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Der beruflichen Weiterbildung den notwendigen Stellenwert einräumen

Der Bundestag wolle beschließen:


I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Angesichts rascher Veränderungen in der Arbeitswelt, der Alterung der Gesellschaft, eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels sowie der immer noch hohen Erwerbslosigkeit – insbesondere von Menschen mit geringer Qualifikation – ist eine bessere und breitere berufliche Weiterbildung sowohl für die Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt dringend notwendig. Obwohl eine verbesserte berufliche Weiterbildung allen Erwerbslosen und Beschäftig- ten offen stehen muss, sollten insbesondere gering qualifizierte Menschen sowie Ältere im Mittelpunkt von Qualifizierungsstrategien stehen, um soziale Benachteiligungen zu vermeiden.

Allerdings spiegelt sich die notwendige Ausrichtung auf mehr und bessere berufliche Weiterbildung weder in der Beteiligung der Erwerbstätigen noch der Erwerbslosen an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung wider. Gerade Ältere und Menschen mit geringer Qualifikation werden zu wenig durch nachhaltige berufliche Weiterbildung gefördert. Exemplarisch zeigt dies die berufliche Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA). Seit Jahren sinkt die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen. Gleichzeitig bietet die BA fast nur noch kurze Anpassungsweiterbildungen statt längerer Maßnahmen mit dem Ziel eines Berufsabschlusses an. Dabei betonte der Evaluierungsbericht zu den Hartz I-III-Gesetzen, wie erfolgreich die berufliche Weiterbildung als arbeitsmarktpolitisches Instrument ist – insbesondere wenn sie zu einem anerkannten Berufsabschluss führt. Dies müsste sich unmittelbar im Regierungshandeln niederschlagen. Stattdessen wurden solche Maß- nahmen in den letzten Jahren stark reduziert. Gleichzeitig leidet unter dem Spardruck der BA die Qualität der Weiterbildung sowie die Entlohnung der Beschäftigten. Die Ausrichtung der BA auf das betriebswirtschaftliche Ziel der Kostenminimierung, die Einführung des so genannten Aussteuerungsbetrags sowie die Trennung der Erwerbslosen in zwei Regelkreise verhindert langfristige Qualifizierungsstrategien. Diese Entwicklung verschärft die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt zunehmend und trägt zur Verfestigung der Langzeiterwerbslosigkeit bei. Sie ist daher völlig inakzeptabel.

Weiterbildung ist ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Allein durch Weiterbildung kann Erwerbslosigkeit allerdings nicht beseitigt werden. Sie ermöglicht es zwar, Stellen zu besetzen, für die es sonst keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber gäbe, es werden aber keine neuen Arbeitsplätze geschaffen – außer in der Weiterbildungsbranche selbst. Durch berufliche Weiterbildung und die daraus resultierende Qualifikation kann lediglich das individuelle Risiko, erwerbslos zu werden, verringert werden. Eine nachhaltige Strategie zur Beseitigung der Erwerbslosigkeit und für mehr gute Arbeit muss auf die Steigerung der Nachfrage nach Arbeit, öffentlich finanzierte Beschäftigung, Arbeitszeitverkürzung und Überstundenabbau sowie auf Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Beschäftigungsverhältnisse ausgerichtet sein.


II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

erstens zügig folgende Maßnahmen für mehr und bessere berufliche Weiterbildung für Erwerbslose zu ergreifen:
  • Notwendige Anpassungsqualifizierungen werden ermöglicht und berufliche Neuausrichtungen sichergestellt. Insbesondere muss für Erwerbslose ohne Berufsabschluss oder mit einem Berufsabschluss, der auf dem Arbeitsmarkt nicht (mehr) nachgefragt wird, die Möglichkeit bestehen, einen Berufsabschluss nachzuholen oder zu erneuern. Dazu ist es notwendig, dass erheblich mehr längerfristige Maßnahmen, vor allem mit Abschluss in einem anerkannten Beruf, durchgeführt werden.

