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Deutscher Weiterbildungstag 2010

Weiterbildung stärken – Chancen nutzen

oder doch nur: Weiterbildung stärken – Chance vertan?

Zum 3. Mal findet in diesem Jahr der deutsche Weiterbildungstag statt, wiederum unterstützt von zahlreichen Prominenten und unter der so begeistert hervorgehobenen Schirmherrschaft des neuen Bundespräsidenten. Die Popularisierung erfolgt wiederum mit etwas reißerischen Texten über das Büro des Weiterbildungstages – offenbar eine beauftragte Werbeagentur.

Die Begründung wird in den 8 Thesen zur Weiterbildung (vom letzten Weiterbildungstag) und 6 mit einem ähnlichen Tenor formulierten Argumenten geliefert. Überfliegt man die 8 Thesen, so ist eigentlich nicht viel daran auszusetzen, mehr noch, man kann den Aussagen eigentlich nur zustimmen. Und natürlich sind diese Thesen in einer gewissen Allgemeinheit formuliert – auch diese muss nicht gleich ein Mangel sein.

So ist die Betonung der Demokratie und die sie stützenden Bürgerinnen und Bürger unbestritten; Bildung und Weiterbildung als Basis und Voraussetzung mündiger BürgerInnen – unbestritten. Die Bedeutung von Bildung für Integration – unbestritten. Die Bedeutung von Fremdsprache ebenso. Weiterbildung als Standortfaktor – darüber ließe sich trefflich diskutieren.

Und doch bleibt ein deutliches Unbehagen – irgendwie sind diese Thesen ebenso richtig wie an der Wirklichkeit vorbeigehend:

Im Begleittext auf der Internetseite des Büros des Weiterbildungstages wird einmal vorsichtig und zart darauf hingewiesen: der schreiende Widerspruch zwischen den offiziellen Aussagen der Politik (beinahe egal welche Partei oder welche Institution) und dem politischen Nichthandeln. Weiterbildung ist und bleibt private Angelegenheit, zahlen muss jede/r selbst; das jetzt installierte Zuschussmodell, das als deutlicher Fortschritt in der Förderung jeglicher Weiterbildung (-sbereitschaft) gepriesen wird, ist geradezu spartanisch ausgestattet und damit eher lächerlich.

Und ein zentraler Bereich der Weiterbildung, die nach dem SGB II und III geförderte Weiterbildung, wird von der Bundesregierung gerade in diesen Monaten (mal) wieder drastisch zusammengestrichen – mit dem schon abenteuerlichen Argument, es ginge ja um Arbeitsmarktpolitik. Als sei nicht die Weiterbildung das zentrale arbeitsmarktpolitische Instrument – was unter allen Arbeitsmarktpolitikern und Experten unstrittig ist.

Ohne der Politik diesen Widerspruch eindeutig und massiv vorzuhalten, macht ein solcher Weiterbildungstag recht wenig Sinn. Und befördert eher eine gegenteilige Wirkung: Es klingt dann so ein leiser Vorwurf mit, es läge vielleicht doch an der individuellen Weiterbildungsbereitschaft der BürgerInnen.

Wer in der Weiterbildungslandschaft der Bundesrepublik wirklich etwas bewegen will, der muss grundsätzlicher ansetzen:
  • Wir brauchen ein Weiterbildungsgesetz, das Standards und Regelungen für Träger und TeilnehmerInnen formuliert und damit ein akzeptables Qualitätsniveau der einzelnen Weiterbildungskurse gewährleist. Ein ganzer Bildungsbereich, der weitgehend dem ‚freien Markt‘ ausgeliefert ist, kann die immer wieder geforderten und postulierten Ziele wie Transparenz und Qualität nicht erfüllen. Diese Forderung ist bereits vor über 10 Jahren noch vor der ver.di-Gründung von den Gewerkschaften IGM, ÖTV, HBV und GEW aufgestellt und ausgearbeitet worden – und weiterhin hoch aktuell.

