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Altersversorgung und Krankenversicherungsschutz für Selbstständige

DGB Beschluss zur Altersversorgung für Selbstständige

Der Schutz vor Altersarmut kann nur über eine solidarisch finanzierte Erwerbstätigenversicherung erreicht werden – dazu gehört auch
  1. die Einbeziehung Selbstständiger in das gesetzliche Alterssicherungssystem,

  2. die Öffnung des Zugangs zur Riester-Rente für alle Selbstständigen,

  3. wo möglich die Einbeziehung in betriebliche Sicherungssysteme,

  4. die Beteiligung von Auftraggebern, die selbst Unternehmen sind, an den Alterssicherungskosten.

Begründung:

Von den rund 4,5 Millionen selbstständig Erwerbstätigen sind etwa 2,3 Millionen nicht in obligatorische Altersversorgungssysteme wie die gesetzliche Rentenversicherung oder berufsständige Versorgungswerke integriert. Das Risiko, eine armutsfeste Altersversorgung aufzubauen, liegt damit allein bei ihnen. Der Zugang zu „subventionierten“ Versorgungssystemen wie zur betrieblichen oder auch zur bislang an die gesetzliche Versicherung gebundenen „Riester-Rente“, bleiben ihnen versperrt, wenn keine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt.

Ein zusätzliches Risiko, für das Alter angelegte Sparguthaben aufbrauchen zu müssen, besteht für Selbstständige in Zeiten schlechter Auftragslage wie bei Zahlungsverzögerungen/-verweigerung durch Auftraggeber.

Die Folge sind "gebrochene" Versicherungsbiografien und ein
hohes Risiko der Altersarmut.

Daher forderte neben anderen der Sozialbeirat der Bundesregierung Ende 2009, dem wachsenden Armutsrisiko bei Selbstständigen mit einer Versicherungspflicht entgegen zu wirken. Begründet wird dies unter anderem damit, dass der Anteil Selbstständiger mit einem Monats-Nettoeinkommen unter 1.100,- Euro bereits zwischen 1995 und 2005 um acht Prozent auf bereits knapp ein Drittel aller Selbstständigen angestiegen sei. Es werde daher zunehmend dringender, "dass die Bundesregierung entsprechende Lösungen vorbereitet". Der Gesetzgeber dürfe sich dem Problem "im Interesse der Betroffenen aber auch der Gesellschaft" nicht länger entziehen.

Auch die Deutsche Rentenversicherung plädiert – unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie Altersversorgung in Deutschland 2005 – für die Einbeziehung bislang unversicherter Selbstständigen in das gesetzliche Rentenversicherungssystem. Dr. Herbert Rische, Präsident der DRV Bund, zur Begründung: „Im Hinblick auf Personengruppen mit niedrigen Alterseinkünften werden bestimmte Charakteristika deutlich: Zum Beispiel weisen diese Personen in ihrer Biografie im Schnitt zwei- bis dreimal so lange Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit sowie einer selbstständigen Tätigkeit auf wie die Personen mit höheren Alterseinkünften.“

Ein steigender Anteil der Haushalte, in dem der Haupteinkommensbezieher / die Haupteinkommensbezieherin selbstständig tätig ist, verfügt über keinerlei Absicherung für das Alter – weder über gesetzliche Sicherungssysteme, noch über Vermögen oder Immobilienbesitz, noch über zu erwartende Erbschaften. Schon Anfang des Jahrtausends betraf dies, so der Sozialforscher Prof. Dr. Uwe Fachinger gestützt auf Daten aus 1999jeden siebten dieser Haushalte. Aktuelle Vergleichsuntersuchungen liegen nicht vor. Dass es sich bei dieser Klientel überwiegend um Einkommensschwächere mit geringer Sparfähigkeit handeln dürfte, bestätigt jedoch auch eine Untersuchung der Gothaer Versicherung aus dem Jahr 2008: „Weniger als die Hälfte der befragten Personen mit einem Einkommen unter 1.000,- Euro betreibt Altersvorsorge, jeder Dritte in der Altersgruppe zwischen 20 und 29 Jahren legt überhaupt kein Geld für das Alter zurück. Knapp ein Drittel derjenigen, die Altersvorsorge betreiben, legt zwischen 50,- und 150,- Euro pro Monat zurück.“

Angesichts der in vielen Fällen sehr niedrigen verfügbaren Einkommen, wäre es keine Lösung, lediglich eine Versicherungspflicht einzuführen, wie sie – etwa bei Lehrkräften – teilweise schon besteht. Wenn damit die Verpflichtung zur Tragung des vollen Rentenversicherungsbeitrags verbunden ist, also rund ein Fünftel des verfügbaren Einkommens entzogen wird, führt dies zur Armut von Familien und Kindern – kein sinnvoller Weg zur Bekämpfung von Altersarmut.

