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Ganztagsunterricht an Schulen darf nicht zum Einfallstor für prekäre Beschätigung werden

Was in den 1950er und 60er Jahren als Erwachsenbildung begann und eng mit dem Bild der Volkshochschulen verknüpft ist, hat sich mittlerweile zu einem der größten Sektoren in der Bildung entwickelt – die Weiterbildung. Vielleicht ist sie sogar die größte Bildungsbranche überhaupt. Ungeachtet ihrer Größe ist die Weiterbildung allerdings nur wenig im Fokus der öffentlichen Diskussion. Dafür lassen sich verschiedene Gründe zwar anführen, richtig zwingend wird die Randständigkeit der Weiterbildung in der Öffentlichkeit dadurch aber nicht erklärt.

Über die Weiterbildungsbranche ist nur wenig bekannt

Da ist zunächst einmal die Größe des Bildungsbereichs: Wir haben nur sehr unvollständige Daten über die Weiterbildung. Lediglich für einzelne Segmente gibt es gute und aussagekräftige Daten, etwa für den Bereich der Volkshochschule. Gute Daten heißt Zahlen zu den Trägern, den TeilnehmerInnen, den Lern-/Unterrichtsstunden und den Beschäftigten. Verschiedene Bemühungen von Wissenschaftlern und in der Branche Tätigen hat die Datenlage zwar verbessert, auch ein umfangreiches Gutachten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2005 hat neue Zahlen geliefert; letztlich liegen bislang jedoch keine umfassenden Daten vor.

Ein zweiter Aspekt betrifft die Heterogenität und Vielfältigkeit der Weiterbildung; denn zur Weiterbildung zählen sowohl innerbetriebliche Fortbildungen wie Maßnahmen für Erwerbslose, Einzelcoachings wie auf künstlerische (Freizeit-) Aktivitäten zielende Kurse. Die Abgrenzung fällt schwer. Dabei ist die berufliche Bildung – im weitesten Sinne – der dominierende Bereich; die politische Bildung ist hingegen – leider – auf dem Rückzug. Auf Grund dieser Heterogenität ist allein schon die Ermittlung der anfallenden Kosten schwierig. Wenn ein guter Teil der Weiterbildung innerbetrieblich stattfindet – Schätzungen gehen von etwa 50 Prozent aus –, dann stellt sich die Frage, welche Kosten berücksichtigt wurden, etwa nur die Kosten für den Trainer beziehungsweise die Trainerin, oder auch mögliche Lohnausfallkosten der sich Weiterbildenden?

Strukturen in der Weiterbildung könnten prägend werden

Es kann also sein, dass die Weiterbildung mittlerweile der größte Bildungsbereich ist und dessen Strukturen dann auch prägend für den gesamten Bildungsbereich sind oder werden könnten. Insofern macht es Sinn, Entwicklungstendenzen etwas genauer zu betrachten.

Die Weiterbildung ist weitgehend privat organisiert; die Volkshochschulen und wenigen staatlichen Träger machen nur einen Bruchteil des gesamten Weiterbildungsgeschehens aus. Verschiedene Interessengruppen – Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, karitative und kirchliche Organisationen – treten als Gesellschafter der Bildungsträger oder -unternehmen auf; gleichzeitig ist bei größeren und etablierten Trägern oftmals eine gewisse Verselbständigung zur ursprünglichen Gründungs- und Trägerorganisation zu beobachten.

Prekäre Beschäftigungsbedingungen zur Regel geworden

Entsprechend der privaten Organisation und Verfasstheit der Weiterbildungsträger gibt es keine Standards in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Entlohnung; kein Branchentarifvertrag regelt gewisse Standards für die Beschäftigten.

