die Weiterbildung führte die neue Geschäftspolitik der BA mit ihrem System der „Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit“ von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aus. Zusammen mit dem staatlich verordneten Zwangsgeld namens „Aussteuerungsbetrag“, den die BA nach einem inzwischen vorliegenden Rechtsgutachten rechtwidrig an den Bund abführen musste, läutete es das Ende von berufsqualifizierenden Maßnahmen ein. Jetzt war nur noch sinnvoll, was unmittelbar in Arbeit führte. Längerfristige Qualifikationsmaßnahmen, die erst nach dem Auslaufen des ALG I in eine Erwerbstätigkeit münden konnten, wurden systematisch abgebaut und zum Ladenhüter der aktiven Arbeitsmarktpolitik.


Hier liegt der Grund für die Entwertung von Bildung, beruflicher Bildung wie beruflicher Weiterbildung. Eine kurzfristige betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse bewertet Bildungsmaßnahmen lediglich nach ihren kurzfristig Erfolgen, in diesem Fall nach der Vermittlung in Erwerbsarbeit. Das ist der Sinn der sogenannten passgenauen Maßnahmevergabe, die Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA, in einem Interview der FAZ im September 2007 noch einmal ausdrücklich verteidigt hat. Zusätzliches Geld für die berufliche Weiterbildung werde es nicht geben. „Nein, denn wir haben gesehen, dass das unserem Arbeitsmarkt nicht weiterhilft. Nur wenn Markt und Bewerber zusammenpassen, vergeben wir einen Bildungsgutschein.“

Langfristige Qualifizierung kann so nicht funktionieren. Wer kann heute sagen, ob in 30 Monaten der Arbeitsmarkt eine bestimmte Qualifikation nachfragt? So lange liegen Bewilligung und Ergebnis einer berufsqualifizierenden Weiterbildung zeitlich auseinander. Da Markt und Bewerber aufgrund dieser zeitlichen Verschiebung nicht zueinander finden können, gibt es dafür kein Geld mehr.

Ein paar Zahlen verdeutlichen diese neue Geschäftspolitik der BA. 2002 entfielen 92.900 Neueintritte in FbW in Weiterbildung mit Berufsabschluss. 2006 hat die BA nur 5.200 Umschulungen bewilligt. Ein Rückgang um 94,4 %!! Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Umschulungen sank im gleichen Zeitraum um 70,5 % von 153.750 auf 45.290. Tendenz weiter fallend. Und selbst bei den kurzfristigen Anpassungsqualifikationen sieht die Lage nicht viel besser aus. Gab es dort 2000 noch 427.000 Neueintritte, sind es 2006 nur 241.500 oder gut 43 % weniger.

Wer sich für die Renaissance der beruflichen Weiterbildung einsetzt, muss die Positionen kritisieren und zurückdrängen, die ihre gegenwärtige Krise verursacht haben. Und deren Verfechter nicht begreifen wollen oder begreifen können, das der Sinn der beruflichen Weiterbildung nicht nur in Kosten-Nutzen-Kategorien beschrieben werden kann.

„Zunehmend entscheidet berufliche Weiterbildung mit über die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Chancen auf gutes Einkommen, die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und die Qualität der Arbeit. In dem Maß, in dem damit Lebensperspektiven mitbestimmt werden, begrenzt der Ausschluss von den Weiterbildungsmöglichkeiten die individuellen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Teilhabe an oder Ausgrenzung von Weiterbildung wird also zur neuen sozialen Frage.“ *

Die betriebswirtschaftliche Steuerungslogik der BA hat viele Erwerbslose von der beruflichen Weiterbildung ausgeschlossen. Ich möchte zum Schluss ein aktuelles Beispiel anführen, zu welchen Folgen diese „Logik“ führt:
66,7% der „Betreuungskunden“ sind weiblich, weil sie das Vermittlungshemmnis mangelnder Mobilität aufweisen. Wer Kinder erzieht, kann nicht 200 km am Tag fahren. Das genügt, um die Teilhabe an beruflicher Weiterbildung abzulehnen. Das war vor ein paar Jahren schon mal anders. Da wurden berufsqualifizierende Maßnahmen für Frauen in Teilzeit angeboten, mit gutem Erfolg. Mit dem Argument „Wirtschaftlichkeit“ hat sie die BA von der Weiterbildung und damit individuellen Entwicklungsmöglichkeiten ausgegrenzt.

Unter Renaissance der beruflichen Weiterbildung verstehen wir: Allen Menschen das Recht auf Teilhabe an der beruflichen Weiterbildung zu gewähren - unabhängig von Status, Geschlecht, Alter oder anderen Kriterien.

Wir wollen heute erneut in einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch treten. Von den Referaten und Diskussionsbeiträgen erwarten wir Anregungen und Hinweise auf erforderliche Positionierungen und weitere Aktivitäten.


Ich danke Ihnen.

* Hannoveraner Erklärung der Teilnehmer der Betriebs- und Personalrätekonferenz der Gewerkschaften IG Metall und ver.di vom 29. Juni 2002

Die Vorträge von Thomas Kruppe und von Volker Baethe-Kinsky können Sie hier als pdf-Datei und als ppt-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Bildungsgutschein
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009