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Aussichtslos?!? – Zur Situation Geringqualifizierter auf dem Arbeitsmarkt

Nur abschlussbezogene Weiterbildung hilft wirklich gegen Erwerbslosigkeit

Gewerkschaftliche Anforderungen

Geringqualifizierte sind – als die Gruppe, die das höchste Arbeitsmarktrisiko trägt – eine wichtige Zielgruppe, die es zu qualifizieren gilt. Erfolgreich ist Weiterbildung auch schon da, wo durch entsprechende Qualifizierung Arbeitslosigkeit vermieden werden kann. Daher sollte das zuvor beschriebene Sonderprogramm WeGebAU der Bundesagentur für Arbeit dauerhaft fortgesetzt und noch weiteren Unternehmen und Beschäftigten bekannt gemacht werden. Durch eine starke Unterstützung abschlussbezogener Qualifizierungen können hier bereits für Beschäftigte in den Betrieben stabilere Arbeitsplätze erschlossen und gesichert werden. Im Hartz-IV-System sollte ein vergleichbares Programm aufgelegt werden. Auch Beschäftigtengruppen, die durch eine geringe Betriebsbindung bisher nur unzureichend von betrieblichen Weiterbildungen profitieren – wie es unter anderem bei Leiharbeitern der Fall ist – müssen eine adäquate Form der Weiterbildungsförderung erreichen können. Erwerbstätige Hartz-IV-Aufstocker sind bisher arbeitsmarktpolitisch nicht im Fokus der Jobcenter.



Insgesamt ist es wichtig, dass dem Erwerb von Berufsabschlüssen mit guten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen der Qualifizierungsförderung der Arbeitsagenturen und Jobcenter wieder ein höherer Stellenwert zugemessen wird. Hierzu ist es erforderlich, dass der gesetzlich normierte Vorrang der Vermittlung in ein angemessenes Gleichgewicht zu den sich längerfristig eröffnenden Perspektiven einer höherqualifizierenden beruflichen Weiterbildung gebracht wird. Längst nicht jeder Job ist sinnvoller als eine bedarfsgerechte Qualifizierung.

Weiterbildung soll sich auch unmittelbar finanziell für Arbeitslose lohnen. Eine pauschale Aufwandsentschädigung sowie eine Abschlussprämie nach dem Erwerb des Berufsabschlusses könnten gerade für eine oftmals auch bildungsferne Gruppe wie Teile der geringqualifizierten Arbeitslosen sowohl das Interesse als auch die Motivation an beruflicher Weiterbildung deutlich steigern. Neben diesen Aspekten wird für viele aber auch überhaupt erst durch eine finanzielle Unterstützung auch eine Berufsausbildung als „Zweite Chance“ möglich. Gerade bei geringqualifizierten Arbeitslosen kollidieren sonst die Erfahrungen - aus einem System des verstärkten Forderns heraus - unmittelbar und jederzeit auch für nicht existenzsichernde Beschäftigung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, mit den Möglichkeiten durch eine Investition in abschlussorientierte Weiterbildung mittelfristig die Gefahr dauernd wiederkehrender Arbeitslosigkeit erheblich zu mindern.

Durch den Verwaltungsrat der BA wurde ein derartiges Prämienmodell bereits auf den Weg gebracht. Das seinerzeit noch von der CDU geführte Arbeitsministerium lehnte eine Übertragung auf das Hartz-IV-System ab. In Thüringen fand sich jedoch die Landesregierung bereit das Prämienmodell zu testen und startete im August 2013 mit der praktischen Umsetzung.



Insbesondere die Bildungsgutscheine (§81 SGB III) – sie bescheinigen die Notwendigkeit einer Weiterbildung – sind nur dann sinnvoll, wenn sie einer Selektion zu Lasten Bildungsbenachteiligter entgegenwirken. Geringqualifizierte Arbeitslose sollten hier also eine umfassende Beratung und Unterstützung erhalten, damit eine individuell passgenaue Qualifizierung durch sie gefunden werden kann und eine effektive Nutzung des Bildungsgutscheins möglich wird. Andernfalls werden anfängliche Nachteile in der Bildung auch weitere Nachteile in der Bildung mit sich bringen und die Situation von Geringqualifizierten nicht verbessern können. Die Nutzung von Angeboten beruflicher Weiterbildung ist in hohem Maße von schulischer Vorbildung, beruflicher Qualifikation, dem Erwerbsstatus und der beruflichen Position abhängig und muss durch einen entsprechenden Gestaltungsrahmen zugänglicher auch für Geringqualifizierte gemacht werden.

Der Weiterbildungsgutschein als Instrument für die Steuerung des Marktes hat sich nur teilweise bewährt. Gerade für Geringqualifizierte bedeutet er praktisch oft eine unüberwindbare Grenze, die auch durch eine umfassende Beratung und Begleitung nicht auszugleichen ist. Hier empfiehlt es sich, dass Maßnahmen mit einem festem Kontingent und fester Zuweisung von Teilnehmern durch die Agenturen für Arbeit und Jobcenter ausgeweitet werden.

Aus Sicht des DGB erscheint es zudem notwendig, dass der Bund das Eingliederungsbudget der Jobcenter gezielt für abschlussorientierte Qualifizierung verstärkt. So kann gezielt dem zuvor geschilderten Problem begegnet werden, dass mehr als die Hälfte der Arbeitslosen im System Hartz IV ohne Berufsabschluss sind.

