Grundsätzliches zur Weiterbildung

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Recht auf Weiterbildung

10-Punkte-Plan zur Nationalen Weiterbildungsstrategie für mehr Investitionen in eine solidarische Gestaltung des Wandels der Arbeitswelt

Gemeinsame Anforderungen der Gewerkschaften

Der grundlegende Wandel von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft führt zu massiven Umstrukturierungen von Produktionsprozessen und Beschäftigung. Zentral ist es in diesem Prozess, allen Menschen die Teilhabe an guter Erwerbsarbeit und zur persönlichen Entwicklung zu eröffnen bzw. zu bewahren. Hierzu sind verschiedene Aktivitäten und die Beteiligung mehrerer Akteure nötig. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen eine zukunftsorientierte Qualifizierungs- und Weiterbildungspolitik dabei als einen wichtigen Schlüssel zur Teilhabe an Guter Arbeit. Wir setzen uns deshalb dafür ein, bessere Bildung und Unterstützungsleistungen zur Qualifizierung von Beschäftigten und Arbeitslosen zu gewährleisten, die mit neuen bzw. sich verändernden Kompetenzanforderungen Schritt halten müssen.

Unser Verständnis lautet: Grundsätzlich liegt die Verantwortung für berufliche Weiterbildung ihrer Beschäftigten primär bei den Arbeitgebern. Sie müssen die Qualifizierung der von ihnen benötigten Fach- und Führungskräfte sicherstellen. Für Maßnahmen der Anpassungs-, Erhaltungs- und Erweiterungsqualifizierungen sind Beschäftigte im Grundsatz bezahlt freizustellen und die Maßnahmen sind durch die Arbeitgeber zu finanzieren. Eine unangemessene Individualisierung oder Kollektivierung der Weiterbildungslasten muss vermieden werden. Darüber hinaus ist die Rolle der Betriebsparteien zu stärken und ein gemeinsames Handeln der Betriebsparteien von zentraler Bedeutung. Die Betriebsparteien können als Expertinnen vor Ort am ehesten einschätzen, wie sich der Wandel im jeweiligen Betrieb konkret auswirkt, welche Weichenstellungen getroffen werden müssen, um ihn erfolgreich zu bewältigen, und was die Beschäftigten an Qualifizierung brauchen, um ihre bisherigen Tätigkeiten unter veränderten Bedingungen ausüben oder neue übernehmen zu können. Betriebsräte genießen zudem das Vertrauen der Beschäftigten und können auch jene Beschäftigten erreichen, die weniger offen für Weiterbildung sind.

Gerade in Zeiten der unklaren Entwicklungen hinsichtlich der Beschäftigungsperspektiven und Rationalisierungs-potentiale durch den Strukturwandel brauchen die Menschen die Möglichkeit für berufliche Weiterentwicklung und Mobilität. Nicht zuletzt aufgrund der Verschiebungen zwischen den Branchen sind auch präventive Ansätze zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit über den Betrieb hinaus nötig. Dafür ist die Arbeitsmarktpolitik ebenso zu stärken, wie die bessere Absicherung der individuellen beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten und -wünsche.

Die hier zusammengefassten zehn Punkte sind die gemeinsamen gewerkschaftlichen Kernforderungen für eine verlässliche finanzielle Unterstützung und Weiterbildungsinvestitionen, die in die Nationale Weiterbildungsstrategie eingebracht werden.


Wir schlagen vor:
  • Bessere Rechte für Betriebsräte: Einführung eines generellen Initiativ- und Mitbestimmungs-rechts bei Personalplanung, Beschäftigungssicherung und Qualifizierung

    Zur Stärkung von Weiterbildung im Betrieb ist Mitbestimmung zentral. Wer von Beschäftigungssicherung redet, muss auch die Frage der Qualifikation der Beschäftigten mit einbeziehen. Um diesen Wandel im Sinne von Beschäftigungssicherung durch Qualifizierung umfassend mitgestalten zu können, muss das Mitbestimmungs- und Initiativrecht bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung im Falle drohender Qualifikationsdefizite/-verluste (§ 97 Abs. 2 BetrVG), das lediglich auf aktuelle und kurzfristig geplante Änderungen beschränkt ist, mit dem Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen (§ 98 BetrVG) zusammengefasst und zu einem generellen Initiativrecht bei der Ein- und Durchführung der betrieblichen Berufsbildung ausgebaut werden.

