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Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen

Das Bundeskabinett hat am 8. Juli 2015 den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorbereiteten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts beschlossen. Die Reform dient u. a. der Umsetzung der EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24 EU). Die Umsetzung stellt eine große Chance dar, die Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen maßgeblich zu verbessern. So hebt die neue EU-Richtlinie die Besonderheiten der sozialen Dienstleistungen hervor. Sie verweist darauf, dass der Einbeziehung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Kriterien zukünftig bei der Vergabe eine stärkere Rolle zukommen soll.

Ziel jeder Vergabe sozialer Dienstleistungen soll sein, den Wettbewerb nicht mehr fast ausschließlich über den Preis zu führen, sondern der Qualität einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Nicht mehr der „billigste“ Anbieter soll den Zuschlag bekommen, sondern der qualitativ beste Anbieter. Diese Anforderungen an das neue nationale Vergaberecht und hier insbesondere für soziale Dienstleistungen stellen gegenüber dem aktuellen Vergaberecht einen Paradigmenwechsel dar.

In seiner Expertise beschreibt Professor Dr. Sell zunächst die Ist-Situation der aktuellen Vergabepraxis von Arbeitsmarkdienstleistungen (AMDL) und zeigt auf, welche Auswirkungen zu erwarten sind, wenn letztlich der Preis darüber entscheidet, ob ein Bieter den Zuschlag bekommt oder nicht. Er verweist hierbei auf das System einer Preisdruckmechanik nach unten mit den Negativfolgen für die Träger und die Beschäftigten. Zusätzlich kritisiert er die bundesweite Standardisierung der ausgeschriebenen Bildungsmaßnahmen. Die Folgen davon sind ein Innovationsstau und die Verhinderung von Konzept- sowie Qualitätsentwicklungen bezogen auf die sich ständig verändernden Zielgruppen.

Sell stellt klar, dass eine reine Fixierung auf die Ergebnisqualität, zu der bislang die Integrations- sowie die Abbruchquote zählen, als Kriterium zur Entscheidung über die Neuvergabe von Bildungsmaßnahmen ein völlig unbrauchbares Instrument darstellt, weil „Ergebnisqualität logischerweise immer erst nach einer Maßnahme wenn überhaupt erfasst werden kann und dies mit erheblichen und bislang keineswegs auch nur annähernd befriedigend gelösten methodischen Problemen verbunden ist.“ Struktur-, Durchführungs- sowie Prozessqualität müssen also deswegen gleichwertig betrachtet werden. Die Durchführungsqualität muss zusätzlich maßnahmebegleitend erfolgen. Erste Anhaltspunkte lassen sich hier in der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) finden. So werden dort input-, output-, prozess- sowie teilnehmerschutz- bzw. nachfrageorientierte Ansätze benannt. Dennoch erweist sich die AZAV allein nicht als das geeignete Instrument zur Sicherstellung von Qualitätskriterien bei der Vergabe von Bildungsmaßnahen, auch deshalb, weil alle Bieter im Besitz einer AZAV-Zulassung sein müssen, um am Wettbewerb teilnehmen zu können.

Mit einem Blick auf Österreich weist Sell nach, dass AMDL sehr viel besser unter stärkerer Einbindung von Qualitätskriterien mit gleichzeitiger Absicherung von sozialen Kriterien sowohl für die Träger als auch für die Beschäftigten funktionieren können. So spielen Zuschlagskriterien, wie z.B. die Qualität des eingesetzten Lehr- und Betreuungspersonals, konzeptbezogene Qualität (Didaktik, Methodik, Organisationsform), Gleichstellungsorientierung (gleichstellungsfördernde Maßnahmen, Ausgewogenheit der Geschlechter bei den Trainer/-innen), Berufserfahrung – die höher als der formale Bildungsabschluss bewertet werden –, die Entlohnung der Beschäftigten nach dem allgemeingültigen Kollektivvertrag für private Bildungseinrichtungen sowie eine vergleichbare Entlohnung der eingesetzten Honorardozent/-innen eine entscheidende Rolle. Bei Niedrigpreisangeboten werden Tiefenprüfungen durchgeführt. Sollte sich herausstellen, dass Tariflöhne, Honorare und sonstige Kosten daraus nicht finanziert werden können, werden die Wettbewerber aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen. Die Gewichtung von Qualitätskriterien liegt in Österreich zwischen 50 und 70 Prozent und hat demnach eine höhere Bedeutung als der Preis. So wird hier u.a. nach Planungsqualität, Durchführungsqualität sowie den Erfolgskriterien Arbeitsmarkterfolg, Maßnahmeerfolg, Zufriedenheits- und Teilnahmeerfolg sowie Praxiserfolg unterschieden. Diese detaillierte Unterscheidung der Qualitätskriterien bewirkt eindeutig eine Steigerung der Maßnahmequalität. Somit ist es auch eher möglich, nachhaltig und integrationsorientiert Teilnehmende zu qualifizieren.

Schlussfolgernd gibt Sell zu bedenken, dass eine verfahrensgerechte Einbindung von Qualität im neuen deutschen Vergaberecht, welche sich ausschließlich auf Ergebnisqualität, hier insbesondere auf die Eingliederungs- sowie Abbruchquote setzen sollte, nur einen Versuch darstellt, Qualität von Bildungsmaßnahmen im Bereich der AMDL zu berücksichtigen. Die Qualität der Maßnahmen ist stark davon abhängig, wie die Organisation aufgestellt ist, welche Professionalität die Fachkräfte mitbringen, welche Berufserfahrung das beauftragte Personal besitzt und welche Rahmenbedingungen überhaupt bestehen, professionell arbeiten zu können. Dazu gehören u.a. angemessene Tarifbedingungen, unter denen das Personal arbeitet. Neben dem branchenspezifischen Mindestlohn bedarf es eines allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrags Weiterbildung nach dem Tarifvertragsgesetz. Dabei bezieht Sell sich ausdrücklich auf die gestellten Anforderungen des Art. 18 Abs. 2 (Grundsätze der Auftragsvergabe) der Europäischen Vergaberichtlinie, in der die Einhaltung aller geltenden sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zwingend erfolgen muss, die durch die Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder auch Tarifverträge festgelegt sind. Des Weiteren müssen Maßnahmen gegen befristete Anstellungsverhältnisse getroffen werden, welche überwiegend durch die Art und Weise der Auftragsvergabe mit fehlender langfristiger Planungsoption der Träger im hohen Umfang zugenommen haben. Ebenso muss der Einsatz von Honorardozenten/innen ohne Honoraruntergrenzen zukünftig durch ein qualitätsorientiertes Vergabesystem unterbunden werden.



Quelle: Vorschläge zu Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen, Broschüre des DGB, GEW und ver.di, November 2015


Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zu "Nutzung der Freiräume bei der Vergabe von sozialen Dienstleistungen"

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Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Erwerbslose
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 23.11.2015