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Junge Erwachsene ohne Berufsabschluss benötigen dringend Angebote zur beruflichen Qualifizierung

Was muss getan werden?

Es ist alarmierend, dass sich die Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bei einem Teil der jungen Erwachsenen deutlich verstärkt und sich die Perspektivlosigkeit bei einer Teilgruppe mit fehlendem Berufsabschluss zu verfestigen droht. Die größten Unterschiede und Spaltungstendenzen verlaufen nicht etwa zwischen den verschiedenen Berufsabschlüssen, sondern zwischen jenen mit und ohne Berufsabschluss. Während für einen Teil der jungen Menschen ein besserer Schul- und beruflicher Abschluss mit besserem Übergang ins Erwerbsleben einhergeht, zählen andere ohne erfolgreichen Abschluss und niedrigem Bildungsabschluss auch der Eltern sehr schnell zu einer vergessenen und abgehängten Generation. Obwohl ein Berufsabschluss Grundvoraussetzung für Wettbewerbstätigkeit und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ist, hat ein hoher – wenn nicht gar steigender Anteil junger Menschen keine abgeschlossene Berufsausbildung und kaum stabile Erwerbschancen. Dies gilt insbesondere für die alten Bundesländer.
Doch die Integrationsprobleme geringqualifizierter junger Erwachsener stehen bisher nicht im Fokus der Bildungspolitik sowie der Sozial- und Arbeitsförderung. Dabei sind sie teils Opfer der Ausbildungsnot vergangener Jahre, die politisch viel zu lange klein zu rechnen versucht wurde. Zwar wird der demografische Wandel und dessen Auswirkungen auf Ausbildungssystem und Arbeitswelt in vielfältigen Schattierungen diskutiert, doch kaum die Situation derjenigen, die schon in jungen Jahren nicht fit für die beruflichen Herausforderungen des Arbeitsmarktes sind, dem Arbeitsmarkt aber noch gut 30 bis 40 Jahre zur Verfügung stehen. Soziale Disparitäten im Bildungswesen werden oftmals immer noch fortgeschrieben.

Wenn wir nicht jetzt mehr in die Bildung dieser Menschen investieren, wird die ökonomische und soziale Ungleichheit weiter steigen und zu hohen sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgelasten führen. Nicht zuletzt kann dies die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und künftig zu einem Fachkräftemangel bei gleichzeitig sich verhärtender Langzeitarbeitslosigkeit führen. Der Verweis auf die im internationalen Vergleich insgesamt niedrigere Arbeitslosigkeit bei jüngeren Menschen ist keinesfalls Rechtfertigung für bildungspolitische Enthaltsamkeit.

Im Rahmen der 2020-Strategie der Europäischen Union wurde einmal mehr die Notwendigkeit betont, die Qualifizierung der Bevölkerung stetig an die sich wandelnde Arbeitswelt anzupassen. Zu den Kernzielen dieser Strategie zählt auch die deutliche Reduzierung der frühzeitigen Schulabgänger/innen sowie bis 2020 den Anteil der 30 bis unter 35jährigen mit Tertiärabschluss auf 40 Prozent zu steigern. Beide Ziele werden gegenwärtig für Deutschland verfehlt. In den ergänzenden Grundinformationen zum Berufsbildungsbericht wird denn auch darauf verwiesen, dass insbesondere junge Männer immer häufiger ohne beruflichen Abschluss bleiben. Es ist alarmierend, wenn die Bildungsteilhabe und arbeitsmarktliche Integration bei uns mit zunehmendem Alter junger Menschen abnimmt und diese negative Entwicklung stärker ist als z. T. in unseren Nachbarländern.

