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Fortbildungsprämie für Arbeitslose

Weiterbildung muss sich lohnen

Mit dem wirtschaftlichen und demografischen Wandel kommt der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine immer größere Bedeutung zu, um die Stabilität von Beschäftigung zu sichern und existenzsicherndes Erwerbseinkommen zu fördern.

Geringqualifizierte Arbeitskräfte tragen ein deutlich erhöhtes Arbeitsmarktrisiko und stellen eine überproportional große Gruppe unter den Arbeitslosen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arbeitsmarktposition dieser Gruppe eher noch verschlechtert und ihre Zukunftsperspektiven bleiben ungünstig.
  • So ist die Arbeitslosigkeit der Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung mit fast 20 Prozent rund viermal so hoch wie für jene mit abgeschlossener Berufsausbildung und gut achtmal so hoch wie für Akademiker.

  • In den neuen Ländern liegt die Arbeitslosenquote der Un- und Angelernten immer noch bei fast einem Drittel gegenüber 8,7 Prozent bei jenen mit beruflicher Qualifikation.


1. Weiterbildung verringert (bisher) soziale Ungleichheiten kaum

Angesichts dieser ungünstigen Fakten ist der Erwerb beruflicher Qualifikationen insbesondere für Arbeitslose eine zentrale Aufgabe einer wirksamen Arbeitsförderung. Doch parallel zu den Hartz-Gesetzen wurde die Weiterbildungsförderung zunächst massiv beschnitten und erst in den letzten Jahren das Förderniveau teilweise wieder leicht angehoben. Dabei haben abschlussorientierte Weiterbildungen weiter nur einen geringen Anteil an allen Qualifizierungsmaßnahmen.

Doch die Zugangschancen zur beruflichen Weiterbildung sind sehr ungleich verteilt; dies gilt für betriebliche Maßnahmen wie für Arbeitslose gleichermaßen. Generell greift in der beruflichen Weiterbildung das sogenannte „Matthäus-Prinzip“. Das bedeutet auf diesen Bereich übertragen, dass denjenigen, die über Bildung und Qualifikation verfügen, eher und mehr davon gegeben wird. Vielfache Faktoren fördern negative Selektionsmechanismen:
  • bei Vergabe von Bildungsgutscheinen (BGS) erhalten eher die besser Qualifizierten einen BGS (wegen zu erwartender besserer Erfolgsquoten),

  • Bildungsträger selektieren wegen der an sie gerichteten Erwartung einer hohen Verbleibsquote eher die Besseren und

  • höher Qualifizierten gelingt es eher, einen BGS auch einzulösen;

  • für AG lohnt sich bei betrieblicher Weiterbildung wahrscheinlich die Investition in höher Qualifizierte mehr als in Geringqualifizierte

Ob und wieweit berufliche Weiterbildung genutzt wird, hängt in hohem Maße von schulischer Vorbildung sowie der beruflichen Qualifikation und der Stabilität bzw. Instabilität der Beschäftigungsverhältnisse ab. Der mit den Hartz-Gesetzen neu eingeführte Bildungsgutschein ist gleichfalls selektiv eher an besser Qualifizierte ausgegeben, nicht zuletzt wegen der zu erwartenden besseren Eingliederungschancen. Sie lösen Bildungsgutscheine aber auch eher ein und Bildungsträger selektieren wegen der von ihnen erwarteten relativ hohen Eingliederungsquote eher zugunsten qualifizierter Arbeitsloser. Menschen mit geringeren beruflichen Qualifikationen haben nicht nur ein höheres Risiko arbeitslos zu werden und zu bleiben, sondern haben eher auch schlechter bezahlte Jobs und niedrigere Chancen, sich weiterzubilden. Für Arbeitgeber ist betriebliche Weiterbildung eine Investition, die sich scheinbar in gut qualifizierte Beschäftigte eher lohnt, als in gering qualifizierte. Aber auch die individuellen Einstellungen, Erfahrungen und Interessen haben einen Einfluss auf das Weiterbildungsverhalten. Insbesondere bei Geringqualifizierten wirken negative Lernerfahrungen aus der Schulzeit sowie in der Arbeitswelt schnell nach. So fragt man sich schnell, ob man die Weiterbildung schafft, ob man sich die finanziellen Einbußen bei längeren Maßnahmen leisten kann und ob man nach erfolgreichem Abschluss tatsächlich im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen hat.