    Grundlage für die Freistellungs- und Finanzierungsverpflichtung des Arbeitgebers sollte ein verpflichtender (Qualifizierungs-) Weiterbildungsplan infolge einer verbindlichen langfristigen Personalplanung sein, der zwischen den Betriebsparteien vereinbart wird (Erweiterung § 96 ff. BetrVG bzw. der entsprechenden personal-vertretungsrechtlichen Bestimmungen). Die Weiterbildungspläne haben zum Ziel, individuelle Wünsche der Beschäftigten (etwa auf Basis tariflicher Verpflichtungen zur Durchführung von Weiterbildungsgesprächen ermittelt) und betriebliche Erfordernisse in Einklang zu bringen. Für individuelle berufliche Weiterbildungen, die nicht im Weiterbildungsplan vereinbart sind, muss die Finanzierung und Freistellung auf Grundlage anderer Regelungen erfolgen, z.B. durch tarifvertragliche oder anderweitig geregelte Ansprüche.

  • Implementierung betrieblicher Weiterbildungsmentoren

    Im Betrieb müssen Kompetenzen der Berufsberatung und der beruflichen Begleitung aus- und vielerorts neu aufgebaut werden. Selbst im besten Falle der bestmöglichen Kooperation mit den Beraterinnen und Beratern der Bundesagentur für Arbeit sind Kompetenzen der Personalentwicklung, aber auch der Begleitung durch berufliche Veränderungsprozesse nötig. Während die Personalabteilungen diesen Bereich in vielen Unternehmen neu aufbauen müssen, können auf der Seite der Betriebs- und Personalräte und Vertrauensleute Kolleginnen und Kollegen zu betrieblichen Weiterbildungsmentoren und Mentorinnen weitergebildet werden. Sie sollen vor allem bildungsferne und geringqualifizierte Beschäftigte besser als bisher für Qualifizierung erreichen. Durch persönliche Ansprache und individuelle Begleitung können so Ängste und Vorbehalte abgebaut werden. Grundlage dafür ist Vertrauen. Auf betrieblicher Ebene kann das durch gewerkschaftliche Vertrauensleute organisiert werden, sie sind nah dran und kompetent. Und sie genießen das Vertrauen der Beschäftigten. Betriebliche Weiterbildungsmentorinnen und -mentoren sind besonders gut geeignet für die Ansprache von Bildungsbenachteiligten und sollten von daher staatlich gefördert werden (im ersten Schritt wäre eine Projektförderung durch den Bund denkbar).

  • Fortführung der Sozialpartner-Richtlinie

    Das Programm „Fachkräfte sichern“ des Europäischen Sozialfonds soll auch in der neuen Förderperiode 2012-2027 weitergeführt werden. Es ist das einzige ESF-Programm, das die aktive Einbindung der Sozial-partner bei der Entwicklung und Umsetzung von innovativen Ansätzen in der betrieblichen Weiterbildung ermöglicht. Zur Unterstützung von KMU, eigene Strukturen zur Weiterbildungsförderung aufzubauen und weiterzuentwickeln, könnte die Sozialpartner-Richtlinie hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Notwendig ist hierzu eine höhere Kofinanzierung aus Bundesmitteln.

  • Förderung von tariflichen Weiterbildungsvereinbarungen

    Sehen Tarifverträge für eine persönliche Weiterbildung Freistellungsansprüche mit einer Zuschusszahlung des Arbeitgebers vor, so sollte der Gesetzgeber solche Regelungen fördern, indem solche Zuschüsse steuerbefreit werden. Bildungszeiten sollen dabei grundsätzlich sozial abgesichert bleiben.