In einem zentralen Marktsegment – der nach den Sozialgesetzbüchern II und III durchgeführten und refinanzierten Weiterbildung für Erwerbslose – wird dieses auf dramatische Weise deutlich: Während noch vor zehn Jahren Gehälter gezahlt wurden, die zwar durchschnittlich nicht an die üblichen Tarifentgelte oder Beamtenvergütungen in anderen tarifgebundenen Bildungsbereichen ganz heranreichten, aber nicht zu weit davon entfernt waren, sind heute die Gehälter auf der ganzen Linie eingebrochen. Neueingestellte erhalten hier zwischen 30 bis 50 Prozent weniger als Bildungsarbeiter in anderen Bereichen; Gehälter von deutlich unter 2.000 Euro für 40 Stunden Unterricht sind keine Ausnahme. Mittlerweile sind in diesem Segment der Weiterbildung prekäre Beschäftigungsbedingungen zur Regel geworden; Neueinstellungen fast ausschließlich befristet und die schon immer nicht geringe Zahl von Honorarverträgen nimmt zu bei gleichzeitig sinkenden Honorarsätzen – bis unter zehn Euro pro Unterrichtsstunde à 45 Minuten. Damit ist in diesem Marktsegment durchgesetzt worden – die Bundesagentur für Arbeit spielt dabei eine treibende Rolle –, was in anderen kleineren Bereichen wie dem Sprachschulmarkt schon immer galt. Gleichzeitig ist ein neues Marktsegment entstanden: die private Nachhilfe. Sie wird von wenigen Großunternehmen geprägt und arbeitet nach dem Franchise- Prinzip. Was dabei herauskommt, sind wiederum vor allem Honorarbeschäftigte oder schlecht bezahlte Teilzeitbeschäftigte.

Wenn es nun aber richtig ist, dass die Weiterbildung ein großer, zentraler Bereich in der deutschen Bildungslandschaft ist, dann kann es nicht überraschen, dass diese prekären Beschäftigungsbedingungen auch in die anderen Bildungsbereiche rüberschwappen. Vor einigen Jahren begann es in Hessen. Die einzelnen Schulen erhielten ein Budget für Förderunterricht und dieser wurde oftmals in Form von Honorarbeschäftigung umgesetzt.

Honorarverträge sollen Ganztagsausbau sichern

Vor wenigen Wochen kam dann an die Öffentlichkeit, dass unter dem schwarz-grünen Senat in Hamburg und der grünen Bildungssenatorin allein in den letzten vier Jahren ca. 25.000 (!) Honorarverträge ausgegeben wurden, vor allem um die durch die politische Entscheidung für Ganztagsschulen notwendige Betreuung der SchülerInnen am Nachmittag zu gewährleisten.

Heraus kam diese Zahl durch eine politische Kontroverse in Niedersachsen. Auch dort hatte das Kultusministerium in den vergangenen Jahren eine große Anzahl von Honorarverträgen für Unterricht und Betreuung in den Regelschulen abgeschlossen. Nun begann aber die zuständige Deutsche Rentenversicherung, diese Verträge systematisch zu prüfen, mit dem Ergebnis, ein großer Teil dieser Honorarverträgler sei im Grunde sozialversicherungspflichtig beschäftigt und das Land müsse nun die fälligen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Denn in der Tat: Der Status von Honorarbeschäftigten ist nicht prekär, er ist auch juristisch sehr heikel, denn eine Honorarkraft darf nach der gängigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per Weisung in den Unterrichtsbetrieb so einfach eingegliedert werden (das Kriterium heißt: Integriertheit in den Betriebsablauf). Der Ausgang dieses Konfliktes in Niedersachsen ist noch offen.

Fazit: Was sich im Bereich der Weiterbildung an Prekarisierung abspielt, ist eben nicht nur eine Entwicklung in der Weiterbildung; diese Entwicklung schwappt nicht nur in die andere Bildungsbereiche hinein, es droht die Gefahr, dass sich diese Beschäftigungsverhältnisse auch in andere Bereiche hineinfressen. Wenn die politisch richtige Entscheidung für die Ganztagsschule umgesetzt wird, dann kann das nur über sozialversicherungspflichtige Beschäftigung laufen – eine Ausweitung schulischer Tätigkeiten darf nicht zum Einfallstor für prekäre Beschäftigung werden.

Privatisierung und Prekarisierung: Zwei „unheimliche Verbündete“

Insofern hat das, was sich in der Weiterbildung abspielt – drastisch sinkende Gehälter, Befristungen, teilweise mit extrem kurzer Laufzeit und ausweitende Honorarbeschäftigung –, für alle in der Bildung Tätigen und an Bildungsfragen Interessierten eine große Bedeutung. Die private Organisation von Bildung und fortschreitende Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Bildung sind zwar unterschiedliche Wirkungsmechanismen, aber gleichzeitig unheimliche Verbündete. Gute, erfolgreiche und sinnvolle Bildung ist nur mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und soliden Arbeitsbedingungen zu machen. Wer von der wirklichen Bildungsrepublik träumt – oder andere nicht täuschen will –, muss diese Seiten der Bildung genau im Auge behalten.


Roland Kohsiek


Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung, Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 29.01.2013