Verstärkte politische Initiativen sind erforderlich. Es muss ernst damit gemacht werden, tatsächlich allen jüngeren Menschen das bildungspolitische Rüstzeug mitzugeben und ihnen einen möglichst guten und produktiven Weg im Arbeitsleben zu eröffnen. Geringqualifizierte haben eine „zweite Chance“ verdient, egal aus welchem Grund sie keinen berufsqualifizierenden Abschluss haben. Insbesondere der steigende Anteil junger Männer ohne Bildungserfolg sowie die hohe Zahl ungelernter Menschen mit Migrationshintergrund sowie junge Frauen, die sich mangels Alternativen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, brauchen dringend bessere Aussichten auf einen Berufsabschluss und einen Job. Diese Aufgabe können die Arbeitsagenturen und die Beitragszahler nicht allein erfüllen. Um über die bisherigen Maßnahmen hinaus Wirkung entfalten zu können, sollten insbesondere folgende Initiativen ergriffen werden:
  1. Der Handlungsbedarf ist insbesondere im Hartz IV-System nicht zu übersehen, wo die Fördermittel in den letzten Jahren massiv zusammengestrichen wurden und überdurchschnittlich viele Arbeitslose keinen Berufsabschluss haben. Die Weiterbildungsförderung muss vom Bund insbesondere in diesem Fürsorgesystem ausgeweitet werden. Dem Beispiel der Arbeitslosenversicherung folgend sollte auch im Hartz IV-System ein Sonderprogramm mit eigenem Haushaltstitel aufgelegt werden, mit dem eine bessere berufliche Weiterbildungsförderung für Geringqualifizierte sichergestellt werden kann.

  2. Ein steuerfinanziertes Bundesprogramm „Zweite Chance“ sollte aufgelegt werden, um Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder einer Berufsausbildung, die auf dem Arbeitsmarkt nicht (mehr) nachgefragt wird, einen qualifizierten Abschluss zu eröffnen. Für diejenigen ohne Berufsabschluss sollte so ein wichtiger Impuls auf bundespolitischer Ebene gegeben werden, als ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Durch zusätzliche Haushaltsmittel des Bundes könnten zusätzliche Potenziale zur abschlussorientierten Qualifizierung sowohl von Geringqualifizierten im Betrieb wie auch insbesondere im Hartz IV-System erschlossen werden. Mit einem Fördervolumen von 400-500 Mio. Euro pro Jahr könnten voraussichtlich 30.000 Qualifizierungsmaßnahmen realisiert werden.

  3. Für Arbeitslose ohne Berufsabschluss sollte ein finanzieller Anreiz geschaffen werden, um sie mehr noch als bisher zur Weiterbildung zu gewinnen und bei finanziellen Schwierigkeiten einen Abbruch der Maßnahme möglichst zu verhindern. Viele können kaum eine zweijährige Weiterbildung leisten und auf Erwerbeinkommen verzichten, wenn wie bisher lediglich Arbeitslosengeld bzw. Hartz IV weiter gezahlt wird. Meist ist Weiterbildung keine finanziell attraktive Alternative auch zu einer Helfertätigkeit. Ein-Euro-Jobber stehen sich heute finanziell besser als jene Hartz IV-Empfänger, die an Weiterbildung teilnehmen: Um längere Durststrecken bei abschlussbezogener Weiterbildung erfolgreich durchstehen zu können, sollte auch Hartz IV-Empfängern eine umschulungsbedingter Zuschlag gewährt werden.

  4. Ausgebaut werden sollte ebenso die Weiterbildungsberatung, insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe sowie berufliche Qualifizierungsberatung für Arbeitslose und Beschäftigte. Damit könnten Betriebe wie Arbeitskräfte unterstützt werden, die bestehenden Qualifizierungspotentiale besser zu erkennen und zu nutzen. Gesellschaftliche Initiativen für die rd. 1,5 Mio. jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss sind längst überfällig. Trotz Fachkräftebedarf drohen sie sonst noch weit mehr sozial und arbeitsmarktpolitisch abgehängt zu werden. Perspektivlosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit auch bei künftigem Fachkräftemangel wären die Folge.


Quelle: Dr. Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktprobleme junger Erwachsener ohne Berufsabschluss verschärfen sich, DGB Februar 2013

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung, Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 13.05.2013