  • Einführung eines Transformationskurzarbeitergeldes

    Die Einführung eines Transformationskurzarbeitergeldes soll Beschäftigte und Betriebe bei der Bewältigung des Strukturwandels unterstützen. Es ist zu erwarten, dass es in einer Reihe von Betrieben grundlegende betriebliche Umbauprozesse verbunden mit Produktionseinbrüchen geben wird. Hier gilt es an das bewährte Instrument der Kurzarbeit anzuknüpfen und eine zur Flankierung des Wandels adäquate Variante zu entwickeln und diese mit Qualifizierung zu verbinden. Darauf zielt das Transformations-KuG: Es schafft die Möglichkeit, Kurzarbeit und Qualifizierung bei Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses und der Chance auf eine Weiterbeschäftigung nach dem Umbau zu verknüpfen. Zudem würde durch ein gemeinsames Handeln der Betriebsparteien ein kollektiver Rahmen gestärkt und die Bundesagentur für Arbeit in den Prozess einbezogen.

  • Transfermaßnahmen verstärkt für Weiterbildung nutzen

    Das Instrument Transfermaßnahme in Verbindung mit dem Transfer-Kurzarbeitergeld ist geschaffen worden, um Menschen und Unternehmen bei betrieblichem Strukturwandel zu unterstützen. Voraussetzung ist jedoch die Freisetzung der Beschäftigten mit dem Ziel der Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Die kollektiven Hilfen im Rahmen der Transfermaßnahme bieten viele Vorteile für branchenbezogene und berufsbezogene Ansätze. In der Transferphase bestehen gute Voraussetzungen für Weiterbildung. Hierzu hat der DGB ge-zielte Vorschläge, wie die Elemente der Weiterbildung zu stärken sind, indem die Bundesagentur für Arbeit sich bei bestimmten Fallkonstellationen auch an den Kosten der Weiterbildung beteiligt.

  • Recht auf Weiterbildung stärken

    Mit dem Qualifizierungschancengesetz wurde die berufliche Förderung von Weiterbildung ausgeweitet und ein Recht auf Weiterbildungsberatung eingeführt. Um den Wandel der Arbeitswelt – von dem bis 2035 laut BMAS-Prognose 7 Mio. Arbeitsplätze betroffen sein werden – solidarisch zu gestalten, muss aber das Recht auf Beratung durch einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung und entsprechende staatliche Förderangebote flankiert werden.

    Wir wollen, dass Beschäftigte im Strukturwandel ihre Beschäftigungsfähigkeit erhalten. Für diejenigen, deren Arbeitsplätze durch den technologischen Wandel bedroht sind bzw. künftig wegfallen, braucht es ein Recht auf (arbeitsmarktrelevante) Weiterbildung und berufliche Neuorientierung (Umschulung). Hierzu sehen wir komplementär als nachrangiges Instrument zum Transformationskurzarbeitergeld folgenden Änderungsbedarf:

    • Da die Förderung Beschäftigter im Rahmen der Arbeitslosenversicherung bislang maßgeblich vom Arbeitgeber abhängig ist, braucht es eine Erweiterung, die auch das individuelle Recht der Beschäftigten stärkt. Wer auf eigenen Wunsch seine Arbeitszeit reduziert, um seine Beschäftigungsfähigkeit im strukturellen Wandel zu erhalten oder wer sich gar neu orientieren muss/will, und nicht von anderen Förderinstrumenten erfasst wird, sollte keine Lohneinbußen hierfür in Kauf nehmen müssen.
      Hier kann eine Lohnersatzleistung bei Weiterbildung in Teilzeit eine Lösung sein. Die Unterstützung sollte aber so ausgestaltet sein, dass insbesondere Geringqualifizierte und Geringverdiener gezielter durch zusätzliche Regelungen unterstützt werden.

    • Darüber hinaus bedarf es weiterer Regelungen, die verhindern, dass Arbeitgeber aufgrund von Mitnahmeeffekten ihre Verantwortung für Weiterbildung auf die Beschäftigten abwälzen können. Eine verpflichtende Beratung ist mit dieser Leistung zu verknüpfen.

