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Deutscher Qualifikationsrahmen

Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes

1. Zielsetzung und Geltungsbereich

Der DGB unterstreicht die Zielrichtung europäischer Bildungspolitik, einen Bildungsraum zu schaffen, in dem die Transparenz zwischen den europäischen Bildungssystemen und -angeboten hergestellt und Qualität verbessert werden. Seit Dezember 2007 liegt die im Zusammenhang mit dem Lissabon Prozess stehende Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) für lebenslanges Lernen vor. Die Mitgliedsstaaten der EU sind jetzt aufgefordert, nationale Qualifikationen und Abschlüsse dem Europäischen Qualifikationsrahmen zuzuordnen.

Zur Gestaltung dieses Prozesses wird gegenwärtig ein Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) entwickelt. Dieser DQR soll darauf ausgerichtet sein, strukturelle Transparenz, Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit von Bildungsprozessen und -abschlüssen sowie individuelle Qualitäts- und Kompetenzentwicklung zu ermöglichen. Für den DGB ist der DQR in diesem Zusammenhang nicht nur ein administratives oder technisches Instrument, sondern soll einen Beitrag zur weiteren Entwicklung und Reform des Bildungssystems leisten.

Der DGB erwartet, dass ein DQR die Durchlässigkeit in und zwischen den Bildungsbereichen, insbesondere die Zugänge zum tertiären Bereich verbessert. Insgesamt geht es um mehr Chancengleichheit und die Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung im Bildungssystem. Die weitgehende Abschottung beruflicher von hochschulischen Bildungsgängen, der nur in Ausnahmefällen mögliche Übergang von der Berufs- zur Hochschulbildung und die kaum bestehenden Möglichkeiten der Anrechnung beruflich erworbenen Kompetenzen auf Studiengänge bedürfen einer Veränderung.


2. Der Kompetenzbegriff im DQR

Der Kompetenzbegriff der EU stellt vorrangig auf die Beschäftigungsfähigkeit (Employability) ab. Er beinhaltet ausschließlich eine Outcome –Orientierung, von der zu befürchten ist, dass Lernen ohne gesellschaftliche Planung und Verantwortung und ohne gesellschaftspolitisch-emanzipatorische Zielsetzungen vorgenommen wird. Für die Gewerkschaften steht außer Frage, dass diese Outcome – Orientierung durch Input – und Prozessorientierung erweitert werden muss. Gesellschaftlich normierte und standardisierte Lernwege, wie und soweit sie in Aus- und Weiterbildungsordnungen verankert sind, dürfen nicht durch beliebige Lernvorgaben, die vorrangig marktorientiert sein könnten, ersetzt werden. Die Fragmentierung abschlussbezogener, formalisierter Bildungsgänge muss verhindert und die Beruflichkeit gewahrt werden.

Der gewerkschaftliche Kompetenzbegriff beinhaltet berufliche, personale und gesellschaftliche Dimensionen. Er zielt auf berufliche Handlungsfähigkeit und persönliche Entwicklung unter Einschluss von Planungs– und Entscheidungsfähigkeit. Bezugspunkte sind: ganzheitliche Arbeitsaufgaben, die Anforderungen des Arbeitsmarktes unter dem Aspekt langfristiger Verwertbarkeit der Qualifikationen, die individuelle Kompetenzentwicklung, die Mitwirkung an betrieblichen und gesellschaftlich-sozialen Prozessen und die Bindung der persönlichen Entwicklung an individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen. Bildung – auch berufliche Bildung - hat immer auch einen die Persönlichkeit und die Autonomie des Menschen steigernden Wert und ist im Spannungsverhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem eine sowohl unabhängige als auch abhängige Größe.

