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Denkanstöße der Kommission »ARBEIT DER ZUKUNFT« der Hans Böckler Stiftung

Arbeit transformieren

Talentschmiede
Neugier wecken, Potentiale erschließen


Das sind die Stichworte, mit denen das Kapitel zur Qualifizierung eingeleitet wird. Bildung werde, so die Kommission, immer wichtiger. „In einem strukturellen Umbruch ist Bildung die notwendige Antwort. Sie legt den Grundstein für eine mündige Existenz, Urteilsfähigkeit, Verständnis für komplexe Zusammenhänge und einen aktiven Bürgerstatus in einer demokratischen Gesellschaft – und sie bereitet, so der Idealfall, die Menschen auf Berufseinstieg, Aufstieg und Umstieg im Erwerbsleben vor.“ Doch der Zustand des deutschen Bildungssystems ist schlecht. Es sei nicht in der Lage, diese Anforderungen an Bildung zu erfüllen.

Das Bildungssystem sei ungerecht. Kinder aus bildungsfernen Milieus würden zu wenig gefördert. Diese Feststellung treffe auch auf das duale Ausbildungssystem zu. „Zwar gibt es keine formalen Einstiegshürden in eine duale Ausbildung, doch ist der Einstieg für Jugendliche ohne Abschluss oder mit einem Hauptschulabschluss schwierig: In der bundesweiten Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammern sind fast zwei von drei Ausbildungsangeboten für Jugendliche mit Hauptschulabschluss von vornherein verschlossen.“

Dabei werde deutlich zu wenig Geld in Bildung investiert. Die bildungsausgaben in Deutschland betragen gegenwertig 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im OECD-Schnitt sind es 4,8 Prozent. „Vor allem die Investition in den tertiären Bildungsbereich – bei der OECD fallen hierunter auch Weiterbildungen – sind in Deutschland niedrig (OECD 2016a ).“

Speziell zur Weiterbildung heißt es dann im Bericht:

“WEITERBILDUNG IST NÖTIG, ABER AUCH UNTERFINANZIERT.

Es ist inzwischen ein Allgemeinplatz, dass sich Menschen lebensbegleitend weiterbilden sollen. Hintergrund ist ein starker Impuls seitens des Arbeitsmarktes, der Interesse an Erwerbstätigen hat, deren Kompetenzen auf der Höhe der Zeit sind. Neben individueller Weiterbildung, z. B. für das Nachholen von Abschlüssen oder für den beruflichen Aufstieg, hat die betriebliche Weiterbildung einen besonderen Stellenwert. Während individuelle Weiterbildung zumeist in der Freizeit und selbstfinanziert erfolgt, geht es bei der betrieblichen Weiterbildung um Qualifizierung, von der der Betrieb profitiert. Die bfw-Trendanalyse »Berufliche Aus- und Weiterbildung in Deutschland 2016« (Roggenkamp 2016 ) zeigt, dass Weiterbildung überwiegend privat finanziert wird. Die individuellen Ausgaben für Weiterbildung sind gegenüber 2007 von zehn auf 11,2 Milliarden Euro gestiegen.

TRENDWENDE BEI DER BETRIEBLICHEN WEITERBILDUNG?

Während die öffentlichen Ausgaben in Weiterbildung gesunken sind, ist für die Investitionen der Betriebe nach einigen Jahren der Stagnation wieder ein Anstieg zu verzeichnen. 37 Prozent der 25- bis 64-Jährigen haben im Jahr 2014 an einer betrieblichen Weiterbildung teilgenommen, doch sind hier auch »kleine« Weiterbildungen, kurze Anpassungsqualifizierungen und die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits- und Gesundheitsschutzqualifizierungen eingerechnet (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016 ). Mit durchschnittlich 36 Weiterbildungsstunden (26 Stunden bei betrieblichen und 75 Stunden bei individuellen berufsbezogenen Maßnahmen) (bmbf 2015 ) bewegt sich die Weiterbildung zumeist jenseits abschlussbezogener Formate, sodass sie für den beruflichen Aufstieg keine relevante Hilfe darstellen.

HÜRDEN DER BETRIEBLICHEN WEITERBILDUNG.