    • Um ein Recht auf Weiterbildung unmittelbar bei Eintritt in Arbeitslosigkeit zu sichern, soll ein Qualifizierungsversprechen in beiden Rechtskreisen erfolgen.
      Ebenso braucht es ein Recht auf das Nachholen von Berufsabschlüssen. Nach wie vor ist ein fehlender Berufsabschluss der größte persönliche Risikofaktor sowohl für den Verlust des Arbeitsplatzes wie für eine spätere Bedürftigkeit.
      Zudem ist eine auf Beratung beruhende Qualifizierung der Vermittlung in beiden Rechtskreisen gleichzustellen.

    • Bessere finanzielle Unterstützung bei Weiterbildung während der Arbeitslosigkeit schaffen
      Die Weiterbildungsprämien, die derzeit für bestandene Prüfungen gezahlt werden und befristet sind, sollten entfristet und durch ein fortlaufendes Weiterbildungsgeld ergänzt werden. Ein solcher Zuschlag zur Arbeitslosenunterstützung muss auch die bestehende Fehlkonstruktion überwinden, dass ein sogenannter Ein-Euro-Job mit durchschnittlich 180 Euro Mehraufwandsentschädigung pro Monat finanziell attraktiver ist als die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme. In beiden Fällen entsteht ein Mehr-aufwand. Der DGB schlägt bei Weiterbildung einen Zuschlag in Höhe von mind. 200 Euro pro Monat vor bzw. eine Erhöhung von 15 Prozentpunkten des ALG I. Bei geringem ALG-I-Bezug soll auch in der Arbeitslosenversicherung der Mindestbetrag von 200 Euro gelten. Dabei dient die Prämie der Motivation, während das fortlaufende Weiterbildungsgeld die Funktion der Ermöglichung hat.

  • Lernzeitansprüche neu regeln und ausweiten

    Mit der Brückenteilzeit, den Bildungsfreistellungsgesetzen der Länder, den Tarifverträgen und den Betriebs-vereinbarungen bestehen auf unterschiedlichen Ebenen Regelungen zu Lernzeiten. Eine bundesgesetzliche Regelung ist nötig, damit in der Summe mehr Bildungszeit geschaffen wird. Dazu gehören mindestens die Freistellung bei Bildungsteilzeit sowie die Ermöglichung von Lernzeitansprüchen, auch für Personen mit Betreuungspflichten.

  • Aufstiegs-BAföG (AFBG) ausbauen

    Im Koalitionsvertrag ist ein weiterer Ausbau des AFBG angekündigt. Auf allen drei beruflichen Fortbildungsstufen soll ein Förderangebot geschaffen werden. Finanzielle Hürden im Sinne der vollständigen Gebührenfreiheit sollen beseitigt und deutliche Verbesserungen beim Unterhaltszuschuss, Erfolgsbonus und bei der Familienfreundlichkeit erreicht werden. Neben der noch offenen Ausgestaltung der Förderbedingungen je Fortbildungsstufe sehen wir grundsätzlich Verbesserungsbedarf der Förderungen durch das AFBG (Ausgestaltung des Unterhaltsbeitrags als Vollzuschuss, Vollzuschuss bei Prüfungsgebühren, Gewährung eines zinslosen Darlehens und Deckelung des zurückzuzahlenden Darlehens, Erweiterung der Familienkomponenten).
    Zudem muss dringend der Teilnehmendenschutz ausgebaut werden, indem ein Fortbildungsvertrag als Norm in das AFBG aufgenommen wird. Daran anknüpfend können sich auch Verbesserungen im Monitoring des AFBG ergeben.

  • ESF-Bildungsprämien weiterentwickeln

    Die ESF-geförderten Bildungsprämien des Bundes und der Länder sollten gebündelt und in eine Regelförderung mit geänderten Konditionen überführt werden. Nötig ist die Aufhebung der Deckelung bei den Maßnahmekosten. Der Zuschuss sollte sich am Einkommen orientieren, damit Geringverdiener gezielter gefördert werden und mit steigendem Einkommen degressiv sinken. Dazu ist eine Anhebung der Einkommensgrenzen nötig. Ziel der neu auszugestaltenden Bildungsprämie sollte es sein, nur die dann noch bestehenden Lücken zu schließen.


Quelle: Forderungen des DGB zur Nationalen Weiterbildungsstrategie vom 25. April 2019




Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufliche Weiterbildung, Erwerbslose, Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 24.04.2019