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Dirk Koob

Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung zwischen Ökonomie und Pädagogik. Ein kritischer Einwurf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich hier heute anlässlich dieses Fach- und Praxistages für Weiterbildnerinnen und Weiterbildner in Schleswig-Holstein zu Ihnen sprechen zu dürfen. Was wäre das für eine pädagogische Wissenschaft, die den Bezug zur Praxis verlöre? Wir benötigen Ihren Input, um die Professionalisierung in der Weiterbildung vor dem Hintergrund sich kontinuierlich wandelnder gesellschaftlicher Erfordernisse bedarfsorientiert und zielgerichtet unterstützen zu können.

Ich möchte im Folgenden zunächst überblicksartig skizzieren, wie die Professionalitätsthematik derzeit in der wissenschaftlichen Erwachsenen- und Weiterbildung vorrangig diskutiert wird. Meine These ist, dass diese Diskussion eine ökonomische Schlagseite aufweist und dass es insofern sinnvoll wäre, sich wieder etwas stärker auf pädagogische Fragen – also auf Fragen nach der Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung – zu konzentrieren.

Dabei werde ich mich – angesichts der Zielgruppe dieser Tagung – auf die Lehrenden beziehen. Immerhin sind laut einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2005 in Auftrag gegebenen Studie „Zur sozialen und beruflichen Lage der Lehrenden in der Weiterbildung“ ca. 80% aller Weiterbildner1 und Weiterbildnerinnen im weitesten Sinne lehrend tätig (vgl. WSF 2005, S. 5). Dass es sich dabei um eine äußerst heterogene Berufsgruppe handelt, ist bekannt. Schon die Vielzahl an Tätigkeitsbezeichnungen illustriert dies. Da ist unter anderem von „Trainern“, „Teamern“, „Seminarleitern“, „Dozenten“, „Coaches“ und immer häufiger auch von „Lernberatern“ oder „Facilitatoren“ die Rede (vgl. hierzu Koob/Lattke 2008). Und wenn ich hier heute von „Lehrenden“ spreche, dann verwende ich einen Oberbegriff. Nur 14% aller Beschäftigungsverhältnisse von Lehrenden in der Weiterbildung sind sozialversicherungspflichtig (vgl. WSF 2005, S. 15). Ca. 73% der Beschäftigten haben zwar einen akademischen Abschluss (vgl. ebd., S. 5). Aber immerhin verfügen 34% über keinen pädagogischen Bildungshintergrund (vgl. ebd., S. 49) – sei er nun universitär oder nicht. Diese ausgewählten Daten sprechen eine deutliche Sprache: Die Professionalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung ist nicht nur eine kontinuierlich, sondern ebenso eine dringlich zu betreibende Aufgabe.

Eine standardisierte Qualifizierung von Weiterbildnern ist in Deutschland nach wie vor nicht vorhanden. Vielfältige Fort- und Ausbildungswege stehen relativ lose nebeneinander. Die angebotenen Abschlüsse, Bescheinigungen oder Zertifikate sind nur schwer vergleichbar (vgl. Kraft/Seiters 2008). Überdies haben viele Weiterbildner ihr pädagogisches „Rüstzeug“ auch vorwiegend informell, durch Learning by doing erworben. Und der Autodidakt – so schreibt schon der französische Soziologe und Philosoph Pierre Bourdieu – ist „Opfer seines Mangels an [...] verbrieftem Wissen“ (Bourdieu 1987, S. 515). Er steht insofern unter permanentem Beweiszwang. Es ist momentan in aller Regel vorab schwer einzuschätzen, was ein Weiterbildner/eine Weiterbildnerin tatsächlich kann.

Vor diesem Hintergrund mag es nun wenig überraschen, wenn die Professionalitätsthematik gegenwärtig en vogue ist – hier ist in der Tat noch einiges zu tun. Beweis für die behauptete Popularität der Thematik ist auch, dass die EU sie angesichts der kontinuierlich steigenden Bedeutung des lebenslangen Lernens auf ihre bildungspolitische Agenda gesetzt hat oder dass die Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vor gerade einmal zwei Monaten – also im September 2008 – in Berlin sich just „Professionalität“ als Tagungsthema ausgesucht hatte.

1 Auch wenn im Text manchmal nur die männliche Form Verwendung findet, so sind Frauen selbstverständlich immer mit eingeschlossen.


Quelle: Dirk Koob, Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung zwischen Ökonomie und Pädagogik. Ein kritischer Einwurf, Vortrag

Dieses Dokument wird unter folgender creative commons-Lizenz veröffentlicht:

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Sie können den vollständigen Vortrag hier als pdf-Datei herunterladen.


Schlagworte zu diesem Beitrag: Professionalität, Ökonomisierung Bildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 15.04.2009

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024