Lebenslanges Lernen

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Einsetzung einer Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“

Der Landtag wolle beschließen:

Nach § 34 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg wird eine Enquetekommission eingesetzt, die sich mit dem Prozess der Weiterentwicklung der beruflichen Schulen sowie der Aus- und Weiterbildung in der Wissensgesellschaft beschäftigt. Insbesondere wird es Aufgabe der Kommission sein, auf Grundlage fundierter Daten die spezifischen Bildungsangebote zu bewerten und Ziele für deren Weiterentwicklung über alle Lebensphasen und Lebenswelten hinweg zu formulieren, um die Ausschöpfung der Begabungspotenziale der hier lebenden Menschen weiter zu steigern und sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu stärken.

Verschiedene Studien prognostizieren insbesondere im höheren Anforderungsbereich einen baldigen Fachkräftemangel im Land, für den im Wesentlichen die Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung in Deutschland ursächlich ist. Diese gesellschaftliche Herausforderung geht einher mit einem dynamischen Wandel der Berufs- und Arbeitswelt, der zudem wachsende Anforderungen an das sich verringernde Arbeitskräftepotenzial stellt. Eine zentrale politische Zukunftsaufgabe besteht deshalb darin, passgenaue Bildungsangebote für verschiedene Lebensphasen zu schaffen, um durch eine möglichst individuelle Förderung bestehende Bildungspotenziale auszuschöpfen, die Menschen besser und länger in das Arbeitsleben zu integrieren und zugleich deren individuelles Wohlergehen zu fördern. Ferner gilt es mittels zielgerichteter Bildungs- und Sprachförderangebote die Integration insbesondere leistungsschwächerer junger Menschen im Bildungssystem weiter zu steigern. Ein Ziel der Enquetekommission ist es zunächst, eine Erhebung der Leistungen der dualen Partner sowie der umfangreichen Herausforderungen durchzuführen, vor denen diese u. a. aufgrund der demografischen Entwicklung bzw. des Innovationsbedarfs stehen. Durch Vorschläge und Handlungsempfehlungen soll die Grundlage für ein umfassendes Konzept gelegt werden, mit dem die berufliche Bildung sowie die Aus- und Weiterbildung insgesamt dieser Zukunftsaufgabe begegnen können.

Schon heute sind die beruflichen Schulen mit ihrem differenzierten Bildungsangebot für den weitaus größten Teil der kommenden Generation wichtige Stationen auf dem Weg in das Berufsleben. Als Partner in der dualen Ausbildung und im Rahmen weiterer teilzeit- und vollzeitschulischer beruflicher Bildungsgänge bilden sie qualifizierte Fachkräfte aus und vermitteln die Kompetenzen zum Erwerb aller staatlich anerkannten allgemein bildenden Abschlüsse. Die Jugendlichen sollen in der Schulzeit mittels berufsbildender Inhalte dazu befähigt werden, mit den absehbaren Unsicherheiten, aber auch neuen vielfältigen Optionen einer veränderten Arbeitswelt individuell ein erfolgreiches Berufsleben zu gestalten. In dieser Lebensphase sind die wesentlichen Grundlagen für ein gelingendes lebenslanges Lernen in der Erwerbs- und Wissensgesellschaft zu legen. Das entsprechend dem ganzheitlichen Berufsprinzip aufgebaute Duale System stellt hierbei mit seiner flexiblen Verbindung von praktischen und theoretischen Inhalten in beruflicher Schule und Betrieb ein stabiles Fundament der lebenslangen Berufsqualifikation dar.

Die beruflichen Schulen des Landes nehmen eine Spitzenstellung in Deutschland ein. Diese Spitzenstellung soll gehalten werden und zugleich den Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet werden, ihr individuelles Begabungspotenzial optimal zu entfalten. In diesem Zusammenhang kommt insbesondere einem weiteren bedarfsgerechten Ausbau der beruflichen Gymnasien zentrale Bedeutung zu.

Die allgemein bildenden und beruflichen Schulen mit ihren differenzierten Bildungsangeboten müssen flexibel auf die sich ändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen reagieren können. Berufliche Schulen sind wesentliche Fundamente der regionalen Strukturpolitik. Ein erweiterter Gestaltungsspielraum, die Evaluierung der Unterrichtsqualität und Qualitätsmanagementsysteme, wie sie in der Wirtschaft üblich sind, bedürfen einer gezielten Anpassung an die schulischen bzw. pädagogischen Bedürfnisse. Die kontinuierliche Verbesserung der Unterrichtsprozesse folgt dem Leitbild der stärkeren Individualisierung der Lernwege. In übergeordneter Sichtweise erfolgt die Entwicklung nach den Prinzipien der Durchlässigkeit, der Transparenz und inneren Schlüssigkeit der Angebotsstruktur und hat den Erfordernissen der allgemeinen Zugänglichkeit und Erreichbarkeit zu genügen. Auf diesem Wege kann insbesondere eine Steigerung der Integrationsleistung erreicht werden.

