Grundsätzliches zur Weiterbildung

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Neue Berufs-Bildungs-Perspektiven erschienen

Gute Arbeit braucht gute Weiterbildung

Es gibt kaum ein Thema in der Bildungspolitik, das in einem größeren Spannungsfeld diskutiert wird als die Weiterbildung. Einerseits gehört seit vielen Jahren zum Allgemeingut von Politik und Wirtschaft, auf die Notwendigkeit, die Chancen und die Fortschritte in der Weiterbildung hinzuweisen. Andererseits hat sich faktisch in der Gestaltung der Rahmenbedingungen und in Bezug auf strukturelle Defizite sowie die selektive Beteiligung in den letzten Jahrzehnten wenig getan. Dabei sind die Einführung des Mindestlohns und die weitere Ausgestaltung des Vergaberechts erfreuliche Schritte.

Weiterbildung ist und bleibt in der Bildungspolitik der Bundesrepublik ein Stiefkind. Von einer vierten institutionalisierten Säule des Bildungssystems, wie schon im Bildungsgesamtplan 1973 vorgeschlagen, ist Weiterbildung heute, trotz der Verwirklichung von Bildungsurlaubs- oder Bildungsfreistellungsgesetzen in den meisten Bundesländern, noch immer Lichtjahre entfernt. Nach wie vor ist die Politik nicht gewillt mehr öffentliche Verantwortung wahrzunehmen und Weiterbildung umfassender gesetzlich zu regeln.

Ähnlich müssen wir auch Defizite in der betrieblichen Weiterbildung benennen. Trotz guter Betriebsvereinbarungen in einer Reihe von Betrieben und trotz einer Reihe von Tarifverträgen zur Weiterbildung liegen Anspruch und Wirklichkeit weit voneinander entfernt. Es zeigen sich nicht nur Unterinvestitionen sondern auch erhebliche strukturelle Mängel. Weit mehr als die Hälfte der betrieblichen Weiterbildungen sind kürzer als ein Tag. Je kleiner die Betriebe und je prekärer die Beschäftigungssituation in den Branchen und Erwerbsformen, desto geringer ist die Weiterbildungsbeteiligung. Die Weiterbildungsbeteiligung ist nach wie vor abhängig von Einkommen, Bildungsabschluss und Beruf.

Dazu kommt die fragile Entwicklung der Weiterbildung im Rahmen der Arbeitsförderung. Strukturen und Förderangebote sind unübersichtlich. Es gibt wenig Transparenz, zu geringe an den Arbeitnehmerinteressen orientierte Beratungsmöglichkeiten und unzureichende Sicherheit, was die rechtlichen Ansprüche gegenüber Arbeitgebern bzw. staatlichen Fördermöglichkeiten für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen angeht. Ein kleiner Lichtblick zeigt sich mit dem zum 1. August 2016 in Kraft getretenen Arbeitslosenversicherungs- und Weiterbildungsstärkungsgesetz (AWStG).

Seit Jahren setzen sich die Gewerkschaften für ein Weiterbildungsgesetz auf Bundesebene ein. Angesichts der demografischen Entwicklung, angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und angesichts der erforderlichen Integration von formal gering Qualifizierten oder Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt, ist berufliche Weiterbildung ein wesentlicher Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung und zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Weiterbildung bedarf aber verlässlicher und belastbarer Rahmenbedingungen und der gesetzlichen Regulierung. Dazu gehören elementar die Regelung der Lernzeiten, die Sicherung der finanziellen Unterstützung der Lernenden, die Qualitätssicherung, die Sicherung der politischen und kulturellen Weiterbildung im Angebotsspektrum der Träger und insbesondere in der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung, die berufliche Verwertbarkeit der Maßnahmen sowie die Transparenz bei Abschlüssen und Zertifikaten. Notwendig sind Informations- und Beratungsstrukturen. Sie sollten insbesondere für die Beschäftigten, die bisher an Weiterbildungsmaßnahmen unterdurchschnittlich teilnehmen, möglichst am Arbeitsplatz beginnen.

Das Weiterbildungssystem muss auf eine neue Basis gestellt werden, mit dem Ziel der verstärkten Kooperation und Koordination. An die Stelle der segmentierten Weiterbildungslandschaft sollten, wie in anderen erfolgreicheren europäischen Ländern – z.B. in Dänemark und in den Niederlanden – Staat, Unternehmen, Gewerkschaften, Individuen und Bildungseinrichtungen in ein System unterschiedlicher Verantwortlichkeiten eingebunden werden mit mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten.

Das vom wissenschaftlichen Beraterkreis von ver.di und IG Metall in den aktuellen Berufs-Bildungs-Perspektiven vorgelegte Memorandum zur Weiterbildung nimmt diese Debatte auf. Angesichts der Untätigkeit in Politik und Wirtschaft will der Beraterkreis damit erneut Akzente für eine längst überfällige Debatte setzen. Denn: Jetzt muss gehandelt werden. Gute Arbeit braucht gute Weiterbildung!