  • Vor diesem Hintergrund werden für Erwerbslose Rechtsansprüche auf berufliche Weiterbildung formuliert. Sofern unter Berücksichtigung der individuellen Interessen und Neigungen, der vorhandenen Qualifikationen und der Analyse der örtlichen Arbeitsmarktsituation ein Weiterbildungsbedarf festgestellt wird, wird berufliche Weiterbildung eine Pflichtleistung der Arbeitsagenturen oder Grundsicherungsträger, auf die alle Erwerbslosen einen Rechtsanspruch haben. Auch Nichtleistungsbezieher und -bezieherinnen werden einbezogen.

  • Zur Finanzierung längerfristiger, qualitativ hochwertiger und somit meist kostenintensiverer Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung werden kurzfristig Teile der erheblichen Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit genutzt. Da aber Kontinuität bei der Finanzierung der beruflichen Weiterbildung sichergestellt werden muss und sie nicht von der jeweiligen Finanzsituation der BA abhängen darf, wird für den Fall, dass Beitragsmittel nicht ausreichen, ein zweckgebundener Bundeszuschuss garantiert.

  • Sowohl der Aussteuerungsbetrag als auch die Trennung der Erwerbslosen in zwei Regelkreise verhindern nachhaltige und langfristig angelegte Weiterbildung. Daher ist die von der Bundesregierung nun vorgesehene Abschaffung des Aussteuerungsbetrages zu begrüßen. Die Überwindung der Trennung der Regelkreise steht allerdings noch aus. Hierfür wären gemeinsame Anlaufstellen für alle Erwerbslosen und gleiche Rechtsansprüche auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erste Schritte;

zweitens zur Vermehrung, Verbesserung und Verstetigung der betrieblichen beruflichen Weiterbildung nachfolgende Prinzipien und Ansätze aufzugreifen, die langfristig – zusammen mit der beruflichen Weiterbildung von Erwerbslosen – in bundeseinheitliche Regelungen münden sollen:
  • Ähnlich dem Bildungsurlaubsgesetz werden verbindliche jährliche Weiterbildungszeiten festgeschrieben. Damit sie auch genutzt werden können, werden in regelmäßigen Abständen Qualifizierungsgespräche zur Bedarfsermittlung vorgeschrieben. Die Weiterbildungszeiten gelten als Arbeitszeit.

  • Zur Finanzierung betrieblicher beruflicher Weiterbildung werden Branchenfonds eingerichtet. Die Betriebe werden gesetzlich verpflichtet, festgelegte, mit ihrer Leistungsfähigkeit korrespondierende Beiträge einzuzahlen. Die Fondsmittel werden nach einem Umlagesystem erhoben.

  • Die Planung und Finanzierung von präventiven Qualifizierungsmaßnahmen für von Erwerbslosigkeit Bedrohte und prekär Beschäftigte muss gewährleistet werden. Für Beschäftigte ohne Berufsabschluss wird ermöglicht, sowohl berufsbegleitend als auch während einer Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses einen Abschluss nachzuholen. An der Finanzierung dieser Maßnahmen werden sowohl die Unternehmen als auch die öffentliche Hand bzw. die Bundesagentur für Arbeit beteiligt.

  • Vor Ort werden regionale Beiräte eingerichtet, die auch für die Durchführung öffentlich finanzierter Beschäftigung zuständig sind und daher eine Verzahnung beider Instrumente ermöglichen. In diesen Beiräten sind die örtlichen Arbeitsmarktakteure, Gewerkschaften, Unternehmensvertreter und -vertreterinnen, Kammern, Erwerbsloseninitiativen sowie Weiterbildungsträger vertreten. Von diesen Beiräten werden die Qualifizierungsplanung und die Bedarfsermittlung durchgeführt;

drittens darüber hinaus die Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen an der Einhaltung sozialpolitischer, tariflicher und qualitätsorientierter Standards auszurichten und nicht nur den Preis zum Maßstab zu nehmen. Kriterien sind:
  • die Einbindung der Träger in regionale Netzwerke,

  • die Fähigkeit, zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln und durchzuführen,

  • das Vorhandensein eines pädagogischen Gesamtkonzepts sowie von festangestelltem und qualifiziertem Personal,

  • die regelmäßige Fortbildung der Beschäftigten,

  • die Entlohnung entsprechend dem jeweiligen ortsüblichen Tarif, mindestens aber nach dem Branchentarif Weiterbildung;

viertens die Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen und der Arbeitsbedingun- gen für die Beschäftigten sicherzustellen:
  • Zur Qualitätssicherung werden verbindliche Mindeststandards und Kontrollverfahren entwickelt. Als Kriterien sind längerfristige Integrationswirkungen, Tarifbindung der Weiterbildungsträger, ausreichende Betreuung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Qualifizierung der Weiterbildungsbeschäftigten sowie der Nachweis von Qualitätsstandards zu Grunde zu legen. Außerdem muss die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme zertifiziert werden.

