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Problem: Qualitätsmanagement

Was ist Qualität und worum geht es im Qualitätsmanagement?

Der allgemeine Qualitätsbegriff


Qualität steht im Allgemeinen für „Gutes“, für das was sich alle wünschen, für das Unzweifelhafte, für Sinn und Verstand. Qualität erscheint als ein Wert an sich, der nicht weiter begründet werden muss.

Aber leider ist das oft so mit dem Guten: nicht jeder ist davon begeistert. Für manch einen ist es ein Graus, was sein Nachbar als „Qualität“ empfindet. Man gehe nur durch ein Neubaugebiet und betrachte dort ein auf skandinavische Art gebautes 3 Liter-Energiespar-Öko-Haus neben einem futuristischen Designerhaus mit allem technischen Komfort. Beide Hausbesitzer werden begeistert sein von der Qualität, die sie sich da geleistet haben und dennoch darüber hinaus kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen.

Qualität ist immer beides. Sie ist etwas Relatives und Subjektives, das sich je nach individueller Sichtweise ändert. Und gleichzeitig bleibt unleugbar, dass Menschen sehr wohl zwischen Gut und Schlecht, zwischen Richtig und Falsch unterscheiden können. Unhinterfragbare, „objektive“ Qualitätskriterien für technische Produkte sind beispielsweise Funktionalität, Haltbarkeit, Umweltfreundlichkeit, Bedienungs- und Wartungsfreundlichkeit. Auch Lebensmittel gelten dann allgemein als qualitativ gut, wenn sie alle notwendigen Nährstoffe, Mineralstoffe und Vitamine enthalten und gleichzeitig wenig schadstoffbelastet sind.

Die Doppelbödigkeit des Qualitätsbegriffs kann auf eine Paradoxie zurückgeführt werden, die im Folgenden anhand der näheren Betrachtung zweier Qualitätskriterien für Kleidung – „modisch“ und „wärmend“ - näher betrachtet werden soll. Um diese beiden Eigenschaften definieren zu können, muss die Grundregel des Definierens beachtet werden: der zu definierende Begriff darf nicht in der Erklärung enthalten sein. Die Qualitätsmerkmale „modisch“ und „wärmend“ müssen also beschrieben werden ohne dass diese Begriffe in der Beschreibung genutzt werden.

Was ist Mode? Nach einer Definition aus dem Brockhaus: „schneller als der Stil einer Epoche sich wandelnde Geschmack einer Kultur, Zivilisation oder Lebensweise. Mode wird kurzfristig, unvorhersagbar und willkürlich verursacht.“ Was ist aber Geschmack, Kultur, Zivilisation? Auch die Definition dieser Begriffe erfordert den Bezug auf weitere Begriffe, die ihrerseits erläutert werden müssen. Der Versuch zu definieren, was „modisch“ ist, endet also… überhaupt nicht. Ob einem Kleidungsstück das Qualitätsmerkmal „modisch“ zugeschrieben werden kann, hängt von einer Unzahl von Kriterien ab (auf die sich zwei konkurrierende Designer niemals einigen würden). Die Beschreibung des Merkmals „modisch“ führt also ins Uferlose, in einen sog. „infiniten Regress“. Es ist möglich, Aussagen über dieses Merkmal zu machen, aber es ist dennoch unmöglich, es sicher zu fassen.

Vielleicht kann aber das Qualitätsmerkmal „wärmend“ besser beschrieben werden. Die Eigenschaft „wärmend“ bedeutet, dass eine bestimmte Körpertemperatur aufrechterhalten bleibt. Was ist Temperatur? Die Temperatur bemisst sich nach der Ausdehnung bestimmter Stoffe. Was ist Ausdehnung? Ausdehnung ist nicht nur die Haupteigenschaft des Raumes (dieser Aspekt kann hier getrost vernachlässigt werden), sondern die Änderung der Temperatur durch Hitze (Erwärmen).Was bewirkt die Änderung der Körpertemperatur durch Erwärmen? Nun ist die Aussage nicht mehr zu vermeiden: es ist „Wärme“! Man hat sich somit einen Zirkel gedacht, in einen „circulus vitiosus“1. Ein solcher Zirkel ist einerseits sicher richtig, andererseits aber auch aussagenlos. In diesem Fall heißt es also: Wärme = Wärme. Das Qualitätsmerkmal „wärmend“ ist dann gegeben, wenn das Kleidungsstück „wärmt“.

Das Problem jeder Definition von „Qualität“ besteht also darin, dass man ein einzelnes Qualitätsmerkmal nur definieren kann mit Bezugnahme auf das Drumherum, eben auf „das Ganze“. Die Gefahr, sich in diesem Ganzen zu verlieren (in einem „infiniten Regress“) ist dabei ebenso groß wie die Gefahr in einer zirkulären Argumentation zu enden (in einem circulus vitiosus).