Die Kompetenzentwicklung soll die berufliche Handlungskompetenz herausbilden sowie zu einer reflexiven Handlungsfähigkeit beitragen, die den Vollzug von Arbeitshandlungen unter weitgehender Mitbestimmung und Partizipation in der Arbeit und in der Gesellschaft ermöglicht. Reflexive Handlungsfähigkeit in der Arbeit heißt, sowohl über die Strukturen und Umgebungen als auch über sich selbst im Prozess der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Arbeitsaufgaben zu reflektieren. Reflexivität meint dabei die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Handlungen auf der Basis von Erfahrungen und Wissen. Sie ermöglicht individuell und sozial verantwortliche Handlungen und Entwicklungen in der Lebens- und Arbeitswelt.

Die Arbeitsgruppe des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung hat sich nach intensiver Beratung auf eine Definition von Handlungskompetenz verständigt, die dem DQR zu Grunde liegen soll. Sie lautet: „Der Begriff „Kompetenz“ umfasst Fähigkeiten, Wissen, Einstellungen und Werte, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen beziehen. Handlungskompetenz wird als Einheit von Fach-, Sozial- und Human- bzw. personaler Kompetenz definiert. Sie dient der Bewältigung unterschiedlich komplexer Anforderungen in Arbeits- und Lernsituationen. Sie versetzt damit, basierend auf Wissen und Erfahrung, Menschen in die Lage, gefundene Lösungen zu bewerten und die eigene Handlungsfähigkeit weiter zu entwickeln. Eine umfassende Handlungskompetenz ist unabdingbare Voraussetzung für Beruflichkeit, nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit und fördert die gesellschaftliche Teilhabe.“

Der DGB sieht in dieser Beschreibung von Handlungskompetenz eine gute Basis, auf der die weitere Strukturierung und Ausgestaltung des DQR erfolgen kann.


3. Möglichkeiten der Kompetenzmessung

Ein DQR erfasst Inhalte, Profile und Abschlüsse von beruflichen, schulischen und hochschulischen Bildungsgängen und –abschnitten und trifft Aussagen zur Erfassung und Bewertung beruflicher Handlungsfähigkeit. Im DQR sind Verfahren und Qualitätskriterien anzugeben, die die valide Bewertung und Einstufung von Lernergebnissen garantieren und dabei die Qualität der die Lernergebnisse fundierenden Lerninhalte und Lernprozesse berücksichtigen.

Die heutigen Berufsbiografien verlaufen nicht mehr linear und formale Zeugnisse geben immer weniger Auskunft über die Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen einer Person. Die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft führt zu einer ständigen Entwertung vorhandener und der gleichzeitigen Erneuerung zukunftsorientierter Kompetenzen. Diese kontinuierliche Kompetenzentwicklung schlägt sich intensiv im Prozess der Arbeit nieder und ist mit Verfahren der Kompetenzanalyse und Kompetenzmessung zu erfassen, kaum aber mit herkömmlichen Zertifikaten. Betrieblich veranlasste Verfahren zur Analyse und Messung von Kompetenzen sind in diesem Zusammenhang zumeist einseitig qualifikatorisch, anforderungs- und verwertungsorientiert ausgerichtet. Sie stehen damit im Widerspruch zu den Zielen einer umfassenden, die Bildungsdimension einbeziehenden beruflichen Handlungskompetenz. Kompetenzanalytisch ist die Anforderungs- und Qualifikationsorientierung mit der Entwicklungs- und Individuumsorientierung gleichzustellen.

Aus Arbeitnehmersicht muss es bei der Analyse und Messung von Kompetenzen darum gehen, vorrangig eine auf das Subjekt bezogene Bewertung vorzunehmen, die mit der weiteren individuellen Entwicklung und mit Weiterbildungsmaßnahmen zu verbinden ist. Arbeitnehmer/ innen erwerben in der Arbeit und außerhalb von Arbeit erhebliche Kompetenzen, die im Rahmen lebensbegleitenden Lernens für ihren beruflichen Bildungsweg von grundsätzlicher Bedeutung sind und nur partiell oder gar nicht erfasst werden. Dem informellen und Erfahrungslernen im Prozess der Arbeits- und Lebenswelt kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Qualifikationen und erworbene Kompetenzen von An- und Ungelernten müssen berücksichtigt werden. Deren vorhandene und neue Kompetenzen sind so zu erfassen und zu formulieren, dass sie innerhalb des Qualifikationsrahmens anschlussfähig an anerkannte Berufsbildungsabschlüsse und entsprechende berufliche Handlungskompetenz sind.