  • Da eine angemessene Entlohnung des Weiterbildungspersonals Voraussetzung für qualitativ hochwertige Maßnahmen ist, wird zur Sicherung einer angemessenen Mindestentlohnung der Branchentarifvertrag Weiterbildung für allgemeinverbindlich erklärt.

  • Menschen, die sich beruflich weiterbilden möchten, sind zudem auf eine qualitativ hochwertige Weiterbildungsberatung angewiesen, die Informationen über Träger, Einrichtungen, Programme und Kurse beinhaltet. Darüber hinaus sollten aber auch die Interessen und Fähigkeiten der Bildungsuchenden sowie die mittelfristigen Erfordernisse des Arbeitsmarktes bei der Beratung Berücksichtigung finden. Die Arbeitsagenturen und Grundsicherungsträger müssen in einem ersten Schritt dazu verpflichtet werden, die Weiterbildungsberatung qualitativ auszubauen und das Personal zu qualifizieren.


Berlin, den 12. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion



Begründung

Die Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung ist im internationalen Vergleich in Deutschland sozial besonders selektiv und insgesamt auf sehr niedrigem Niveau. Eine allgemein als notwendig erklärte Teilnahme an beruflicher Weiterbildung in großem Umfang ist damit weder im Umfang noch in der Qualität zu erkennen. Vielmehr werden gerade Ältere und Menschen mit geringer Qualifikation viel zu wenig durch nachhaltige berufliche Weiterbildung gefördert. Dass die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an von der BA bewilligten Maßnahmen seit Jahren sinkt und gleichzeitig die Dauer sowie die Qualität der Maßnahmen kontinuierlich abnehmen, verschärft diese katastrophale Lage. Die Hartz-Gesetze können hierfür maßgeblich verantwortlich gemacht werden. Die Ausrichtung der BA auf das kurzfristige betriebswirtschaftliche Ziel der Kostenminimierung sowie die Trennung der Erwerbslosen in zwei Regelkreise verhindern langfristige Qualifizierungsstrategien zugunsten kurzfristiger Anpassungs- und Trainingsmaßnahmen.

In den vergangenen Jahren wurde die berufliche Weiterbildung für Erwerbslose kontinuierlich zurückgefahren. Zu Spitzenzeiten traten 1998 noch rund 600 000 Teilnehmende in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung ein, 2003 dann noch ca. 250 000 und im Jahr 2005 nur noch 130 000 (vgl. Berufsbildungsbericht 2000, Arbeitsmarktberichte der BA für die Jahre 2003 und 2005). Auch wenn im Jahr 2006 die Zahl der Eintritte wieder auf 250 000 angestiegen ist, zeigt jedoch der durchschnittliche Bestand an Teilnehmern und Teilnehmerinnen, der von 2005 auf 2006 um lediglich 4 Prozent von 114 400 auf 118 800 gestiegen ist, dass die erhöhten Eintrittszahlen vor allem auf mehr kurzfristige Maßnahmen zurückzuführen sind. Die dringend notwendige Wende in der Weiterbildungspolitik bedeutet es aber nicht (vgl. Arbeitsmarktbericht der BA für das Jahr 2006). Der Trend zu mehr kurzfristigen Maßnahmen ist schon seit einigen Jahren zu beobachten. Während im Jahr 2001 noch rund 150 000 Maß- nahmen mit einem Abschluss in einem anerkannten Beruf finanziert wurden, waren es 2006 noch lediglich rund 45.000 (Teilnehmerinnen- und Teilnehmerbestand Einzelmaßnahmen plus Gruppenmaßnahmen). Dies wird auch durch die Entwicklung der eingesetzten Mittel bestätigt: Im Jahr 2000 wurden noch 2,7 Mrd. Euro als Zuschüsse zu den Kosten für berufliche Weiterbildung genutzt, im Jahr 2006 waren es nur noch 904 Mio. Euro (vgl. Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 16/5458). Die Entwicklung hin zu mehr kurzfristigen Maßnahmen nützt den Erwerbslosen und dem Arbeitsmarkt wenig. Vielmehr verbessern insbesondere für Menschen mit geringer Qualifikation langfristige Maßnahmen – vor allem mit einem Abschluss in einem anerkannten Beruf – die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dem wird die Weiterbildungspolitik der Bundesagentur für Arbeit und der Grundsicherungs- träger immer weniger gerecht.