2. Relativ hohe Weiterbildungsbereitschaft von Arbeitslosen

Vorbildung und positive Lernerfahrungen haben zweifelsohne einen positiven Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft, während belastend empfundene Schul- und Lernerfahrungen eher zu Lernbarrieren, Unsicherheit und Angst vor Misserfolgen sowie mangelndem Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit führen. Offen ist dabei die Frage, ob die individuelle Lernfähigkeit tatsächlich zuerst gering ausgeprägt war oder negative Erfahrungen die Lernfähigkeit beeinträchtigt haben. Werden Kompetenzen nicht möglichst frühzeitig erworben, können sie im weiteren Lebensverlauf meist nur schwer und unter größeren Anstrengungen erworben werden. Die generelle Lernfähigkeit sollte auch der Gruppe der Geringqualifizierten nicht allzu schnell abgesprochen werden, da Lernfähigkeit in Schule und Arbeitswelt verschüttet oder (bisher) nur wenig gefördert wurde. Allerdings ist die Weiterbildung Geringqualifizierter besonders anspruchsvoll und muss auf diese Personengruppe ausgerichtet sein sowie geeignete Lernformen entwickeln. Hierzu zählen zielgruppenorientierte Beratung und Ansprache ebenso wie stärker arbeitsintegrierte Lernangebote, aber auch sozialpädagogische Betreuung.

Aktuelle IAB-Befragungen von Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung im Alter von 30 bis 45 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben bzw. als Ungelernte tätig waren, zeigen eine insgesamt positive Haltung zu Weiterbildung. Immerhin über 60 Prozent der Befragten signalisierten Bereitschaft, für eine Weiterbildung in der Zukunft offen zu sein. Bemerkenswert ist dabei eine etwas größere Zustimmung bei Befragten ohne deutsche Staatsangehörigkeit sowie bei Personen mit Kindern unter 16 Jahren im Haushalt. Oftmals werden aber auch gewichtige Argumente ins Feld geführt, die eine Teilnahme an Weiterbildung erschweren oder gar verhindern. Von zentraler Bedeutung sind dabei finanzielle Aspekte.

Am größten war die Zustimmung bei Aussagen, die Einkommensverzicht und -unsicherheit als Hindernis anführen. Über die Hälfte (55 Prozent) der Befragten stimmte der Aussage zu, dass man es sich nicht leisten kann, ein Jahr oder länger auf ein reguläres Einkommen zu verzichten. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen waren dabei gering.

Gründe, die der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen entgegenstehen



Insbesondere Personen mit Kindern im Haushalt betonen finanzielle Unsicherheiten bei Weiterbildung. Die Pflege und/oder Erziehung von Angehörigen kann gleichfalls zu einem Hindernis für Weiterbildung werden. Gut ein Drittel der Befragten gab an, dass die Erziehung und Pflege von Kindern/Angehörigen eine Weiterbildung erschwere.

Erst an dritter Stelle wurde von den befragten Arbeitslosen angegeben, das Lernen nicht mehr gewohnt zu sein. Knapp 30 Prozent stimmten dieser Aussage zu. Dies kann sowohl auf unzureichendes Vertrauen in die eigene Weiterbildungsfähigkeit als auch auf eine geringe Motivation zurückzuführen sein. Alle weiteren Aussagen haben ein deutlich geringeres Gewicht, wie gesundheitliche Probleme, die von etwa 13 Prozent als Hinderungsgrund angegeben werden; eine noch kleinere Gruppe fühlt sich bereits ausreichend qualifiziert oder hat schlechte Erfahrungen mit Lehrkräften gemacht. Insgesamt jedoch scheint eine negative Grundeinstellung gegenüber Weiterbildung kein zentrales Hindernis zu sein.

Finanzielle Einbußen und Unsicherheiten scheinen aus Sicht der Arbeitslosen die vorrangigen Hindernisse zu sein, die einer Weiterbildung im Wege stehen. So fehlen denn auch in der Arbeitsförderung jedwede finanzielle Anreize für Arbeitslose zur beruflichen Weiterbildung und die Hoffnung auf finanzielle Vorteile nach einer erfolgreichen Weiterbildung ist äußerst unsicher. Auch bei einer ein- oder zweijährigen Weiterbildung müssen die Geförderten mit Arbeitslosengeld oder dem gesellschaftlichen Existenzminimum nach Hartz IV über die Runden kommen. Die Unterstützungsleistungen für diese un- und angelernten Arbeitslosen sind – aufgrund des meist geringen Verdienstes – sehr niedrig. Viele können die Einkommenseinbußen von netto einem Drittel und mehr des vorherigen Niedriglohns nicht verkraften und entscheiden sich der Not gehorchend im Zweifel schnell für den „Spatz in der Hand“ und ein etwas höheres Einkommen als Un- und Angelernte. Eine abstrakte Chance auf eine evtl. Weiterbildungsrendite kann in dieser Situation kaum handlungsleitend sein. Im Übrigen sind Ein-Euro-Jobber aufgrund der Mehraufwandsentschädigung im Hartz-IV-System finanziell besser gestellt als jene, die sich den Mühen einer Weiterbildung stellen. Gerade für diesen Personenkreis ist äußerst ungewiss, ob sich die Weiterbildungsleistung finanziell auch tatsächlich auszahlt.