Auch eine verbesserte Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen kann positive Effekte bewirken. Derzeit sind diese dem harten Preiswettbewerb unterworfen, wobei die aktuellen Regelungen in den letzten Jahren schwere Verwerfungen herbeigeführt haben und einer dauerhaften und hohen Qualität der Weiterbildung als sozialer Dienstleistung im Wege standen. Ermöglicht die Politik die Einbeziehung von Qualität und tariflicher Entlohnung, kann dies dazu beitragen, dass beispielsweise durch gezielt aufeinander aufbauende Förderketten auch geringqualifizierte Arbeitslose verstärkt profitieren können, weil sie eine bessere Unterstützung auch durch qualifiziertes Personal erfahren können. Dienstleistungen leben eben in einem erheblichen Maß auch von der Qualifikation der Mitarbeiter und Eigenschaften wie Empathie und Motivation. Eine reine Kennzahlenorientierte Bewertung kann hier deshalb dauerhaft keine Erfolge generieren, da sie an der Wirklichkeit vorbei geplant wird.



Eine Gruppe, die es besonders anzusprechen gilt, stellen unter den Geringqualifizierten die Menschen mit Migrationshintergrund dar. Neben einer Vielzahl von zusätzlichen Hürden, die für diese Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, sind es eben auch fehlende Qualifikationen und Sprachkenntnisse. Die Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund muss deshalb insbesondere auch zu Fragen rund um die Beratung und Vermittlung in Weiterbildungsmaßnahmen verbessert werden. Eine stärkere interkulturelle Öffnung in den Agenturen für Arbeit und Jobcentern kann dazu ebenso einen Beitrag leisten wie eine gezielte Initiative für die Qualifizierungserfordernisse dieser Personengruppe. Teil dieser wäre eine genaue Analyse der arbeitsmarkt- aber auch bildungspolitischen Herausforderungen für diese Menschen und das Herstellen eines gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins für die Chancen, die sich aus der Investition auch in die berufliche Integration ergibt. Dazu gehört auch ein Ausbau der steuerfinanzierten Sprachförderung, für die nur völlig unzureichende Mittel des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung stehen. Grundlegende sprachliche Kompetenzen zu entwickeln stellt einen wesentlichen Baustein für anschließende abschlussorientierte berufliche Qualifizierung dar. Dies gilt für Arbeitslose und Beschäftigte ohne Berufsabschluss gleichermaßen.

Um bereits präventiv wirken zu können und möglichst vielen Jugendlichen einen erfolgreichen Start ins Berufsleben mit einer Ausbildung zu sichern, ist es wichtig, dass die verschiedensten Akteure, die derzeit Angebote für den Übergang von der Schule in den Beruf bereithalten, diese Maßnahmen bündeln und für die Jugendlichen transparenter und damit erreichbarer machen. Derzeit gehen zu viele in einem Hin und Her zwischen drei zuständigen Trägern – Agenturen für Arbeit, Jobcenter und Jugendhilfe – verloren. Hier sollten wie von der BA und dem BMAS angeregt, verstärkt auf eine Einrichtung von Jugendberufsagenturen hingewirkt und auch deren zeitnaher Start realisiert werden. Ziel dieser Jugendberufsagenturen soll es sein alle schulpflichtigen Jugendlichen zu erreichen, einschließlich derer in Berufsschulen, und diese bis zum Abschluss einer Ausbildung zu begleiten. Zum Personenkreis zählen auch Altbewerberinnen und Altbewerber.

Im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik muss es zukünftig nicht nur darum gehen eine gute Vermittlung zu erbringen. Vielmehr erfordert ein dynamischer Arbeitsmarkt, wenn es darum geht eine gleichberechtigte Teilhabe und nachhaltige Beschäftigungschancen zu er-schließen, eine spezialisierte und möglichst individuelle Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung zu etablieren, die Arbeitslosigkeit bereits vorbeugt sowie strategisch ausgerichtet ist und dabei vor allem auch Dienstleistungen der Kompetenzfeststellung als Grundlage einbezieht. Ziel muss es hier sein sowohl Arbeitslosen als auch Betrieben die Möglichkeiten – auch geförderter – beruflicher Weiterbildung aufzuzeigen und eine Aufstiegsmobilität zu entwickeln. Eine spezialisierte Weiterbildungsberatung sollte sich dann auch durch kompetente und in der Breite der möglichen Beratungsinhalte differenziert geschulten Beraterinnen und Beratern wiederspiegeln und den verschiedenen Phasen des Erwerbslebens angemessene Lösungen ermöglichen. So wird ein geringqualifizierter Jugendlicher durch andere Maßnahmen bessere Unterstützung finden als der ältere Arbeitnehmer, der nach einer eventuellen Qualifikationsentwertung Unterstützung bei den beruflichen Perspektiven braucht.

Nicht zuletzt ist es auch sinnvoll, dass eine nachgehende Betreuung zur Stabilisierung von Beschäftigung gesetzlich geregelt und ermöglicht wird. So können sowohl die zuvor Arbeitslosen als auch die Arbeitgeber nach dem Beginn einer neuen Beschäftigung, die für vormals Geringqualifizierte oft auch die erstmalige Übernahme eines eigenverantwortlichen Aufgabenfeldes außerhalb des Helferspektrums bedeutet, fundiert einen Einstieg im Betrieb sicherstellen ohne sich von gegebenenfalls auftauchenden ersten Problemen verunsichern zu lassen. So werden nachhaltige berufliche Perspektiven aufgebaut und die Unsicherheit für Arbeitslose in einer neuen Beschäftigung deutlich reduziert.


Quelle:
Aussichtslos?!? – Zur Situation Geringqualifizierter auf dem Arbeitsmarkt
arbeitsmarktaktuell des DGB, Juni 2015


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Erwerbslose, Öffentliche Beschäftigungspolitik, Berufliche Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 29.06.2015