4. Das Verhältnis von Input- und Outcome - Orientierung im DQR

Die Deutsche Wirtschaft sieht im DQR ein Instrument zur Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens auf nationaler Ebene. Dies erfordere die Kompatibilität des Deutschen mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen. Außerdem müsse der DQR dem Outcome –orientierten Ansatz des Europäischen Qualifikationsrahmens konsequent Rechnung tragen.

Eine so verstandene Outcome - Orientierung grenzt sich eindeutig ab von einer europäischen Bildungstradition, in der Lerninhalte, Lernprozesse und Lernergebnisse curricular aufeinander abgestimmt und entsprechend beschrieben werden, um gesellschaftliche und auf eine freiheitliche Persönlichkeitsentwicklung zielende Standards einzulösen. Die reine Outcome - Orientierung berücksichtigt nicht, dass die Qualität von Lernergebnissen wesentlich davon abhängt, welche Lerninhalte und Lernprozesse den Ergebnissen zugrunde liegen. Die Beurteilung von Lernergebnissen gibt alleine keine Auskunft über deren Qualität, Nachhaltigkeit und Prospektivität. Die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens beinhaltet deshalb Gemeinsame Grundsätze für die Qualitätssicherung in der Hochschul- und Berufsbildung (siehe Anhang III), die zeitgleich und unabdingbar bei der Entwicklung des DQR zu berücksichtigen sind.

Aus gewerkschaftlicher Sicht muss ein DQR so gestaltet werden, dass die Auswahl und Bestimmung von Lerninhalten und die Gestaltung von Lernprozessen prinzipiell neben der Orientierung an Lernergebnissen berücksichtigt werden.

Ein bildungsbereichsübergreifender Qualifikationsrahmen in Deutschland bietet die Chance, bestehende Ordnungsrahmen mit einer berufsbezogenen Outcome - Orientierung zu verbinden. Für den Bereich der Berufsausbildung setzt das Berufsbildungsgesetz Normen durch die Festlegung des Berufsprofils, der Ausbildungsinhalte und der Prüfungsanforderungen in den jeweiligen Ausbildungsordnungen, die Eignung der Ausbildungsstätten, die Anforderungen an das Ausbildungspersonal sowie die Kontrolle der Durchführung der Berufsbildung. Es gilt, diese vorhandene Systematik weiterzuentwickeln und dabei die Input-, Prozess- und Outcome - Orientierungen in ihren jeweiligen Schwerpunktsetzungen und Wechselbeziehungen zu gewichten und zu gestalten.

Die Rechtsverordnungen der beruflichen Fortbildung regeln hingegen lediglich die jeweiligen
Prüfungsanforderungen, jedoch nicht den Input und nicht den Qualifizierungsprozess. Hier
gilt es, ein geeignetes System der Qualitätssicherung zu entwickeln, das ein bundesweit
hohes Niveau für Weiterbildungsabschlüsse sicherstellt. Der DQR bietet hierfür erhebliche
Chancen, die es zu nutzen gilt.


Im Anschluss an diese grundsätzlichen Einschätzungen zur Ausgestaltung des NQR entwickelt der DGB seine Vorstellungen zu einem Niveaustufenmodell. In 5 Stufen werden jeweils Kriterien für Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Personal-/Humankompetenz und Organisation, Partizipation, Sozialität, Strukturelle Reflexivität entwickelt.

Sie können den vollständigen DGB-Vorschlag für ein NQR hier als pdf-Datei herunterladen.


Quelle: Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes für einen Deutschen Qualifikationsrahmen, April 2008

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 06.06.2008