Um die Entscheidungszwänge geringqualifizierter Arbeitsloser besser erkennen zu können, sollten die vom IAB Befragten eines von drei Beschäftigungsszenarien wählen. Die zur Wahl stehenden Alternativen waren ein Job als Ungelernter mit 1.100 Euro Nettoeinkommen, eine zweijährige Qualifizierung mit Arbeitslosengeld und einem anschließenden Job mit sicherem Nettoeinkommen von 1.500 Euro; die dritte Möglichkeit umfasste eine ebensolche Weiterbildung mit einer anschließenden 50-prozentigen Chance zu einem Job mit 1.800 Euro Nettoeinkommen.

Nur etwa 15 Prozent der Befragten sprachen sich gegen die finanziellen Einbußen während der zweijährigen Weiterbildung aus und bevorzugten eine schlecht entlohnte Helfertätigkeit. Dies ist nur eine relativ kleine Gruppe, die die Alternative „Job sofort“ wählen würde, während ein beachtlicher Teil vorübergehende Einbußen in Kauf nehmen würde, soweit sich die Unsicherheiten über die finanziellen Vorteile nach einer Weiterbildung in gewissen Grenzen halten. Immerhin 45 Prozent wählten die mittlere Alternative mit einem sicheren und um 400 Euro höheren Nettoeinkommen. Doch in der Praxis fällt es oftmals schwer, die Chancen auf einen sicheren und besser entlohnten Job realistisch einzuschätzen.

Rund 40 Prozent sprachen sich für die unsichere Alternative – mit dem Risiko, aber auch der Chance auf höheres Einkommen – aus. Dies lässt den Schluss zu, dass mangelnde Motivation von Arbeitslosen offenbar kein zentrales Hemmnis für die Aufnahme einer Weiterbildung ist, sondern insbesondere die mit der Qualifizierung verbundenen finanziellen Risiken die Bereitschaft hierzu deutlich verringern.


3. Gewerkschaftliche Vorschläge

Damit Arbeitsförderung tatsächlich einen Beitrag zur Verminderung sozialer Ungleichheit leistet, haben DGB-Vertreter im Verwaltungsrat der BA bisher zwei Sonderprogramme zur Qualifizierung benachteiligter Personengruppen initiiert. Dies sind das WeGebAU-Programm zur betrieblichen Weiterbildung von älteren bzw. geringqualifizierten Beschäftigten im Betrieb sowie die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels (IFlaS), das sich gezielt an geringqualifizierte Arbeitslose richtet und vorrangig auf (betriebliche) Weiterbildung mit anerkannten Abschlüssen bzw. Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Externen Prüfung abzielt.

Im Rahmen des seit Anfang 2010 bestehenden IFlaS-Programms konnten zwischenzeitlich mehr als 100.000 Arbeitslose gefördert werden. In 2014 stehen aktuell Haushaltsmittel von 400 Mio. Euro im Jahr zur Verfügung. IAB-Untersuchungen zu diesem Sonderprogramm zeigen, dass Personen in den neuen Ländern sowie Migrantinnen und Migranten systematisch häufiger an iFlaS-Maßnahmen teilnehmen. Hauptschulabsolventen sind gleichfalls überrepräsentiert sowie Personen mit längeren Beschäftigungsphasen. Erreicht werden vorrangig Personen, die bereits zuvor gearbeitet haben. Dies gilt auch für jene, die instabil beschäftigt sind, die bereits häufiger Arbeitslosengeld bezogen haben.

Insgesamt haben „Personen mit einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung… eine um dreißig Prozentpunkte geringere Teilnahmewahrscheinlichkeit als Personen ohne Berufsabschluss. Das ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass der für eine Förderung vorgesehene Personenkreis mit den Maßnahmen tatsächlich erreicht wird.“

Einen negativen Einfluss auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit hat demgegenüber die kumulierte Dauer des Hartz-IV-Bezugs, was darauf hinweist, dass arbeitsmarktferne Personen deutlich seltener eintreten. Möglicherweise haben hier aber auch die niedrigere Weiterbildungsförderung im Hartz-IV-System sowie die unzureichend bereitgestellten kommunalen Eingliederungsleistungen einen Einfluss hierauf.