Zu denken gibt ferner, dass die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche mittlerweile zu einem erheblichen Teil zu den prekär Beschäftigten zählen, was der Verantwortung und Bedeutung ihrer Arbeit in keiner Weise entspricht und zunehmend auch die Qualität von Weiterbildung gefährdet. Die McKinsey-Studie „How the world’s best-performing school systems come out on top“ hat für Schulen nachgewiesen, dass die Qualifikation der Lehrkräfte eine der wesentlichen Voraussetzung für guten und erfolgreichen Unterricht ist. Das gilt genauso für den Bereich der Weiterbildung. Daher muss sowohl bei der Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten im Weiterbildungsbereich als auch bei ihrer Bezahlung dringend eine Wende eingeleitet werden.

Neben der beruflichen Weiterbildung von Erwerbslosen ist auch die betriebliche berufliche Weiterbildung von großer Bedeutung. Nur wenn ihr Wert erkannt und sie in den betrieblichen Ablauf integriert wird, kann es gelingen, das Wissen und die Fertigkeiten der Beschäftigten beständig zu verbessern, zu aktualisieren sowie dem technologischen Fortschritt und den Veränderungen in der Arbeitswelt anzupassen. Wenn berufliche Weiterbildung möglichst vielen Menschen offen steht, kann sie berufliche Entfaltung und Weiterentwicklung fördern, die Verhandlungsposition der Beschäftigten gegenüber einzelnen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen stärken und die selbst gewählte Mobilität auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Die betriebliche berufliche Weiterbildung ist unabdingbar für eine qualifizierte und hochwertige Beschäftigung über das gesamte Erwerbsleben. Aber gerade Ältere und gering qualifizierte Menschen werden von betrieblicher beruflicher Weiterbildung häufig ausgeschlossen. Damit wird ihnen eine wesentliche Voraussetzung genommen, Zeiten der Erwerbslosigkeit zu minimieren, beruflich aufzusteigen oder bis zur Rente arbeiten zu können. Die „Dritte Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS3)“ zeigt sehr deutlich, wer in welchem Ausmaß an betrieblicher beruflicher Weiterbildung teilnimmt: Nur 69,5 Prozent aller Unternehmen bieten berufliche Weiterbildung an und nur 30,3 Prozent der Beschäftigten nehmen an betrieblichen Weiterbildungen teil. Während 33,5 Prozent der unter 25-Jährigen und 41 Prozent der 25- bis 54-Jährigen an betrieblicher beruflicher Weiterbildung teilnehmen, sinkt die Quote bei den über 55-Jährigen auf 27,3 Prozent ab. Frauen wiederum nehmen mit 35,3 Prozent deutlich seltener an Weiterbildungen teil als Männer mit 41 Prozent. Die Weiterbildungsbeteiligung schwankt auch stark branchenabhängig. So wird im Bereich des Kredit- und Versicherungsgewerbes Weiterbildung von 100 Prozent der Betriebe angeboten und 45 Prozent der Beschäftigten in dieser Branche nehmen daran teil. Im Bau- und Gastgewerbe sowie im Einzelhandel bieten nur etwa 50 Prozent der Betriebe Weiterbildung an und gerade einmal 18 Prozent der Beschäftigten nehmen an Weiterbildung teil. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf.


Quelle. Antrag der Fraktion DIE LINKE an den Deutschen Bundestag, Bundestagsdrucksache 16/7527 vom 12.12.2007.

Sie können die Drucksache auch als pdf-Datei auf der Homepage des Deutschen Bundestags herunterladen.

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.01.2008