Viele Selbstständige können gegenüber den Auftraggebern keine so hohe Vergütung durchsetzten, dass diese für die Existenzsicherung und die Alterssicherung ausreicht. Deswegen verzichten viele notgedrungen auf die Alterssicherung. Eine verpflichtende Beteiligung der Auftraggeber erleichtert den Selbstständigen die Finanzierung der Alterssicherung und erhöht gleichzeitig den Anreiz, selbst in die Versicherung einzuzahlen. Die Einführung der Auftraggeberbeteiligung vermindert gleichzeitig Anreize, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung abzubauen.



DGB Beschluss zum Krankenversicherungsschutz für Selbstständige

Der Schutz von Selbstständigen in der Krankenversicherung ist immer noch unzureichend. Ein umfassender Schutz zu bezahlbaren Konditionen kann dauerhaft nur über die Bürgerversicherung erreicht werden, in die alle Menschen in Deutschland versichert werden und deren Einnahmen auf eine breite Basis gestellt werden.

Um den Schutz der Selbstständigen schnell zu verbessern, sind Sofortregelungen notwendig.
  1. Die Mindestbemessungsgrenze für Beiträge hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger, die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, ist von derzeit 1.916,25 € / Monat auf 1.277,50 € abzusenken.

  2. Als Berechnungsgrundlage der Beiträge von Selbstständigen sind – analog der Berechnungsgrundlage für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – ausschließlich die eigenen Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit nicht aber zum Beispiel die der Bedarfsgemeinschaft zugrunde zu legen.

  3. Gesetzliche Krankenkassen sind dahin gehend zu verpflichten, dass für Selbstständige, die ihrer Versicherungspflicht verspätet nachkommen, auch im Falle von Beitragsschulden alle Leistungen bereitgestellt werden. Die eingehenden Beiträge sind zunächst mit dem laufenden Beitrag zu verrechnen und erst danach sollen damit die aufgelaufenen Beitragsschulden bedient werden.

  4. Private Krankenversicherungsunternehmen sind zu verpflichten, für Selbstständige, die – nicht zuletzt aufgrund gesetzlicher Vorgaben gezwungen – Mitglied bei ihnen sind, im Falle der Bedürftigkeit (Hartz IV) einen den gesetzlichen Versicherungen gleichgestellten Tarif anzubieten.

Begründung:

Der Gesetzgeber führte im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) eine erweiterte Versicherungspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V) im deutschen Krankenversicherungssystem ein. Sie bestand aus drei Schritten: Seit 1. April 2007 gilt die Versicherungspflicht für alle Versicherten, die dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zuzuordnen sind. Ab 1. Juli 2007 wurden die Zugangsmöglichkeiten für diejenigen Versicherten verbessert, die dem privaten Versicherungssystem zuzuordnen sind. Ab 1. Januar 2009 gilt die Versicherungspflicht für die Gesamtbevölkerung.

Die Gewerkschaften hatten diesen Schritt gefordert und nach seiner Umsetzung grundsätzlich begrüßt. Allerdings wurde durch das GKV-WSG die Forderung, gleichzeitig die bestehenden Hürden eine Versicherung eingehen zu können für (Solo-) Selbstständige zu beseitigen, nicht erfüllt, sondern es wurden zusätzliche Hürden geschaffen.


Zu 1. Der Gesetzgeber / die GKVen gehen bei Selbstständigen in der Regel von einer Beitragsbemessungsgrundlage von 3.750,- € (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) aus. Auf Antrag kann dieser Beitrag gesenkt werden. Aber auch wer dabei ein Einkommen zwischen 1.277,50 €,- und 1.916,25 € nachweist, muss mit einem an 1.916,25 € bemessenen Beitrag (Mindestbemessungsgrenze) oft immer noch mehr zahlen – und zwar den vollen Gesamtbeitrag –, als es dem tatsächlichen Einkommen entspricht. Diese Ungleichbehandlung ist nicht zuletzt deshalb umgehend zu korrigieren, weil die durchschnittlichen Einkommen von Solo-Selbstständigen in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgesunken sind.