In unserem Land sind Wissen und Bildung seit jeher die entscheidenden Ressourcen und Garanten für wachsenden Wohlstand. Berufliche und allgemein bildende Weiterbildungsangebote müssen sich den wachsenden Anforderungen stellen. Einem Markt mit gut funktionierenden Weiterbildungseinrichtungen kommt in einer Wissensgesellschaft, die ein lebenslanges Lernen praktiziert, eine grundlegende Funktion mit einer weiter wachsenden Bedeutung zu. Ein bedarfsgerechtes, breit gefächertes und flächendeckendes Weiterbildungsangebot wird auch unter dem Aspekt neuer Lernformen für Baden-Württemberg fortzuentwickeln sein. Bei seiner Ausgestaltung ist eine effiziente und effektive Verzahnung von staatlichen und öffentlich geförderten sowie privatwirtschaftlich organisierten Weiterbildungsangeboten anzustreben. Ziel eines Weiterbildungskonzeptes muss sein, dass in Zukunft eine höhere Anzahl an Menschen Weiterbildungsangebote in Anspruch nehmen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Milieu, Geschlecht, Einkommen oder Alter, und ihnen dazu auch individuelle Angebote der Bildungsberatung vorzuhalten. Die Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“ soll Grundlagen hinsichtlich einer Strategie zur Einbindung einer steigenden Anzahl an Menschen in die allgemeine und berufliche Weiterbildung legen. Dabei soll auch die Frage berücksichtigt werden, durch welche Maßnahmen gezielt Menschen mit Migrationshintergrund bzw. aus bildungsfernen Milieus auch durch Bildungsangebote auf dem Zweiten Bildungsweg in unsere Gesellschaft und Wirtschaft integriert werden können.

Der Weiterbildungssektor wird auch künftig ein wichtiger Standortfaktor für unser Land sein und eine zunehmend starke 4. Bildungssäule neben Schule, Dualem System und Hochschule bilden. Sich verändernde Bildungsbiografien machen es erforderlich, dass Menschen auch im Erwachsenenalter die Möglichkeit offensteht, im Weiterbildungsbereich allgemein bildende Schulabschlüsse zu erwerben. Den Menschen müssen die vielfältigen Weiterbildungsangebote transparent sein, wozu moderne Informationssysteme bzw. individuelle Beratung hilfreiche Unterstützungsleistungen bieten können. Das allgemeine und berufliche Weiterbildungsangebot in Baden-Württemberg soll in Zukunft so gestaltet werden, dass lebenslanges Lernen und Weiterbildung zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Bildungs- und Erwerbsbiographien gehören. Hierfür ist es erforderlich, eine grundlegende Beschreibung der derzeitigen Situation in Bezug auf bestehende Rahmenbedingungen, Hindernisse und Anreize zur Weiterbildung aufzuzeigen und mögliche Förderinstrumente zu entwickeln.

Die berufliche Aus- und Weiterbildung gehört zu den expansiven Segmenten auf den Weltmärkten. Gerade im europäischen Raum kommt der Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen eine wachsende Bedeutung (DQR/EQR) zu. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass der Bedarf an beruflicher Qualifizierung und an Fachkräften in den kommenden Jahren weltweit noch stärker zunehmen wird. Zudem spielen Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Export von beruflicher Bildung bereits heute eine wichtige Rolle in Baden-Württemberg und befördern vorrangig den kulturellen Austausch mit Staaten im asiatischen Raum. Außerdem leistet das Land mit dem Aufbau von Berufsbildungssystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung in diesen Regionen, wovon auch die wirtschaftlichen Beziehungen Baden-Württembergs längerfristig profitieren werden.

Ziel der Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“ ist die Erarbeitung von Empfehlungen, die bis zum 16. Dezember 2010 dem Landtag von Baden-Württemberg im Plenum vorzulegen sind. Sie soll mit ihrer Arbeit die notwendigen Entwicklungen und Innovationen anstoßen, die allen jungen Menschen künftig einen erfolgreichen Start in das Berufsleben eröffnet und zugleich die notwendigen Voraussetzungen dafür schafft, dass älter werdende Fachkräfte länger als heute produktiv am Erwerbsleben teilhaben können. Darüber hinaus sollen passgenaue Weiterbildungsangebote alle Bevölkerungsgruppen besser und nachhaltig erreichen und damit die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben schaffen. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur nachhaltigen Steigerung der Wertschöpfungskraft unseres Landes geleistet und die wirtschaftliche und soziale Stabilität gesichert.


I. Die Enquetekommission nimmt eine Bestandsaufnahme des beruflichen Schulwesens sowie der allgemeinen und beruflichen Aus- und Weiterbildung vor.