  • Der gesamte Weiterbildungsbereich bedarf einer gesicherten öffentlichen Finanzierung. Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest: Bildung muss für die Lernenden (weitgehend) kostenfrei sein. Zwar hat dieser Grundsatz für die Weiterbildung noch nie gegolten, er ist in anderen Bereichen der Bildung schon arg durchlöchert (z.B. Lehrmittelfreiheit oder Förderunterricht, die sog. Nachhilfe als Ausweg) und gerade mit der Einführung (und teilweisen Rücknahme) von Studiengebühren noch einmal schwer unter Druck geraten, - wer Weiterbildung für Demokratie, Volkswirtschaft und persönliche Entwicklung für unverzichtbar hält, muss eine (weitgehend) öffentliche Finanzierung gewährleisten - und zwar dauerhaft. (Damit ist die generelle Unterfinanzierung des gesamten Bildungsbereichs noch nicht angesprochen.)

  • Wer gute Weiterbildung will, muss die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche angemessen entlohnen, d.h. entsprechend der Tätigkeit und unter Berücksichtigung der notwendigen Qualifikationen. In der SGB II / III geförderten Weiterbildung, ein zentraler Bereich, der prägend auf die gesamte Weiterbildung wirkt, hat es einen Einbruch der Gehälter gegeben – das aktuelle durchschnittliche Niveau bei Neueinstellungen liegt ca. 40-50 % unter dem Einkommen vergleichbarer Bereiche, z.B. der LehrerInnen an öffentlichen Schulen.

  • Wer dafür die schlechte Finanzierung / Refinanzierung verantwortlich macht, hat einerseits recht, weil von Seiten der Bundesagentur für Arbeit bzw. Arbeitsgemeinschaften SGB II jede Möglichkeit zum Drücken der Preise genutzt wird. Andererseits ist hier aber den Arbeitgebern bzw. den Trägern der Spiegel vorzuhalten: Denn sie sind in der großen Mehrzahl in den ruinösen Wettbewerb eingestiegen und haben sich wechselseitig immer wieder unterboten; gleichzeitig aber waren die Träger nicht in der Lage, einen großen und einflussreichen Arbeitgeberverband zu etablieren, der auch dem Preisdruck der öffentlichen Hand wirksam entgegentreten könnte. Die Branche leistet sich weiterhin den Luxus verschiedener konkurrierender Verbände mit unterschiedlicher Ausrichtung.

  • Und dabei gäbe es gerade jetzt ein Instrument, dem permanenten Preisdruck wirksam zu begegnen und einen Schritt zur Strukturierung der Branche Weiterbildung zu machen: einen
  • Branchentarifvertrag Weiterbildung. Die Branche Weiterbildung ist in das Entsendegesetz aufgenommen worden; ein Mindestlohntarifvertrag liegt vor; aber weder die Bundesregierung noch die zerstrittene Arbeitgeberseite haben die Bereitschaft, diesen Mindestlohntarifvertrag für die Weiterbildung in Kraft zu setzen – zu Lasten der Beschäftigten und letztlich auch der TeilnehmerInnen.

Ein Weiterbildungstag macht nur wirklich Sinn, wenn die Realitäten der Weiterbildung und die Ignoranz der Politik dargestellt werden.

Allein mit einer Marketing-süßen Rhetorik über die vielen schönen Weiterbildungsangebote wird man den Problemen nicht gerecht. Und wenn dann ein Weiterbildungstag noch Gefahr läuft, von Marketing-Angeboten überschwemmt zu werden, dann muss ver.di nicht dabei sein.


Hamburg, September 2010
Roland Kohsiek


Wer die Thesen im Original lesen möchte, findet sie auf der Seite des Deutschen Weiterbildungstags.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Qualifizierung, Lebenslanges Lernen, Mindestlohn
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 21.09.2010