Dennoch - die Paradoxie des Qualitätsbegriffs ist in der Zeit vor dem „Qualitätsmanagement“ niemals ernsthaft Anlass dafür gewesen, die Suche nach echter Qualität aufzugeben. So wurde mit Bezug auf entsprechende, traditionsreiche Diskurse in der Philosophie gesagt, dass Qualität, das wirklich Gute und Richtige, sprachlich zwar nur unzureichend gefasst und beschrieben werden kann, dass Qualität sich aber in der Erfahrung von Sinn und Nutzen verwirklicht. Echte Qualität beinhaltet damit Werte, die kultur- und zeitunabhängig Gültigkeit haben – eben Werte, die alle Menschen berühren.


„Qualität“ im Qualitätsmanagement

Im QM werden nicht einmal im Ansatz die Anforderungen an „Qualität“ gestellt, die im Allgemeinen unhinterfragt vorausgesetzt werden. In aller Regel wird sich hinsichtlich einer konkreten Definition ausgeschwiegen. In QM-Insiderkreisen nimmt man heute – wenn eine Definition ganz und gar nicht zu vermeiden ist - am ehesten auf eine Qualitätsdefinition Bezug, nach der Qualität dann gegeben ist, wenn vorab gestellte Anforderungen im Verlauf eines Herstellungsprozesses erfüllt werden. Qualitätskriterien werden nach diesem Verständnis allein aufgestellt und vorgegeben durch die Entscheider in der Organisation. Die Unternehmensleitung „stellt die Anforderungen“ – und wenn diese dann erfüllt werden, ist das Qualität.



Tabelle 1: Vergleich des allgemeinen Verständnisses von Qualität mit dem Qualitätsbegriff im QM

In Tabelle 1 wird der allgemeine Qualitätsbegriff dem Qualitätsbegriff aus dem QM gegenüber gestellt. Während der allgemeine Qualitätsbegriff sich an traditionellen
Wertmaßstäben orientiert, erscheint der QM-Qualitätsbegriff völlig inhaltsleer. Die umfangreichen Erläuterungen und Anmerkungen, die diesen Begriff nicht selten begleiten, unterstreichen den Eindruck, dass hier etwas „definiert“ wurde, was eigentlich völlig im Dunkeln bleiben soll. Der kaum vorhandene Aussagegehalt der knapp gehaltenen Qualitätsdefinition wird durch solche Anmerkungen nicht erhellt, sondern noch einmal relativiert und abwiegelt. Am Ende bleibt ein gespenstig blutleerer Satz von Worthülsen, allzeit bereit auch mit Absurditäten und Dummheiten jeder Art gefüllt zu werden.

Während einerseits im QM echte Qualität auf eine beliebige Beliebigkeit reduziert werden kann, soll aber auch hier „Wert“ geschaffen werden. Und zwar Wert, den man messen kann. Wert, der ohne Wenn und Aber in großen und in kleinen Scheinen nachgezählt werden kann. Die heutige Wirtschaftskrise ist ein Zeichen dafür, dass solche Berechnungen auf Kosten von Kunden, Mitarbeitern und Gesellschaft und schließlich auf Kosten der Unternehmen selbst für eine gewisse Zeit aufgehen können. Eine verkürzte Qualitätslogik ist aber nicht nur Mitauslöser der Krise. Die feste Verankerung dieser Logik in fast allen gesellschaftlichen Bereichen, in qualitätsgemanagten Schulen und Krankenhäusern, in Wohlfahrtsorganisationen und Universitäten, ist ein guter Grund auch in Zukunft an ihr festzuhalten. Fragen nach echter Qualität und nach allgemeingültigen Werten in Produkten und Dienstleistungen gelten so auch angesichts ganz offensichtlicher Probleme als Ketzerei unbelehrbarer Idealisten.


Die Vorgehensweise im Qualitätsmanagement

Im QM hat „Qualität“ also wenig mit einer allgemeinen „Güte“ oder anerkannten „Werten“ zu tun. Es geht vielmehr darum, Prozesse und Produkte so zu gestalten, dass sie vorab aufgestellten Zielen und Kriterien entsprechen. Dabei folgt das QM im wesentlichen den Schritten klassischer Unternehmensplanung, deren Grundlage ebenfalls festgelegte strategische und operationale Zielvorgaben sind. Der Unterschied zur herkömmlichen Planung ist jedoch der Totalitätsanspruch im QM. Dieser bezieht sich nicht nur auf die Planungsthemen (ALLES soll geplant werden), die Planungszeit (SOFORT und GLEICHZEITIG) und den Auflösungsgrad der Planung (HOCHDIFFERENZIERT), sondern auch auf die Richtigkeit (und ohne FEHLER) und Lenkbarkeit der Ergebnisse (Prozesse sollen BEHERRSCHBAR sein).