Zu 2: Hier ergab sich durch die Gesundheitsreform eine Änderung für wenig verdienende Selbstständige, die die weiteren Einkommensbedingungen erfüllen. Der GKV-Spitzenverband hat entsprechend der Gesetzeslage die Bedingungen, sich zum ermäßigten Beitrag versichern zu können, analog der Anspruchsberechtigung auf ALG II festgelegt. Damit wurde aber gleichzeitig die Bedarfsgemeinschaft aus dem SGB II für die Bemessung des Krankenversicherungsbeitrages in das SGB V eingeführt (§ 7 Abs. 4 Einheitliche Grundsätze). Bis dahin galt die weit weniger restriktive Regel, dass alle eigenen Einkünfte als versicherungspflichtiges Einkommen zugrunde gelegt wurden.

Zudem werden bei freiwillig Versicherten in der GKV für die Beitragsberechnung nicht nur Einkommen aus Erwerbstätigkeit sondern auch solche aus nicht selbst genutzten Immobilien berücksichtigt sowie die Einkommen von Ehegatten oder Lebenspartnern, sofern diese nicht einer Krankenkasse angehören (§ 2 Abs. 4 Einheitliche Grundsätze).


Zu 3: Bei einem Eintritt in die gesetzliche Krankenversicherung fordern die Krankenkassen rückwirkend bis zur Versicherungspflicht im April 2007 Beiträge ein – mit einem Säumniszuschlag von fünf Prozent/Monat des länger als einen Monat rückständigen Beitrags. Dieser Zuschlag wird nach § 24 Abs. 1a SGB IV auch für säumige freiwillig Versicherte und Pflichtversicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V fällig. Gleichzeitig ist die alte Regelung entfallen, wonach bei freiwillig Versicherten nach zweimaliger Nichtzahlung der Beiträge automatisch die Versicherung beendet wird. Seit der Gesetzesänderung ruhen die Leistungen nach zweimaliger Nichtzahlung – ausgenommen davon sind die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände, von Schwangerschaft und Mutterschaft sowie die der mitversicherten Kinder. Diese Säumniszuschläge bilden für Noch-Nicht-Versicherte laut der Ratsuchenden beim ver.di-Beratungsnetzwerk für Selbstständige www.mediafon.net, Verbraucherzentralen und zahlreichen Presseveröffentlichungen die größte Hürde, ihrer Versicherungspflicht nachzukommen. In einer Expertise für die HBS fordern deren AutorInnen – nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den Erfahrungen zur Einführung einer Versicherungspflicht in den Niederlanden und der Schweiz: „Es ist davon auszugehen, dass die derzeit der GKV zuzurechnenden Nichtversicherten in zahlreichen Fällen diese rückständigen Beiträge nicht aufbringen können. Außerdem wird ein wesentliches Ziel dieser Maßnahme – die Nichtversicherten zu einem möglichst umgehenden Eintritt in die gesetzliche Krankenversicherung zu bewegen – durch die konsequente Überwachung der Versicherungspflicht erreicht. Für einen barrierefreien Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung wäre es daher notwendig, von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen auf die Einforderung dieser rückwirkend ab 1. April [2007] zu leistenden Beiträge zu verzichten.
Hierzu reichen jedoch Appelle des Bundesministeriums für Gesundheit nicht aus. Es ist vielmehr eine Klarstellung des Gesetzgebers notwendig.“



Zu 4: Eine vergleichbar schwierige Situation zeigt sich seit dem 1. Januar 2009 für PKV-Pflichtversicherte – insbesondere für Hilfsbedürftige, denen der Weg in die GKV mit der neuen Gesetzgebung versperrt wurde. Der so genannte „Basistarif“, über den sich Selbstständige versichern können, beträgt monatlich grundsätzlich 536,25 €, Hilfsbedürftige können eine Halbierung des Beitrages beantragen.

Inzwischen häufen sich die Fälle privat Versicherter, die hilfsbedürftig wurden und nicht in eine gesetzliche Kasse wechseln können. Während für ALG-II-Empfänger, die gesetzlich versichert sind, die Jobcenter den kompletten Beitrag zahlen, gibt es auch für zwangsweise in der PKV Versicherte nach § 26 Abs. 2 SGB II nur einen Prämienzuschuss von 126,05 €. Die Differenz müssen ALG-II-Empfänger selbst aus ihrer Grundsicherung tragen.



Quelle: Beschluss des 19. Ordentlichen DGB-Bundeskongress vom 19. Mai 2010


Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 19.05.2010