II. Auf dieser Grundlage sind Handlungsstrategien aufzuzeigen, die geeignet sind,
  • die allgemeine wie die berufliche Angebotsstruktur der Weiterbildung – unter spezifischer Berücksichtigung des Zweiten Bildungswegs – zu optimieren und zugleich eine erhöhte Transparenz für potenzielle Nutzer zu schaffen und eine adäquate Finanzausstattung zu berücksichtigen;

  • die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an Weiterbildungsangeboten zu stärken, wobei gerade auch Menschen mit Migrationshintergrund bzw. aus bildungsfernen Milieus bedarfsgerechte Bildungsangebote vorfinden, u. a. im Zweiten Bildungsweg. Das bestehende Weiterbildungsgesetz ist dahingehend in den Blick zu nehmen;

  • durch bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote den Menschen im Arbeitsprozess sowie nach deren Ausscheiden eine permanente Unterstützung zur Aufrechterhaltung ihrer Beschäftigungsfähigkeit sowie zur Führung eines selbstbestimmten Lebens bieten;

  • flächendeckend bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote effizient und effektiv zu verzahnen und eine leistungsstarke individuelle Bildungsberatung zu entwickeln;

  • die enge Kooperation der beruflichen Schulen mit den Kammern bzw. den Ausbildungsbetrieben während der Berufsausbildung inklusive der gemeinsamen Abschlussprüfung – die Wesensmerkmal der erfolgreichen dualen Ausbildung im Land ist – weiter zu verbessern;

  • die Zugangsmöglichkeiten für besonders qualifizierte Fachkräfte in den tertiären Bildungssektor weiterzuentwickeln;

  • die Übertragbarkeit der im Übergangssystem von der Schule in den Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt erworbenen allgemein bildenden und beruflichen Kompetenzen auf die Anforderungen anschließender Bildungswege bzw. Lernorte flexibler zu gestalten – unter besonderer Berücksichtigung von EQR bzw. DQR;

  • Wege zur Weiterentwicklung des Dualen Systems und der beruflichen Bildung aufzuzeigen, die auf ein lebenslanges Lernen vorbereiten und möglichst keinen jungen Menschen ohne Berufsabschluss in das Beschäftigungssystem entlassen;

  • vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sowie der weiteren Spezialisierung der Ausbildungsberufe auch weiterhin leistungsstarke Bildungsangebote an den beruflichen Schulen – gerade auch im ländlichen Raum – machen zu können;

  • mit einem besonderen Augenmerk auf Anschlüsse und Übergänge das bestehende Bildungsangebot begabungsgerecht weiterzuentwickeln;

  • die faktische Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Schulbildung weiter zu steigern;

  • die Qualität der beruflichen Schulen durch Stärkung ihrer operativen Eigenständigkeit weiter systematisch zu steigern und dabei die Bedeutung einer hohen Professionalität der Lehrkräfte zu berücksichtigen, zu der die Bereiche Personalgewinnung, Personalausbildung und Personalfortbildung maßgeblich beitragen. Mit der Evaluation von Schul- und Unterrichtsqualität soll die Wirkung schulischen Lernens zielgerichtet optimiert werden;

  • die integrative Leistung der beruflichen Bildungsgänge u. a. durch Sprachförderung und Wertevermittlung weiter zu optimieren, um möglichst allen Begabungspotenzialen gerecht zu werden;

  • mit Blick auf die individuellen sowie die gesellschaftlichen Erfordernisse Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen berufliche Schulen einen qualifizierten Beitrag leisten können, die lebenslange Beschäftigungsfähigkeit der Menschen in einer dynamisch sich wandelnden Arbeitswelt zu erhalten.

III.

Es gilt bedarfsgerechte Bildungsangebote für alle Lebensphasen bereitzustellen, die Schul- und Unterrichtsqualität gezielt weiterzuentwickeln sowie den Weiterbildungsbereich zu einem selbstverständlichen Bestandteil des lebenslangen Lernens auszugestalten. Strategische Ziele sind die Sicherstellung ausreichend qualifizierter Fachkräfte für den Arbeitsmarkt im Land, die sich bedarfsgerechter Weiterbildungsangebote bedienen können, und eine an individuellem Kompetenzerwerb sowie gesellschaftlichen Erfordernissen gleichermaßen ausgerichtete plural organisierte Weiterbildungslandschaft, für die alle Beteiligten (Land, Arbeitgeber, Nutzer, Gewerkschaften, Kirchen, private Anbieter u. a.) Verantwortung übernehmen.


IV.

Die Enquetekommission besteht aus 11 Mitgliedern der im Landtag vertretenen Fraktionen, die nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen von diesen benannt werden (6 CDU, 3 SPD, 1 FDP/DVP, 1 GRÜNE sowie bis zu 11 stellvertretenden Mitgliedern).

Jede Fraktion hat das Recht, eine sachverständige Person und einen Stellvertreter/eine Stellvertreterin als stimmberechtigtes Mitglied der Kommission zu benennen.


V.

Die Enquetekommission erstattet dem Landtag bis zum 16. Dezember 2010 einen abschließenden Bericht im Plenum.


Quelle: Drucksache 14/5209 der Landtags von Baden-Württemberg


Die Aussprache und Beschlussfassung über den Antrag finden Sie im Plenarprotokoll 14/75 des Baden-Württembergischen Landtags


Schlagworte zu diesem Beitrag: Lebenslanges Lernen, Weiterbildung, Deutscher Qualifikationsrahmen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 10.11.2009