Wie sollen diese Allmachtsziele – deren Verfolgung in der historischen Entwicklung schon immer problematisch war - aber erreicht werden? In jeder Organisation stellen sich die Dimensionen einer überbordenden Komplexität auf ihre Weise dar. Planung hat die Gestaltung und Ordnung einer Unzahl verschiedener Arbeitsschritte sowie die Abstimmung dieser Schritte untereinander zum Gegenstand. Im QM bemüht man sich darum, Komplexität durch ebenso komplexe Planungsverfahren zu beherrschen: durch die penible Zerlegung des organisationalen Geschehens in erfassbare Einzelteile, durch ununterbrochene Kontrollprozesse und durch das unermüdliche Zusammentragen von Datensätzen. So ist man im QM immer beschäftigt, gründlich nachzuzählen, wie viel Zeit Mitarbeiter für einzelne Aufgabe benötigen, wie häufig Kunden sich beschweren, wie viele Aufgaben Schüler in Vergleichstest lösen konnten… Jeder, der solche Zählprozeduren beklagt, wird von den Qualitätsmanagern belehrt, dass später nur verbessert werden könne, was vor- und hinterher gemessen werden kann.

Wenn dann schließlich alles gesammelt und gezählt wurde, was hierfür geeignet scheint, geht es in einem weiteren Planungsschritt darum, die so untersuchten Prozesse auf neue Weise zu handhaben. In der herkömmlichen Planung beinhaltet dieser Schritt vor allem die Optimierung der gegebenen Abläufe. Im QM strebt man in dieser Planungsphase nach weit Höherem: „Beherrschte Prozesse“ und „O-Fehler-Qualitäten“ scheinen allein angesichts der Fülle der gesammelten Daten möglich zu sein.

Berücksichtigt man den Umstand, dass es im QM weniger um technische als vielmehr um soziale Prozesse, eben um Prozesse des Managens, geht, sind solche Ansprüche erstaunlich. Jeder Organisationswissenschaftler weiß, dass in sozialen Prozessen nicht allzu viel beherrscht und oft nur das Unwesentliche gemessen werden kann. Auch wenn alle fassbaren Abläufe in Form unzähliger, kleinschrittig differenzierter Dokumente – eben wie ein echtes goldenes Kalb der Vielheit – zu einem beachtlichen Gebilde zusammengefügt werden können, ist darin meist nicht viel Wahrheit enthalten. Die kleinsten Prozessteilchen, die dort in den Gräbern der Datenfriedhöfe liegen, sind weniger Wahrheit als vielmehr das traurige Ende einer Zerteilung…

Zerrissene Sinnzusammenhänge sind das Ergebnis des modernen Glaubens, Komplexität könne durch Komplexität beherrscht werden. Ein echtes „Verbessern“ durch Planung ist weit mehr als die bloße Feststellung einer Übereinstimmung mit Vorgaben. Der bemühte Versuch Verbesserungen in Messreihen sichtbar zu machen ist etwas anderes als die Verbesserung selbst. So kann man auch lernen ohne dass all das neue Wissen gemessen/getestet werden kann. Produkte können durch Rohstoffe höherer Güte und entsprechende Verarbeitung eine Qualitätsstufe erreichen, die den vorhandenen Messinstrumenten nicht zugänglich ist. Allein die Reduktion auf das Wesentliche eröffnet „unzählbare“ Möglichkeiten für Verbesserungen von Produkten und Dienstleistungen.

Im Folgenden werden verschiedene Aspekte der Sinnproblematik im QM näher betrachtet. Dabei wird deutlich werden, auf welche Weise im Qualitätsmanagement Qualität, Wissen, Motivation, Erfindergeist, materielle und finanzielle Ressourcen und nicht zuletzt Werte und Moral geopfert werden.

1. Vgl. Wörterbuch für Philosophie. Leipzig 1923, Eintrag zum Stichwort
„circulus vitiosus“ von F. Mauthner


Quelle: Bettina Warzecha, Problem: Qualitätsmanagement,
Prozessorientierung, Beherrschbarkeit und
Null-Fehler-Abläufe als moderne Mythen

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin


Weitere Informationen und über das Thema und die Bestellmodalitäten für das Buch finden sie auf der Homepage Lektorat-Wimac. Hier kann auch das Poster zum Buch, der "differenzierte Qualitätselefant", frei heruntergeladen werden.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Qualifizierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 18.08.2012

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024