Weiterbildung findet bislang vor allem dort statt, wo sie bereits in den Berufen angelegt ist. Eine gezielte Ermunterung zur Weiterbildung erfolgt zumeist, wenn auch seitens des Betriebs konkreter Bedarf besteht. Als wichtigste Gründe für Zurückhaltung bei der Unterstützung von Weiterbildung nennen Betriebe eine zu dünne Personaldecke, aber auch finanzielle Aspekte. Man trage Kosten, denen nicht unmittelbar ein Nutzen gegenüberstehe – und die vor allem bei Personalfluktuation nicht rentabel seien (Bitkom Research 2016 ). Eine hohe Weiterbildungsrendite ergibt sich für die Beschäftigten und Betriebe gegenwärtig dort, wo Unternehmen ein strategisch ausgerichtetes Konzept verfolgen, die Weiterbildung praxisorientiert und betrieblich eingebunden ist und ein regelmäßiger Dialog zwischen Personalabteilungen und Betriebs- bzw. Personalräten etabliert ist.

WELCHE WEITERBILDUNG IST DIE RICHTIGE?

Auch die Situation auf dem Weiterbildungsmarkt erweist sich als Hemmnis. Oft fehlt es an Standards und systematischen Regelungen – und angesichts der steigenden Nachfrage werden die Angebote in vielen Bereichen nicht ausreichen oder im Preis stark ansteigen. Mangelnde Transparenz, fehlende Beratung und eine unklare Finanzierung erschweren den Zugang zur Weiterbildung, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen und ohne Bildungsabschlüsse.

Neben inhaltlichen Gründen stehen aber auch organisatorische Gründe einer Weiterbildung entgegen: Personen, die beruflich stark eingebunden sind, haben während der Arbeitszeit häufig keine Kapazitäten bzw. müssen die Weiterbildung während der Freizeit einplanen. Wer dauerhaft Sorgearbeit leistet, hat in der Freizeit kaum Spielräume. Freistellung durch den Arbeitgeber ist daher eine wichtige Voraussetzung für verstärkte Aktivitäten.

REPRODUKTION VON UNGLEICHHEIT?

Je besser eine Person schon qualifiziert ist, desto wahrscheinlicher ist laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Teilnahme an Bildungsangeboten. Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund nehmen aufgrund ihres häufigen beruflichen Status als Geringqualifizierte, Teilzeit- oder prekär Beschäftigte deutlich weniger an Weiterbildung und speziell an betrieblicher Weiterbildung teil. Die bisherigen Förderinstrumente der beruflichen Weiterbildung ändern an dieser sozialen Schieflage nichts. Im oberen Bildungssegment stehen mit dem Meister-BAföG und dem BAföG für Studierende Finanzierungsinstrumente der individuellen beruflichen Weiterbildung für bisher schon gut Qualifizierte bereit. Viele Geringqualifizierte sind hingegen auf Arbeitsförderungsmaßnahmen im Hartz-IV-System angewiesen. Für Arbeitslose werden zwar Weiterbildungen angeboten, doch sind die Anreize hierfür schwach, da die Maßnahmen kaum eine Verbesserung gegenüber dem Sozialleistungsbezug darstellen. Mit dem Weiterbildungsstärkungsgesetz hat beim Arbeitslosengeld (SGB III) Weiterbildung jüngst Vorrang vor Vermittlung erhalten. Gleichwohl fehlt den Jobcentern durch die Deckelung des Eingliederungsbudgets offenbar häufig das Geld, um den Bedarf an Weiterbildung zu finanzieren (Dietz/Osiander 2014 ). In der Bildungsforschung mehren sich die Stimmen für mehr Anreize oder auch Verpflichtungen zu Investitionen und Aktivitäten in der Weiterbildung. Juristische Expertisen (so zum Beispiel Kocher/Welti 2013 ) empfehlen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und auf ein regelmäßiges Qualifizierungsgespräch.“


Quelle: Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann, Christina Schildmann: Arbeit transformieren!, Hans Böckler Stiftung, transcript 189, Bielefeld 2017, insbesondere die Seiten 82 - 84

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Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung, Berufliche Weiterbildung, Betriebliche Weiterbildung, Qualifizierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.07.2017

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024