Das Memorandum stellt drei analytische Bezüge in den Vordergrund:
  1. Das Verhältnis von Weiterbildung und guter Arbeit angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt

  2. Die Bedeutung von Weiterbildung in Bezug auf den Erhalt und die
    Förderung beruflicher Handlungskompetenz

  3. Die Notwendigkeit „subjektorientierter Weiterbildung“, um Beschäftigte für Weiterbildung zu gewinnen und ihre Interessen stärker in den Mittelpunkt zu stellen

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist zugleich Ausdruck von technischen und organisatorischen Prozessen wie auch Ausdruck von unterschiedlichen arbeits- und gesellschaftspolitischen Interessen. Humane und qualifikationsförderliche Arbeit entsteht nicht im Selbstlauf und ist nicht zwingend im Interesse der Wirtschaft. Sie muss erstritten werden. Betriebliche und berufliche Weiterbildung sind dafür ein entscheidender Motor und sollten zentrale Themen der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenpolitik sein.

Die Selbstvermarktung wird immer mehr zum Maßstab von Erwerbstätigkeit, sowohl innerhalb der abhängigen Arbeit wie auch in den zunehmenden scheinselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen der Kontraktarbeiten und Honorartätigkeiten. Diese Arbeit lebt von kurzfristigen und oft kleinteiligen Aufträgen, von der Kosten- und Gewinnkonkurrenz am Arbeitsplatz und der möglichst umfänglichen Zurverfügungstellung des Arbeitsvermögens. Diesem Typus von Arbeit entspricht eine Qualifizierungslogik, welche Abschied nimmt von der Vollständigkeit von Lernprozessen und die zu Recht als Anpassungsqualifizierung kritisiert wird. Das Schlagwort für diese Prozesse ist „Employability“. Dagegen setzen die Gewerkschaften die Orientierung an Beruflichkeit als Bildungs- und Arbeitskonzept. Daher ist der Bezug auf die Beruflichkeit von Arbeit und Bildung auch in diesem Memorandum ein wichtiger politischer Grundsatz. Beruflichkeit ist zu sichern und – wie der Beraterkreis in seinem letzten Memorandum ausgeführt hat – zentrale Grundlage für eine gemeinsame duale, schulische und hochschulische berufliche Bildung. Beruflichkeit im Sinne der Weiterentwicklung beruflicher Handlungskompetenz ist ein zentraler Maßstab für gute betriebliche Weiterbildung.

So, wie Beruflichkeit als Bildungskonzept an den individuellen Bedürfnissen und Interessen ansetzt und darauf zielt, Individuen im Sinne der Gestaltung beruflicher Biografien zu stärken, ist auch gute Weiterbildung nur denkbar als subjektorientierte Weiterbildung. Der Beraterkreis macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass nicht nur die strukturellen Daten z.B. der sozialen Herkunft und Vorbildung über den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen entscheidend sind, sondern ganz besonders auch das Weiterbildungskonzept. Subjektorientierte Weiterbildung basiert auf dem Konzept des „expansiven Lernens“, das Peter Faulstich, unserem verstorbenen Kollegen, eine Herzensangelegenheit war. Oberste Priorität hat, dass Lernen für die Betroffenen Sinn machen muss. Subjektorientiertes Lernen nimmt die Perspektive der Lernenden ein. Es nimmt die Menschen mit, berücksichtigt Lernwiderstände und benötigt Rahmenbedingungen: Raum, Zeit und Ressourcen für Lernende und Lehrende, Weiterbildungsrechte für die Lernenden.

Doch weder durch die beste Betriebsvereinbarung allein, noch durch einen noch so effektiven Tarifvertrag allein, noch ausschließlich durch das Gesetz werden diese erforderlichen Bedingungen herzustellen sein. Dem Beraterkreis ist daher unbedingt zuzustimmen, wenn er auf die „Architektur des gesamten Hauses“ aufmerksam macht. Was meint er damit? Einerseits bezieht er sich dabei auf das Zusammenspiel der Handlungsebenen von Betrieb, Tarif und gesetzlichem Rahmen, die nur zusammengedacht ein sinnvolles Ganzes ergeben können. Andererseits bezieht er sich auf die Architektur des Bildungshauses im inhaltlichen Sinne. Auch Weiterbildung sollte sich in Zukunft in eine Bildungslandschaft einfügen, die sich von dem überholten Gegeneinander von allgemeiner und beruflicher Bildung befreit und ein auf Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit beruhendes Gesamtkonzept schafft.


Quelle: Vorwort der Berufs-Bildungs-Perspektiven 2017


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufliche Weiterbildung, Öffentliche Beschäftigungspolitik, Lebenslanges Lernen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 27.01.2017