Weitergehende Initiativen sollen daher ergriffen werden, um die berufliche Weiterbildung Arbeitsloser zu verstärken.
  • So sollte die individuelle und aufsuchende Weiterbildungsinformation ziel-gruppengerecht ausgebaut werden. Aufgrund der Angebotsfülle, aber auch der Intransparenz des Bildungsmarktes sowie der Schwierigkeiten Geringqualifizierter, die erforderliche Eigeninitiative zu ergreifen und geeignete Bildungsmaßnahmen und Träger auszuwählen, kommt einer gezielten Qualifizierungsberatung von Arbeitsagenturen und Jobcentern eine besondere Bedeutung zu. Die Weiterbildungsberatung für Arbeitslose und Beschäftigte sowie für Klein- und Mittelbetriebe sollte ausgebaut werden.

  • Bildungsmaßnahmen sollten didaktisch so gestaltet werden, dass evtl. negativ besetzte Lernerfahrungen beachtet und möglichst kompensiert werden können. Dies schließt sozialpädagogische Betreuung ebenso ein, wie eine bessere Kombination mit betrieblichen Praktika. Verstärkt in den Blick genommen werden sollten auch Weiterbildungsangebote speziell für Personen mit (Kinder-) Betreuungspflichten.

    Fördermaßnahmen für Arbeitslose sollten nicht nur über Bildungsgutscheine vergeben werden, sondern hier vorrangig eine Auftragsvergabe durch Arbeitsagenturen und Jobcenter erfolgen.

  • Bei den Arbeitsagenturen und insbesondere bei den Jobcentern müssen ausreichende finanzielle Spielräume eröffnet werden, um insbesondere längerfristige, auf den Berufsabschluss zielende Maßnahmen planen und durchführen zu können. Aber auch die Erwartungen an die Eingliederungsquoten bei Geringqualifizierten sollten anders definiert werden als bei gut Qualifizierten.

  • In beiden Rechtskreisen müssen für die Teilnahme und den Abschluss von Weiterbildungsmaßnahmen Anreize gesetzt werden. Der DGB regt eine Fortbildungsprämie an, um Arbeitslose mehr als bisher zur Weiterbildung zu motivieren. Wenn Jobsuchende eine Ausbildung nachholen, sollten sie als Aufwandsentschädigung einen Zuschlag zum Arbeitslosengeld erhalten und zwar in Höhe von mindestens zehn Prozent bzw. 100 Euro. Zudem soll eine Abschlussprämie nach dem Erwerb des Berufsabschlusses gezahlt werden, um das Durchhaltevermögen zu stärken. Diese Aufwandsentschädigung sowie die ergänzende Prämie sollte gleichfalls im Hartz-IV-System gezahlt und diese ergänzenden Leistungen – wie bei Ein-Euro-Jobs – nicht als Einkommen auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden.

Die letzte Bundesregierung hat derartige gezielte Weiterbildungsanreize strikt abgelehnt. Die Gewerkschaftsseite hat sich daher vor gut einem Jahr im Verwaltungsrat der BA mit den Arbeitgebern auf Modellprojekte verständigt, mit denen die Teilnahmebereitschaft und das Durchhaltevermögen junger Erwachsener bei der Weiterbildung über finanzielle Anreize gefördert werden soll.

Danach wird nach bestandener Zwischenprüfung eine Prämie von 1.000 Euro und nach bestandener Abschlussprüfung von 1.500 Euro gezahlt. Zudem kann eine Mehraufwandspauschale von 100 Euro monatlich gezahlt werden. Das Bundesarbeitsministerium unter Frau von der Leyen lehnte es strikt ab, die Finanzierung für Hartz-IV-Empfänger zu übernehmen; erfreulicherweise ist dann ersatzweise das Arbeitsministerium Thüringens eingesprungen. Eine flächendeckende Einführung einer Fortbildungsprämie steht jetzt auf der Tagesordnung.

Weiterbildung muss sich lohnen – im Versicherungs- und Hartz-IV-System gleichermaßen – und muss Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt vermindern und nicht verstärken.


Quelle: arbeitsmarktaktuell, DGB Abteilung Arbeitsmarktpolitik, 3/2014


Sie können dieses DGB-Papier hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Berufliche Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 28.04.2014